Markus Frauchiger, lic.phil.
Eidg. anerk. Fachpsychologe für Psychotherapie FSP

Falkenweg 8
3012 Bern
Tel.: 031 302 00 30 oder 079 745 47 39

e-mail:
praxis-frauchiger@bluewin.ch

Psychoanalyse, Psychotherapie, Coaching, Supervision, Bern, Depression, Burnout, Phobien, Angst, Probleme, Sexualtherapie, Sexualberatung, Aggression, Verhalten, Erleben

Die Wiederkehr des Imaginären - Das narzisstische Selbstmodell

Eine postmoderne Synthese aus Narzissmus- und Bezogenheitskonzepten

Materialien und Zitatesammlung zur Enstehung, Diagnostik und Behandlung von narzisstischen Spektrum-Störungen - zusammengestellt und kommentiert von Fachpsychotherapeut FSP Markus Frauchiger in CH-3012 Bern
Markus Frauchiger: CV, Lebenslauf und Vernetzung des Autors

Veröffentlichung und Reproduktion nur auf Anfrage beim Autor möglich - dies ist ein vorläufiges Arbeitspapier, welches kontinuierlich erweitert wird.

- EINLEITUNG: Dialektische Einführung in die wichtigsten Konzepte
- NARZISSMUS: Regulation und Kompensation des Selbstwertes
- SELBST: Soziologische Dimensionen des Selbstwertes im "Zeitalter des Narzissmus"
- ENTWICKLUNG: Spiegelstadium, Identität, Gegenwartsmomente und die "Fesseln der Liebe"
- ESOTERIK: Populismus, "das falsche Selbst" und der manipulierbare Mensch
- BEZIEHUNG: Empathie und Bezogenheit - Würdigung, Kongruenz und Echtheit
- TECHNIK: Vom Anthropozän zum Posthumanismus - Konsum, Wachstum, Medien und digital-visueller Narzissmus
- RESONANZ: Emotion, Körper und Intuition - "Embodiment, Enactment, Empowerment"
- DEMOKRATIE: Von der Aufmerksamkeit der 'Neuen Rechten' zur Anerkennung der "Andersheit des Anderen"
- PSYCHOTHERAPIE: Wirkfaktoren dialektischer, synergetischer und relationaler Psychotherapie
- LITERATUR: Quellenangaben und Bücher




10. PSYCHOTHERAPIE: Wirkfaktoren postmodern-dialektischer Psychotherapie

I. Psychotherapie-Forschung

II. Unspezifische Wirkfaktoren: Setting und Beziehung

  • Würde und Anerkennung: Psychoanalyse und Sozialphilosophie als Grundlagenwissenschaften (Honneth, Bieri)
  • Beziehungsgestaltung in der Psychotherapie (Rogers, Perls, Petzold, Staemmler, Grimmer, Znoj u.a.)
  • Beziehung und Kreditierung: PT zwischen Zumuten und Mut machen ("Zürcher Schule" (Grimmer, Boothe)
  • Das Prinzip Anerkennung: Relationale Narzissmus-PT nach Mitchell, Benjamin und Altmeyer

    III. Spezifische und generische Wirkfaktoren: Techniken und Methoden

  • "Traditionelle" Wirkfaktoren: Mustererkennung, Einfühlen, Hoffnung und Perspektive vermitteln
  • "Neue" Wirkfaktoren der Selbstorganisation: Empowerment, Embodiment und Enactment
  • Metaphern: sozial konstruierendes "Verwörtern" des psychologischen Selbst (Gergen, Tschacher, Buchholz)
  • Mentalisieren, Kognitives Umstrukturieren etc.
  • Korrigierende Erfahrungen: Humanismus und moderne Psychodynamik

    IV. Störungsspezifische Psychotherapien des narzisstischen Spektrums

  • Klassische psychoanalytische Konzepte der Narzissmus-Psychotherapie: Freud, Winnicott, Klein und Kohut
  • Weitere Konzepte: Fonagy (MBT), Linehan (DBT), Kernberg (TFP), Streeck (PiM), Young (SFT)
  • Dialektische Psychotherapie: Symbolisieren, Imaginieren, Triangulieren, Integrieren (M. Frauchiger)

    V. 'Dialektische Psychotherapie' (DP) und 'Psychotherapie-Wissenschaft' (PTW)

  • "Der forschende Praktiker und der praktizierende Forscher"
  • PTW - Psychotherapieforschungsmethoden (Fischer, Gödde/Buchholz)
  • DP - Eine Sammlung von Interventionen und Methoden (Frauchiger)

    VI. Psychotherapie' (DP) und 'Psychotherapie-Wissenschaft' (PTW)

  • "Der forschende Praktiker und der praktizierende Forscher"
  • PTW - Psychotherapieforschungsmethoden (Fischer, Gödde/Buchholz)

    V. Kommentierte Fallbeispiele: Der Flieger und andere Narzissmus-Behandlungen

    "Die subjektivierenden Blicke des Anderen haben eine individuierende Kraft"
    Jürgen Habermas (2005 S.19)

    I. Psychotherapie-Forschung

    Anknüpfend am ersten Kapitel dieses Buches wo es um die Differenz zwischen cartesianisch-nomothetischen und qualitativ-idiographischen Weltbildern und Forschungsphilosophien ging, zitiere ich im folgenden wiederum Prof. Gottfried Fischer wie er diesen Gegensatz als scheinbaren entlarvt und dialektisch zu verbinden trachtet. Diesen Gedanken vertiefe ich im vierten Unterkapitel weiter um meine eigene Konzeption der "Dialektischen Psychotherapie" zu begründen.
    Als nächstes gebe ich einen Text wider wo Fischer eine gehörigen Schelte austeilt am dominierenden Forscher-Gehabe und dieses als "alten Wein in neuen Schläuchen" beschreibt, welches als schickes und sich modern gebärdendes Paradigma des "Neobehaviorismus" daherkommt:

    Philosophische Grundlagen einer 'Psychotherapie-Wissenschaft'

    Es ist m.E generell ein gestiegenes "Bedürfnis nach geisteswissenschaftlichen Grundlagen der Psychotherapie" (Fischer 2009 S.93) zu konstatieren. Fischer beschreibt diese Grundlagen mithilfe mehrerer philosophischer Grundhaltungen und deren Kritik anhand aktueller Philosophen (Wandschneider und Kesselring) wie folgt:

    Skeptizismus: Das „unglückliche Bewusstsein“

    "Das Leiden der Patient(inn)en an ihren unerkannten Konflikten und Widersprüchen und seine therapeutische „Aufhebung“ in einem autonomen Entwicklungsschritt" (Fischer 2009 S.94) wird als Entsprechung zum „unglücklichen Bewusstsein“ bei Hegel und dessen Ueberwindung diskutiert. Reflexion und dialektische Aufhebung jener Konflikte und Widersprüche, an denen die Patientin in der therapeutischen Ausgangslage „leidet“ (in ihrem „unglücklichen Bewusstsein“) käme damit der Status eines Paradigmas für die Psychotherapie zu - siehe weiter unten im Kapitel 'Psychotherapie-Wissenschaften'.

    Vorschläge für ein psychotherapeutisches Paradigma

    Es können als "klassische Methoden geisteswissenschaftlicher Forschung Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik angesehen [werden]. Mit Danner (2006) können diese drei wie folgt (schematisch und idealtypisch vereinfacht) in einen Zusammenhang gebracht werden:
    • Phänomenologie als beschreibende Bestandsaufnahme, die darauf abzielt das Wesen einer Sache oder eines Sachverhalts zu erfassen.
    • Hermeneutik als Verstehen und Auslegen des beschriebenen Bestandes.
    • Dialektik als weiterführende Reflexion über den beschriebenen und verstandenen Bestand" (Lovric 2009 S.133).

    Hegel und Piaget

    "Mit dem Beitrag des Berner Philosophen Thomas Kesselring, der zum Vergleich zwischen Piaget und Hegel publiziert hat, klingt die Frage des psychotherapeutischen Paradigmas an" (Fischer 2009 S.95).
    Das gewaltige Werk Jean Piagets erscheint für die 'Psychotherapie-Wissenschaft' (PTW) unverzichtbar. Kesselring benennt allerdings notwendige Ergänzungen zu Piaget, wie etwa eine Theorie der Emotionen, der Empathie und das Verständnis von Entwicklung aus der Auflösung von Antinomien und Widersprüchen im Unterschied zu Piagets Theorie der „Aequilibration“. Damit wird der Anschluss gewonnen an Hegels Dialektik. Es bestärkt sich der Eindruck, dass diese als Paradigma auch für die PTW in Betracht kommt.
    Der Berner Psychotherapieforscher Klaus Grawe (2005) hingegen empfiehlt eine Ausrichtung der Psychotherapie an der experimentellen Psychologie als Grundlage seiner „Allgemeinen Psychotherapie“. Nach Grawe käme das psychotherapeutische Paradigma zustande, indem die Psychotherapie Methodik und Gegenstandsbestimmung der experimentellen bzw. der „empirischen Psychologie“ übernähme".

    Husserl und Heidegger

    Die Semiotik nach Charles Peirce als eine der weiteren fruchtbaren Entwicklungslinie der PTW

    „Naturwissenschaft des menschlichen Geistes“

    PTW - Psychotherapieforschungsmethoden

    »Von dieser objektivistischen Position unterscheidet sich eine wissenschaftliche Psychotherapie durch systematische Rücksicht auf die Subjektivität ihres Gegenstandes (…) Mit dialektischem Denken erfassen wir die innere Logik und die Entwicklungsgeschichte des subjektiven Systems« (Fischer 2011 S.46). Die in Fischers Buch dargestellte Therapie lässt eine 'mäeutische Form' der Beziehungsgestaltung erkennen, wo sich der Therapeut darauf verlässt, dass der Patient eine Art »unbewusstes Wissen« über seine Störung besitzt, das nicht durch Belehrung erzeugt, sondern durch Therapie lediglich gefördert werden muss.
    Das »Detektivmodell der Forschung«: Man lernt in Anlehnung an Charles Sanders Peirce [Semiotik] den Unterschied zwischen Deduktion, Induktion und Abduktion und versteht, wie schwer es nicht nur sorgfältig arbeitende Psychotherapeuten, sondern auch Kriminalkommissare bei der Hypothesenfindung haben. Karl Poppers Falsifikationsmodell wird dem »hermeneutischen Exklusionsverfahren« und einer Forschung im Kontext von Entdeckung und Beweissicherung gegenübergestellt, wobei Fischer ausführlich auch auf die Aspekte von qualitativer und quantitativer Forschung eingeht" (Wolfrum 2011).

    Die drei wichtigsten Methoden der Psychotherapieforschung

    1.) Randomized Controled Trials (RCT: Zufallsbestimmte Kontrollierte Studie, salopp: »Pharma Type Studies«)


    2.) Naturalistische Studien (auch als Feldstudien bekannt)

    (...)

    3.) Systematischen Fallstudien, die sich auf den Einzelfall beschränken oder fallvergleichend verfahren.

    (...)

    'Psychotherapie-Wissenschaften' (PTW)

    "Aufbau einer eigenständigen Wissenschaft „Psychotherapie“ an den Universitäten

    Quellen:
    Buchholz, Michael B. (2000): Effizienz oder Qualität? Was in Zukunft gesichert werden soll. In: Forum der Psychoanalyse 16, S.59-80.
    Buchholz, MB, Gödde, Günter (2006 Hrsg.). Das Unbewusste - Band III: Das Unbewusste in der Praxis. Giessen: Psychosozial.
    Caspar, Franz (2011). Editorial: Hat sich der störungsspezifische Ansatz in der Psychotherapie »zu Tode gesiegt«? In: Psychother. Psychosom. med. Psychol. 61, S.199.
    Eichenberg C, Müller K, Fischer G (2007). Die Motivation zur Berufswahl Psychotherapeut/in: Ein Vergleich zwischen Schülern, Studierenden und (angehenden) Psychotherapeuten. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin 2: 83–98.
    Fischer, Gottfried (2008). Logik der Psychotherapie - Philosophische Grundlagen der Psychotherapiewissenschaft. Asanger, Kröning.
    Fischer, Gottfried (2007). Kausale Psychotherapie - Aetiologieorientierte Behandlung psychotraumatischer und neurotischer Störungen. Asanger, Kröning.
    Fischer, Gottfried (2011). Psychotherapiewissenschaft. Giessen: Psychosozial.
    Fischer G, Barwinski R, Eichenberg C, Fischer A, Mosetter K, Mosetter M (2008). Zur Biosemiotik unterbrochener kommunikativer Handlungen – auf dem Weg zu einer psychotraumatologisch fundierten Psychosomatik. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin 2: 9–24.
    Fischer, G., Möller, H. (2006): Psychodynamische Psychologie und Psychotherapie im Studiengang Psychologie. Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft. Kröning: Asanger.
    Fleck, Ludwig (1935). Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache - Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980.
    Gödde, Günter, Buchholz, Michael B. (2012 Hrsg.). Der Besen, mit dem die Hexe fliegt - Wissenschaft und Therapeutik des Unbewussten. Band I: Psychologie als Wissenschaft der Komplementarität. Giessen: Psychosozial.
    Hacking, Ian (1983). Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften. Stuttgart: Reclam 1996.
    Hoffmann SO, Rudolf G, Strauß B (2008). Unerwünschte und schädliche Wirkungen von Psychotherapie. Eine Uebersicht mit einem Entwurf eines eigenen Modells. Psychotherapeut 53: 4–16.
    Jüttemann, G., Mack, W. (2010 Hrsg.). Konkrete Psychologie - Die Gestaltungsanalyse der Handlungswelt. Lengerich: Pabst.
    Kaehler KE (2007) Zum Verhältnis von Phänomenologie und Psychologie bei Hegel und Husserl. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin 4: 47–57.
    Kesselring, Thomas (1981). Entwicklung und Widerspruch. Ein Vergleich zwischen Piagets genetischer Erkenntnistheorie und Hegels Dialektik. Suhrkamp, Frankfurt.
    Kesselring Th (1984) Die Produktivität der Antinomie. Hegels Dialektik im Lichte der Erkenntnistheorie und formalen Logik. Suhrkamp, Frankfurt.
    Kettner M (1998) Zur Semiotik der Deutungsarbeit. Wie sich Freud mit Peirce gegen Grünbaum verteidigen lässt. Psyche 7:619–947.
    Kuhn, Thomas (1962). Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976
    Lohmar B (2008) Phänomenologie der schwachen Phantasie. Untersuchungen der Psychologie, Cognitive Science, Neurologie und Phänomenologie zur Funktion der Phantasie in der Wahrnehmung. Springer, Berlin.
    Pritz A. (1996). Psychotherapie – eine neue Wissenschaft vom Menschen. Springer, Berlin.
    Rath, N. (2010). Vom Wandern in Seelenlandschaften. In: Jüttemann&Mack (2010) S.109-123.
    Rheinberger, HJ (2007). Historische Epistemologie zur Einführung. Hamburg: Junius.
    Sauer M, Emmerich S (2007). Beziehungbasierte Integration: Ein Praxismodell integrierter Medizin. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin 4: 59–69.
    Walach, H. (2009). Psychologie - Wissenschaftstheorie, philosophische Grundlagen und Geschichte. Ein Lehrbuch. 2.aktual.Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.
    Wampold, B. (2001). The Great Psychotherapy Debate. Models, Methods and Findings. Mahwah, NJ/London: Lawrence Erlbaum Asssociates.

    Wandschneider D (2007) Der Begriff des Lebens bei Hegel und das Leib-Seele-Problem – in systemtheoretischer Perspektive. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin 4: 7–23.
    Wandschneider Dieter (1995). Grundzüge einer Theorie der Dialektik. Rekonstruktion und Revision dialektischer Kategorienentwicklung in Hegels „Wissenschaft der Logik“. Klett, Stuttgart.
    Wandschneider Dieter (1982). Raum, Zeit, Relativität: Grundbestimmungen der Physik in der Perspektive der Hegelschen Naturphilosophie. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main.

    Wolfrum, Gerhard (2011). Online-Rezension zu "Gottfried Fischer: Psychotherapiewissenschaft" - http://www.socialnet.de/rezensionen/13214.php."


    II. Unspezifische Wirkfaktoren: Setting und Beziehung

    Rahmenbedingungen und unspezifische Wirkfaktoren

    "Als sog. „Basisgüter“ für ein gutes menschliches Leben brauchen wir Gesundheit, Sicherheit, Respekt sowie liebe- und vertrauensvolle Beziehungen", so Robert und Edward Skidelsky im bereits oben erwähnten Buch "Wie viel ist genug?".
    "Zudem müssen Grundbedürfnisse wie Entfaltung der Persönlichkeit, Harmonie mit der Natur und Musse befriedigt sein, also eine Tätigkeit ohne äusseren Zweck. Nicht selten werden wir dabei vor Fragen gestellt wie: „Soll ich eine Karriere anstreben und dafür Musse opfern?“ Die Antwort kann nur in jedem von uns selbst liegen."
    Ein Weg zu dieser individuellen Antwort auf eine kollektive Frage stellt die Psychotherapie dar. Um diese soll es in diesem letzten Kapitel gehen, in diesem Teil alle psychischen Störungen betreffend (sog. unspezifische Wirkfaktoren bzw. Placebo-Effekte), im nächsten Teil geht es um Forschungsresultate zu spezifischen Wirkungen und im übernächsten Unterkapitel stelle ich das Anerkennungs- bzw. Kreditierungs-orientierte, relational-psychotherapeutische Vorgehen bei narzisstischen Störungen vor.

    Eine Art zu leben - Die Würde des Menschen (Peter Bieri)

    Kränkung erster Güte: Eine Therapie brauchen (vgl. weiter unten: Klientenvariablen)

    Der Berner Philosoph Peter Bieri schafft es in einem seiner Bücher sehr schön und einfühlsam, die Ambivalenzen sowohl des Klienten wie auch des Therapeuten zu beschreiben und in Würde auszuhalten was auch immer da kommen mag auf disem Weg einer Psychotherapie. Es folgt deshalb ein längerer Abschnitt aus seinem 'Würde-Buch':
      "Es kann geschehen, dass ich mit meinem Leben in eine seelische Sackgasse gerate. (...) Es bedeutet, dass ich es nicht allein schaffe. Das verstösst gegen das Bedürfnis nach Selbständigkeit. Doch was für eine Selbständigkeit meine ich damit? Hatte ich sie früher, als es ohne Therapie ging? Gibt es diese Selbständigkeit überhaupt?
      Was durch die Krise in Gefahr gerät, ist die Vorstellung, ich könnte in meinem Innern alles selbst beeinflussen und bereinigen. Ich könnte in meiner Innenwelt der allmächtige Drehbuchschreiber und Regisseur sein und das lebenslange Drama meiner Seele ganz allein schreiben.
      Natürlich weiss ich: Dieses Drama hängt auch davon ab, was von aussen auf mich zukommt, durch die Welt, durch die anderen. Aber wie ich gedanklich und im Erleben darauf reagiere – darüber bestimme ich allein, da brauche ich keine Krücken und keine Helfer. Es kann schon sein, dass Dinge passieren, die mich überwältigen und die ich nicht sofort unter Kontrolle bringen kann. Aber am Ende finde ich mich allein zurecht.
      Es wäre kränkend, sich eingestehen zu müssen, dass es so nicht ist. Die Kränkung wäre grösser, als wenn ich sonst um Hilfe bitten müsste, um Geld oder andere Unterstützung. Viel eher als zum Therapeuten – mag ich denken – gehe ich noch aufs Sozialamt oder stelle mich als Bettler an die Ecke. Denn all das betrifft nur äussere Dinge und lässt mir die Gewissheit, dass ich dort, wo es wirklich darauf ankommt, nämlich im Inneren, selbständig bin. Und es wäre ja nicht nur mangelnde Selbständigkeit, mangelnde seelische Autarkie, die ich mir mit dem Gang zum Therapeuten eingestehen müsste. Auch mangelnde Selbsterkenntnis müsste ich anerkennen. Ich müsste einräumen, dass ich mein Leben teilweise als Unwissender lebe, als einer, der gerade auf demjenigen Territorium ein Umherirrender ist, das für jeden das wichtigste Territorium ist: sein Leben.
      Die Kränkung ist vielleicht unvermeidlich. Was man jedoch vermeiden kann, ist ein Missverständnis: dass es sich um eine Demütigung und einen Verlust der Würde handle. Ich werde vor dem Therapeuten Schwäche und Ohnmacht offenbaren, die ich hier zum ersten Mal eingestehe, auch vor mir selbst. Doch es gibt niemanden, der daraus eine Demütigung macht, die mir die Würde wegnähme. Einer, der demütigt, führt mir die Ohnmacht vor und geniesst sie. Der Therapeut lehrt mich die Schwäche sehen, doch der Rhythmus ist: Das ist bereits der erste Schritt, um die Ohnmacht zu beseitigen.
      In Wirklichkeit ist es also umgekehrt: Die Arbeit mit einem Therapeuten verringert meine Ohnmacht und hilft mir, verlorene Würde durch wachsende Selbsterkenntnis zurückzugewinnen. Sie befreit mich von unfreiem Wollen, Empfinden und Tun. Die Würde im Sinne der Selbstbestimmung wächst und festigt sich. Und die Würde wächst auch in einem Sinne, von dem im vierten Kapitel die Rede sein wird: Ich lerne Lebenslügen und Selbsttäuschungen zu durchschauen und mit mir selbst wahrhaftiger zu sein. Der Gang zum Therapeuten ist Ausdruck von Würde, die Verweigerung Ausdruck von falschem Stolz, der verletzte Eitelkeit als Würdeverlust missversteht.

      (...) Körperlich krank sein – das ist nicht kränkend, es stellt meine seelische Selbständigkeit nicht in Frage. Der Blickwechsel zwischen Patienten in einem solchen Wartezimmer ist ein besonderer. Die Blicke können scheu und ausweichend sein: »Wir haben gemeinsam, dass wir in seelischer Not sind und uns nicht mehr selbst helfen können; aber es ist am leichtesten, wenn jeder damit für sich bleibt, auch wenn wir nun zufällig hier ein paar Minuten zusammensitzen.« Doch es kann auch sein, dass man sich in den Blicken offen begegnet: »Es ist schwer, wenn man nicht mehr allein zurechtkommt, nicht wahr? Ich bin froh zu sehen, dass es anderen auch so geht. Irgendwie erleichtert es.« Oder vielleicht sagen die Blicke sogar: »Wir haben also beide diesen Schritt getan – und können darauf stolz sein, denn wir haben die Verantwortung für uns übernommen.«
      Plötzlich kommt ein Nachbar oder Berufskollege herein. »Sie auch?«, sage ich. »Nur ein Rat, wenige Stunden...«, sagt der Kollege. »Ach, wirklich? Ich möchte das ein paar Jahre machen«, sage ich.
      (...) In der Apotheke sah ich eines Tages, wie mein Nachbar eine Schachtel Neuroleptica bekam. Er sah, dass ich es bemerkte, und senkte beschämt den Blick. »Diese blöden Stoffwechselstörungen!«, sagte ich. »Einfach lächerlich! Einmal spielt die Leber verrückt, dann das Gehirn, und dann …« Verblüfft sah er in mein lachendes Gesicht. Dann lachten wir zusammen und gingen einen Kaffee trinken. Das machen wir seither öfter. Zur Würde eines Menschen gehört die Einsicht, dass alle innere Selbständigkeit zerbrechlich ist, auf Sand gebaut. Diese Einsicht kann ein kostbares Gefühl der Solidarität entstehen lassen" (Bieri 2013 S.108-112).

    Therapeutenvariablen - Mit einem Therapeuten arbeiten

      "Wenn jemand aus purem Eigennutz mit den unbewussten Kräften in einem Menschen spielt, ohne sich um dessen Autorität und Wohl im geringsten zu kümmern, dann manipuliert er ihn und nimmt ihm in dieser Manipulation die Würde. Er verhilft den unterdrückten, verbannten und verleugneten Gefühlen, Wünschen und Phantasien auf eine Weise zum Durchbruch, dass sie, wie bei Abel, die Autorität des Betroffenen zerstören. Doch der Prozess, in dem bislang unbewusste Impulse zu ihrem Recht kommen, muss kein Prozess sein, in dem unsere Würde in Gefahr gerät. Es kann sich um einen therapeutischen Prozess handeln, der die Würde respektiert, indem er die Autorität und innere Freiheit eines Menschen vergrössert. Was geschieht dabei?
      Therapeutische Einflussnahme ist planvoll, aber es fehlt ihr die eigennützige Absicht. Wenn ich mich auf die Arbeit mit einem Therapeuten einlasse, weiss ich, dass diese Arbeit mich verändern wird. Ich weiss, dass ich am Ende den anderen und mir selbst gegenüber in einer anderen seelischen Verfassung sein werde als jetzt, dass die Muster meines Tuns sich ändern werden, und dass die Dinge eine Wendung nehmen können, die ich mir zu Beginn nicht vorzustellen vermag. Doch es gibt etwas, was mich dagegen schützt, dabei meine Würde zu verlieren: Die Einflussnahme ist verabredet. Ich schliesse mit dem Therapeuten einen Pakt, ein Bündnis, dessen Ziel es ist, mich von einem seelischen Leiden zu befreien und mich aus einer inneren Sackgasse herauszuführen, aus der ich allein nicht herausfinde. In einer Therapie wird ein geschützter Raum geschaffen, in dem es ausschliesslich darum geht, den Betroffenen zu verstehen, ihm zu einem besseren Verständnis seiner selbst zu verhelfen und ihn zu seinem Wohl zu verändern. Es zeichnet den guten und integren Therapeuten aus, dass er vor eigennützigen Absichten auf der Hut ist, sie aus dem Spiel lässt und die Gefühle, die ich ihm entgegenbringe, nicht ausnutzt.
      (...) Therapeutischer Einfluss ist eine uneigennützige Verführung zum Guten. Wie bei der eigennützigen Verführung lassen sich zwei Formen unterscheiden: diejenige, bei der die Kontrolle und Autorität der Person in jedem Moment unberührt bleiben, und diejenige, in der es vorübergehend nötig werden kann, sogar diese Autorität ins Wanken zu bringen, um die entscheidende innere Veränderung herbeizuführen. In beiden Fällen wird es darum gehen, Licht ins Dunkel verborgener und zensierter Impulse zu bringen, den Gehalt und die Herkunft meines Selbstbilds aufzuklären, und all den Symptomen nachzugehen, die aus Konflikten zwischen Selbstbild und unverstandenem Erleben entstanden sind.
      Im ersten Fall ist das ein Prozess der Prüfung, des Verstehens und der Veränderung, in dem ich jederzeit innehalten und mich besinnen kann. Wenn ich mir mit einem Therapeuten meine Lebensgeschichte vergegenwärtige und meine jetzigen Konflikte durcharbeite, so kann es Entdeckungen von grosser Reichweite geben, in denen sich gewaltige innere Umschichtungen ankündigen: eine tiefgreifende Revision meines Selbstbilds; die Wahrnehmung mächtiger Wünsche, die sich nicht länger verleugnen lassen; die Entdeckung, dass ich wichtige Beziehungen zu anderen Menschen falsch buchstabiert habe; die Aufdeckung von Selbsttäuschungen und Lebenslügen. All das kann gewaltige Erschütterungen bedeuten, die mir vielleicht das Gefühl geben, den Boden unter den Füssen zu verlieren, so dass ich zurück in das vertraute Elend flüchten möchte. Entscheidend ist, dass ich bei der Frage, ob ich auf dem Weg, der sich abzeichnet, weitergehen will oder nicht, die letzte Autorität bleibe. Wenn sichtbar wird, dass sich in mir Widerstand gegen nötige Veränderungen regt und ich der therapeutischen Verführung mit Abwehr begegne, so muss ich nicht befürchten, vom Therapeuten überrannt zu werden. Ich selbst bin es, der bestimmt, welche Veränderungen ich zulasse und welche nicht, und ich bin es, der das Tempo bestimmt. Darin liegt meine Würde in diesem gefährlichen Geschehen, in dem so vieles auf dem Spiel steht.
      Doch es kann sein, dass die Dinge in meiner Innenwelt so verfahren sind, dass ich die Fähigkeit des Innehaltens und der nachdenklichen Distanzierung verloren habe. Ich kann das Opfer eines verfehlten und in seiner Abwegigkeit gänzlich erstarrten Selbstbilds sein, das mich vor mir selbst viel zu klein oder viel zu gross macht, ohne dass ich noch zu erkennen vermag, dass mein auswegloses Erleben auf die Tyrannei dieser falschen Vorstellung und Bewertung zurückgeht. Damit können innere Zwänge verbunden sein oder auch Erfahrungen von unbegründeter Angst und angeblicher Schuld, die mich in die innere und äussere Isolation treiben. All das geht vielleicht einher mit einer Sucht, die mich auch auf körperlichem Weg unzugänglich macht. Auf diese Weise kann ich in eine Situation geraten, in der man nicht mehr auf meine Einsichtsfähigkeit bauen kann. Dann wird der therapeutische Einfluss vielleicht anders aussehen müssen: Meine beste Chance könnte nun sein, mich der Wirkung von Medikamenten und der sanften Führung eines Therapeuten zu überlassen, der mir hilft, verkrustete Bilder von mir selbst und eingefahrene Erlebnismuster zusammenbrechen zu lassen, um danach zu einem besseren Verständnis meiner selbst und zu einer neuen Flüssigkeit des Erlebens und Tuns zu finden. Dabei verliere ich für eine begrenzte Zeit meine Autorität, die aber durch den Krankheitsverlauf ohnehin schon beschädigt war. Es ist dann wie bei einer Operation: Ich gebe mich in die Hände eines anderen, um durch dessen Eingriff verlorene Möglichkeiten des Lebens zurückzugewinnen. Meine Würde gerät dabei nicht in Gefahr, weil niemand manipulativ mit mir spielt (...). Das Ziel des Einflusses ist die Wiederherstellung meiner zerfallenen Autorität und Selbstbestimmung, und auch wenn ich in der Zeit der Hilflosigkeit kein wirklicher Partner in einer Begegnung sein kann, so hat mich der Therapeut doch als einen Menschen vor Augen, mit dem es diese Begegnung eines Tages wieder geben wird. Meine Würde, könnte man sagen, ist in dieser Erwartung aufbewahrt.
      Wenn jemand zögert, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, so kann dieses Zögern in einer unrealistischen Vorstellung von seelischer Selbständigkeit begründet sein. (...) Doch das Zögern kann auch aus einem anderen Unbehagen entstehen: Ich möchte mich mit meiner seelischen Not nicht dem distanzierten, professionellen Blick eines Therapeuten aussetzen. Beim Körper macht das nichts, da bin ich froh über den nüchternen Blick des Arztes. Bei der Seele ist es anders. Ich möchte die Seele im Engagement leben, nur darin. Verwandelt mich der distanzierte Blick eines Therapeuten nicht in einen blossen Schauplatz seelischen Geschehens? In ein analysiertes, seziertes Geschehen?
      (...) Die Begegnung mit einem Therapeuten ist eine besonders geartete Begegnung, weil ihr die Symmetrie gewöhnlicher Begegnungen fehlt. Ich kümmere mich nicht so um den Therapeuten, wie er sich um mich kümmert. Ich weiss viel weniger über ihn als er über mich. Trotzdem ist der therapeutische Blick etwas anderes als der vollständig distanzierte Blick, unter dem das seelische Geschehen zu gerinnen droht. Zwar ist der Therapeut nicht in mein gewöhnliches Leben verflochten, und deshalb entstehen keine gewöhnlichen Verwicklungen der Gefühle. Doch in der verschwiegenen Konzentration der therapeutischen Arbeit können eine Nähe und ein Engagement entstehen, die der Tiefe der besprochenen Gefühle entsprechen.
      (...) Bei Freunden ist es anders: Wir reden über Dinge, von denen ich weiss und die sich meiner Wahrnehmung nicht prinzipiell entziehen. Ich muss meine Autorität als Wissender nicht in Frage stellen. Ich muss nicht erwägen, dass es um mich ganz anders stehen könnte als gedacht. Ueberhaupt steht viel weniger zur Disposition als beim Therapeuten, der radikale Fragen aufwerfen kann. Ich weiss, wie mich meine Freunde sehen und fühle mich sicher. Ihr Blick macht mich zwar auch unfrei, wie ich später feststellen mag. Aber er bietet Geborgenheit. Ich bin aufgehoben in ihren Projektionen.
      (...) Ein Therapeut respektiert meine Symptome: Sie haben einen Sinn und sind intelligente Antworten auf die Zumutungen der Lebensgeschichte. Sie sind nicht etwas, was um jeden Preis abzuschaffen wäre. Respektiert wird auch mein Widerstand gegen Veränderung: Das Unbewusste hat seine Gründe, mich schützen zu wollen. Seelischer Widerstand ist nicht etwas, was zu brechen wäre. Er ist Leitlinie für den Therapeuten: Die Heilung liegt dort, wo der Widerstand ist. Denn dort liegt der Konflikt, den es zu bearbeiten gilt. Und auch meine Selbständigkeit bleibt gewahrt: Die Deutungen des Therapeuten sind Vorschläge, keine Verordnungen. Mit der Zeit lerne ich die Grenzen seines Verständnisses kennen. Zu Beginn erscheint er als eine Instanz objektiven Wissens. Was er sagt, trägt nicht das Merkmal seiner Persönlichkeit und ihrer Begrenzungen. Und ich bin froh darüber. Später, wenn seine Deutungen mich in einem Aspekt meines Erlebens systematisch verfehlen, lerne ich: Das kann er nicht anders sehen, weil er so ist, wie er ist. Das heisst nicht, dass mir diese Deutungen nichts nützen: Ich erkenne mich in Abgrenzung gegen seine Geschichte über mich. Darin liegt meine Selbständigkeit im Erkennen, die ich ohne die Auseinandersetzung mit seinen Deutungen nicht erworben hätte. Ich kann diese Distanzierung mit ihm besprechen. Doch auch dieses Besprechen hat Grenzen, und ein Rest der Arbeit verläuft in stiller, produktiver Abgrenzung, die zu meiner Würde im Sinne der Selbständigkeit gehört" (Bieri 2013 S.191-197).
    Quelle: Bieri, Peter (2013). Eine Art zu Leben – Ueber die Vielfalt menschlicher Würde. München: Carl Hanser.


    Der wichtigste Wirkfaktor: Die "therapeutische Beziehung"

    Beziehung, Prozess, Steuerung, Haltung, Stabilität, Basis, Symbolisierung, Mentalisierung, MBT, symbolisch, imaginär, Strukturalismus, Psyche, Winnicott, Psychoanalyse, Psychotherapie Abgeleitet aus der beschriebenen Grundhaltung der Achtung von Würde und Anerkennung (vgl. auch die sog. Rogers-Variablen, Frauchiger 1997) und der breit abgestützten Erkenntnis (zuletzt z.B. Znoj et. al. 2013, Mestel 2014 u.v.a.m.), dass die Therapiebeziehung und deren Gestaltung das weitaus wichtigste und den Technischen Aspekten überlegene psychotherapeutische Element ist, ergibt sich obige Aussage zum mit Abstand wichtigsten Wirkfaktor (vgl. z.B. Mestel 2014), den ich im folgenden zuerst wieder anhand von selber kommentierten Zitaten wiedergeben möchte:

    Das psychotherapeutische Bündnis: Vertrauen – Hoffnung – Kreditierung

    Quellen:
    - Boothe B, Grimmer B (2005). Die therapeutische Beziehung aus psychoanalytischer Sicht. In: Rössler W. (Hrsg). Die therapeutische Beziehung. Wien: Springer, S.37–58
    - Boothe B, Heigl-Evers A (1996) Psychoanalyse der frühen weiblichen Entwicklung. Ruprecht, München
    - Boothe B, Hermann M-L (2011) Beziehungen, die Mut machen: Kreditierung in der Psychotherapie mit Aelteren. Psychotherapie Alter 8:203–216
    - Hermann, Marie-Luise, Dürler, Nicole, Rohrer, Gila, Boothe, Brigitte (2013). Beziehungs- und Kommunikationskonzept der Kreditierung. In: Der Psychotherapeut 58, S.56–62
    - Grimmer, Bernhard (2006). Psychotherapeutisches Handeln zwischen Zumuten und Mut machen - Das Beziehungs- und Kommunikationskonzept der Kreditierung. Kohlhammer, Stuttgart
    - Rössler, W. (2005). Die therapeutische Beziehung. Wien: Springer.

    Ausgehend von der "klassischen" Sichtweise erarbeite ich im folgenden langsam eine eigene, dem relationalen Paradigma verpflichteten, Philosophie und Praxis der Psychotherapie.
    Im Uebergang zwischen "Freudscher Klassik und Benjaminscher Postmoderne" befindet sich u.a. die Position der Zürcher Psychotherapie-Forschergruppe um Brigitte Boothe und Bernhard Grimmer u.a.:

    "Vor allem aufgrund der Ergebnisse der empirischen Psychotherapieforschung wird heute in der Qualität der hilfreichen Beziehung zwischen Therapeut und Patient der wichtigste und grundlegende Wirkfaktor jeder Psychotherapie gesehen (Strupp 2000; Luborsky 1995; Frank 1997). Eine solche Beziehung wird immer von beiden, Therapeut und Patient, gestaltet. Im Laufe ihrer Interaktion entwickeln sie ihre eigene Form der Kommunikation und eine gemeinsame Beziehungsgeschichte. Jede therapeutische Dyade ist deshalb einzigartig und nur bedingt vergleichbar. Das Zusammenpassen [sog. "Matching", M.F.] von dem spezifischen Therapeuten mit dem spezifischen Patienten ist somit ein wesentlicher Faktor für ein gelingendes Zusammenspiel und einen erfolgreichen therapeutischen Prozess (Kantrowitz 1998).
    Die therapeutische Beziehung ereignet sich in einem institutionalisierten und formalisierten Kontext. Der Therapeut als professioneller Helfer befindet sich in einer bestimmten Rolle, die sich u.a. in einer zugewandten und zugleich neutralen und distanzierenden Haltung zeigt. Es entsteht eine sehr persönliche Beziehung, die dennoch zeitlich, örtlich und in ihrer Nähe und Intimität begrenzt ist. Es ist eine ungleiche Beziehung, in der nur die Geschichten und die Geschichte des Patienten Beachtung finden, während der Analytiker als private Person weitgehend anonym bleibt. Diese Ungleichheit ermöglicht, dass der Patient wirklich zur Geltung kommen kann, ist aber für viele Patienten gerade in der Anfangsphase nicht leicht zu ertragen. Im Laufe einer psychoanalytischen Behandlung ist es unvermeidlich, dass von Zeit zu Zeit auch die reale Person des Analytikers, seine Werte und Vorlieben jenseits seiner professionellen Haltung für den Patienten spürbar werden. Diese Momente einer authentischen persönlichen Begegnung [vgl. Stern's Konzept der "Gegenwartsmomente", Kap. XY], in der die gewohnte professionelle Haltung des Therapeuten aufbricht, beleben die Beziehung und werden von Patienten im Rückblick auf ihre Therapie als eine ganz eigene und wesentliche Qualität hervorgehoben (Senf u. Schneider-Gramann 1990). (zit. nach Boothe B, Grimmer B (2005), S. 44-45)

    Die "klassischen" Beziehungs-Wirkfaktoren

    Therapeutenvariablen

    Aktuelle Ergebnisse der Psychotherapieforschung zu diesem Thema (hier: Bernhard Strauß und Heidi Möller) ergeben folgendes Bild: Die beiden Autoren berichten 2009 am der oben erwähnten PTW-Kongress in Köln, dass die persönliche Kompetenz des Therapeuten etwa 20% des Therapieerfolgs ausmache, wogegen theoretische Aspekte der Psychotherapie und die therapeutische Technik in den Hintergrund träten. Die Erforschung des Therapeuten rücke gegenwärtig in den Fokus der Psychotherapieforschung. Therapeutenvariablen, Therapeut, Klient, Wirkfaktoren, Common Factors, Strategie, Methoden, Interventionen, Wirksamkeit, Beziehung, Prozess, Steuerung, Haltung, Stabilität, Basis, Symbolisierung, Psychotherapie Die Therapeutenvariablen werden in vielen Studien in situationsübergreifende 'traits' und in therapiespezifische 'states' aufgeteilt. Dabei ergeben sich objektive sowie subjektive Merkmale wie nebenstehende Abbildung zeigt.
    In einer Studie von Baldwin, Wampold & Imel (2007), welche untersuchten, ob der Effekt der therapeutischen Beziehung, die sich in vielen Studien als sehr relevant für den Therapieerfolg erwies, eher vom Therapeuten oder von der unterschiedlichen Klientel erklärt werden kann, zeigte sich, dass der Mittelwert der TherapeutIn bezüglich der Beziehung mehr über den Therapieerfolg aussagt. D.h. je besser der Therapeut im Durchschnitt eine gute Beziehung zu den Klienten herstellen kann, desto weniger Symptome wiesen die Klienten nach der Therapie auf. Die Studie basiert auf den PatientInnenaussagen, sowohl was die Qualität der Beziehung als auch was das Ergebnis der Therapie betrifft. Die Stichprobe umfasst 80 Therapeuten und 331 Patienten.
    Eine weitere Studie von Laska et al. (2013) ergab, dass 12% der Varianz des Therapieerfolges durch die TherapeutIn erklärt werden kann. Die Studie hat sowohl quantitativ als auch qualitative Elemente, sodass die Ergebnisse überdurchschnittlich aussagekräftig sind.
    SASB, Introjekt, intrapsychisch, Therapeutenvariablen, Therapeut, Klient, Wirkfaktoren, Common Factors, Strategie, Methoden, Interventionen, Wirksamkeit, Beziehung, Prozess, Steuerung, Haltung, Stabilität, Basis, Symbolisierung, Psychotherapie Es ist auch die Trainingsforschung zu erwähnen (z.B. Knox&Hill 2013), in der untersucht wird, ob es wirksam ist, TherapeutInnen zu trainieren. Es gibt Hinweise darauf, dass klientenzentrierte Basisvariablen gut trainierbar sind, aber es gibt noch wenig Anhaltspunkte, was die einzelnen Komponenten anbelangt.
    Bezüglich des Umgangs mit sich selbst (sog. 'Selbstsorge', gemessen mit dem sog. SASB-Intrex (Abb. rechts), vgl. auch Kap. 6) soll untersucht werden, ob dieser sich im Verlaufe der Ausbildung, z.B. durch die Selbsterfahrung, verändert und ob daher viel Selbsterfahrung angezeigt ist oder nicht.

    PatientInnen-Beziehungs-Variablen

    Auch der Patient macht sich ein Bild: Er schätzt die Vertrauenswürdigkeit und insbesondere die Fähigkeit des Therapeuten ein, ihm zu helfen, anfangs oft beeinflusst vom Vertrauen in die professionelle Kompetenz des Therapeuten und in dessen therapeutische Rituale (Frank 1997). Der Therapeut muss sich jedoch auf die Dauer in seinem Handeln bewähren, um das Vertrauen des Patienten zu bestätigen und zu vertiefen.

    Die therapeutische Dyade und die triadische Dynamik

    Eine erste, implizite Integration von eben beschriebener Kreditierungskonzeption und der in Kap. XY bereits breit diskutierten Anerkennungstheorie sensu Jessica Benjamin und Axel Honneth findet sich in folgendem Beitrag von Boothe und Grimmer aus dem Standartwerk Rössler (2005, Hrsg), "Die therapeutische Beziehung":

    "Die psychotherapeutische Beziehung ist zwar eine zwischen zwei Personen, aber sie ist in psychoanalytischer Perspektive nicht als abgeschlossene Dyade zu verstehen. Die beiden Partner sind zwar intensiv aufeinander bezogen, aber sie sind einander nicht genug. Sie schaffen einen Erfahrungsraum, exklusiv für sie beide, aber er öffnet sich notwendig auf ein Drittes hin. Das ist zunächst einfach der Umstand, dass der Patient die Welt draussen in seinen Einfällen und Erzählungen mitbringt und dass seine Situation in der Welt draussen für den therapeutischen Erfolg von ausschlaggebender Bedeutung ist.
    Da ist ausserdem die Tatsache, dass auch der/die TherapeutIn in relevanten Aussenbeziehungen steht, beispielsweise zu Krankenkassen und Supervisoren, und dass Patienten bestimmte Bezugspersonen, die der Therapeut im professionellen und privaten Rahmen hat, interessant finden. Darüber hinaus findet ein systematischer Einbezug des Dritten in einem weiteren Sinn statt: Im aktuellen Beziehungshandeln in der therapeutischen Situation entwickelt sich, psychoanalytisch betrachtet, eine individuelle und wechselnde Dynamik in Auseinandersetzung mit dem dritten Objekt.
    Diese Dynamik wird wirksam in den jeweiligen aus infantilen Wünschen, Aengsten und Abwehrbewegungen gespeisten Uebertragungsbeziehungen. Zwei grobe Beispiele: Mutter und Vater unterscheiden sich nicht. Sie lieben mich beide, und ich bin die einzig wichtige Beziehung für sie. So könnte sich die Wunschphantasie eines Patienten anhören, der die Position des ausgeschlossenen Dritten verleugnet. Ein solcher Patient präsentiert sich in der Uebertragungsbeziehung als kindlicher Hoffnungsträger, als messianische Figur vielleicht, auf den alle gewartet haben und dessen Erscheinen in der Tat – vergleiche die Geburt Christi im Neuen Testament – nicht mit einer exklusiven relevanten Beziehung der Eltern verbunden ist. Es ist Aufgabe des Therapeuten, die übertragene Beziehungsdramaturgie des Patienten mit zu durchleben, mitzugestalten, wahrzunehmen und in der Bearbeitung von Abwehr als triadische Dynamik in Kooperation mit dem Patienten weiterzuentwickeln.
    (...)
    Aber so, wie die Selbstinszenierung als kindlicher Hoffnungsträger einen prekären Preis hat, nämlich auch im reifen Erwachsenenalter immer nur als künftige Verheissung aufzutreten und von einem wohlwollenden Mentor abhängig zu sein, ist für Hänschen die Nähe zur Mutter, die ihn zu brauchen scheint, ein zweifelhaftes Glück. Es hat den Preis des Weltverlustes, eines Gebundenbleibens an die Heimatbasis, [was einer narzisstischen Kränkung gleichkommt, M.F.].
    Therapeutischer Fortschritt kommt in diesem Fall zustande durch die Ausgestaltung und Reflexion der Uebertragungsbeziehung, durch die Analyse von Schuld- und Verpflichtungsgefühlen, durch die Ermutigung der Zuwendung zur weiten Welt und durch das Lebendigwerden eines väterlichen Beziehungspartners.
    Die psychotherapeutische Beziehung in psychoanalytischer Perspektive soll dazu beitragen, dass im Prozess des Erlebens und Reflektierens inneres [narzisstisches, M.F.] Gleichgewicht wiederhergestellt und in Begleitung eines Gegenübers ein Zuwachs an innerer Freiheit erfahren werden kann.
    Für das Verständnis der hilfreichen Beziehung und ihrer variantenreichen Entwicklung im Verlauf einer individuellen psychoanalytischen Behandlung ist das Denken in triadischen Konfigurationen besonders nützlich und aufschlussreich. Die produktive psychoanalytische Triade ist so zu charakterisieren:
    - Der Patient erlebt und artikuliert einen spezifischen Konflikt, der Therapeut unterstützt diesen Prozess der inneren Exploration, Klärung und Bewusstmachung, und vermittelt den Bezug auf das Dritte. (Boothe B, Grimmer B (2005), S. 53-54)

    Das Kreditierungskonzept

    Mit Hilfe des Kreditierungskonzepts (Grimmer 2000, 2006; Boothe u. Heigl-Evers 1996) können die verschiedenen Erkenntnisse zur Bedeutung von Zuversicht, zur Einstellung des Therapeuten und zur Motivierung des Patienten als Merkmale einer Kreditierungsbeziehung verstanden werden: Der Therapeut muss dem Patienten zunächst einmal einen Kredit für sein Anliegen in der Therapie geben. Er muss überzeugt sein, dass der Patient über Ressourcen verfügt, die ihm eine Lösung seiner Probleme und eine Entwicklung und Veränderung in der Zukunft ermöglichen. Er setzt auf das Potential des Patienten.
    Damit einher geht aber eine bestimmte Haltung ihm gegenüber: Der Therapeut begegnet ihm/ihr als einen potentiell machtvollen Akteur und vermittelt ihm sein Zutrauen. Diese Vermittlung erschöpft sich nicht im blossen verbalen Zuspruch (»das wird schon«, »Sie werden das schaffen«), sondern zeigt sich in der gesamten Beziehungsgestaltung.
    Der Therapeut mutet dem Patienten in der gemeinsamen Arbeit etwas zu, konfrontiert ihn mit neuen und unangenehmen Sichtweisen. Eine kreditierende Haltung wirkt der häufig zu Beginn einer Therapie beobachtbaren Selbstwahrnehmung und Selbstpräsentation des Patienten als bedauernswertes Opfer einer versagenden Umwelt entgegen und fördert dessen Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als Akteur, [er/sie verlässt somit mehr und mehr eine Opferhaltung].
    Eine solche Bewegung weg von der Wahrnehmung als passives Opfer hin zur Erkenntnis eigener Aktivität ist ein häufig zu beobachtendes Merkmal eines erfolgreichen psychoanalytischen Prozesses (Lear 1999). Ein kreditierender Beziehungsmodus ist als nicht wegzudenkende Form Entwicklung fördernder Kommunikation zwischen Eltern und Kindern von Boothe u. Heigl-Evers (1996) beschrieben worden, [vgl. das Entwicklungs-Kapitel in diesem Buch].
    In der Psychotherapie ist er aufgrund der empfundenen Hoffnungslosigkeit und mangelnden Kompetenzerwartung des Patienten besonders wichtig. Die Kreditierung des Patienten durch den Therapeuten ist sicherlich vorrangig, umgekehrt muss aber auch der Patient dem Therapeuten Kredit geben, z.B. im Sinne des oben beschriebenen Vertrauensvorschusses in dessen Kompetenz." (Boothe B, Grimmer B (2005), S. xx-xx)


    Die therapeutische Grundhaltung in der Relationalen Psychoanalyse bzw. intersubjektiven Psychotherapie

    Otto F. Kerbergs in Kap. XY und bereits etwas intersubjektiver Boothe/Grimmers oben beschriebene Haltung bzgl. der Beziehung und deren Gestaltung entprechen zwar noch weitgehend einer klassischen, eher autoritativen (vgl. Kap. XY: Entwicklungspsychologie) Experten-Kunden-Beziehung.
    Seit dem "relational turn" Ende des letzten Jahrhunderts hat sich die Beziehungsgestaltung auch in Richtung einer partnerschaftlich-suchenden Unterstützung und Begleitung entwickelt.
    Sehr treffend hat dies Martin Altmeyer im letzten Abschnitt seiner Standortbestimmung "Soziales Netzwerk Psyche" im Forum für Psychoanalyse (2011), Nr. 27, S. 107-127, beschrieben:

    "Die „Revolution“ der Psychoanalyse sieht Stephen Mitchell (2003), [der "Wiederentdecker" der Relationalen Psychoanalyse, Anm. M.F.], auf beiden Seiten der psychoanalytischen Beziehung:
    Der Patient brauche heute weniger das, was ihm die klassische Psychoanalyse [vgl. erstes Kapitel in diesem Buch, Einschub M.F.] angeboten bzw. abverlangt habe, also Aufklärung über die eigene Triebwelt, Verzicht auf infantile Wunschbefriedigungen, Anpassung an soziokulturelle Anforderungen, und erwarte vielmehr Unterstützung bei seiner individuellen Suche nach dem Sinn des Lebens, nach Authentizität und Vielfalt, nach persönlicher Identität ohne Identitätszwang.
    Der Analytiker wiederum besitze weder objektives noch exklusives Wissen über die Psyche seines Patienten; statt nach biografischer Wahrheit suche er gemeinsam mit dem Patienten nach den Bedeutungen, die in dessen Interaktionsgeschichte und Beziehungserfahrungen verborgen sind, einschliesslich der Bedeutung der analytischen Beziehung selbst, und nach neuen Lebensentwürfen (Mitchell 1993, 2005).
    Weil diese Suche ein gemeinsames Unternehmen ist, komme es darauf an, die analytische Beziehung von autoritären Mustern zu befreien, sie egalitärer zu gestalten, ohne freilich deren Asymmetrie in der Rollenverteilung zu bestreiten, und den Patienten an der Deutungsarbeit zu beteiligen.

    Dazu muss der Analytiker sich als lebendiger, interessierter, engagierter Partner verstehen, der die klassische Position des neutralen Beobachters verlässt, seine theoriebewaffnete Objektivität zugunsten einer Selbstreflexivität und persönlichen Offenheit aufgibt, die mit privater Enthüllung nichts zu tun hat. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass der Patient sich in einem „glatten Spiegel“ der therapeutischen Indifferenz nicht selbst erkennen kann [vgl. die beschriebenen Narzissmus-Konzepte im Kap. XY, Einschub M.F.].
    Erst in einem durch Anerkennung „gebrochenen“ Spiegel lässt sich jene kreative Selbsterforschung in Gegenwart eines Anderen betreiben, die dem Patienten nicht nur die Integration seiner lebensgeschichtlich abgespaltenen, abgewehrten, oder abgewerteten Persönlichkeitsanteile erlaubt, sondern ihn auch ermutigt, zu neuen Ufern der Selbst- und Weltbeziehung aufzubrechen".

    Im Artikel "Narzissmus, Intersubjektivität und Anerkennung" (Psyche, 54/2000) schreibt Altmeyer zur Narzissmus-Psychotherapie:
    "Es ist geradezu die Abhängigkeit vom Anderen, die im Narzissmus verborgen wird und sich gleichzeitig auf eigentümliche Weise enthüllt. In den vielfältigen Ausdrucksformen dessen, was wir Narzissmus nennen, sind unbewusste Botschaften an die Welt enthalten. Uebersetzt lautet die suggestive Mitteilung etwa:
    "Schau mich an, höre mir zu, beachte mich, bewundere mich!" oder: "Halte mich, liebe mich, erkenne mich an!" – sie kann auch heissen: weil/wenn Du das verweigerst, ziehe ich mich von Dir zurück oder greife Dich an! oder aber: ich fühle mich grossartig und eins mit der Welt – vielleicht auch: "Mit einer Welt, die mich so behandelt (hat), will ich nichts zu tun haben!"
    Im Uebertragungsgeschehen, und das nicht nur bei der Behandlung narzisstischer Störungen, sind wir Adressaten solcher Botschaften, wie wir bei der Analyse unserer Gefühle der Gegenübertragung erkennen".

    Küchenhoff (1999) schreibt folgendes zur Verschränkung von Intra- und Intersubjektivem:
    Die Verschränkung der intrapsychischen und intersubjektiven Ebene
    [Es] läßt sich eine Konvergenz zwischen klinischer Theorie zu den frühen Störungen und der Säuglingsforschung erkennen. Es geht beidesmal um die Polarität zwischen Trennung und Beziehung; in einem Fall wird Trennung durch Beziehung kompensiert, also durch die Beziehung Trennung verarbeitbar; im anderen geht es um die Anerkennung der Getrenntheit, um die positive Bestätigung der Trennungsschritte innerhalb der Beziehung. Immer ist es der Andere, der den Rahmen für das Trennungserleben anbietet.

    Wer ist der Andere?

    Um Mißverständnisse zu vermeiden, soll nicht einfach vom „äußeren Objekt“ gesprochen werden; so vertraut uns dieser Begriff klingen mag, ist er m.E. doch problematisch. Denn der psychoanalytische Objektbegriff lebt davon, daß mit ihm nicht der andere Mensch beschrieben wird, sondern seine Besetzung oder, anders gesagt, seine wunsch- oder triebbestimmte Perspektivierung. Dann aber können Objekte nicht die „wahren“ Bilder der Anderen sein, was ja auch erkenntnistheoretisch betrachtet nicht möglich ist – auch die sog. „äußeren Objekte“ nicht. Jenseits der Objektbesetzung ist nicht mehr das Objekt, sondern der Mitmensch, auf den ich mich beziehe und der sich mir zugleich entzieht. Nicht vom Mitmenschen ist hier die Rede, sondern vom Anderen, weil das „Mit-“ zu einseitig die Verbundenheit betont; es geht aber um das Wechselspiel von Verbindung und Differenz. Der Begriff ist nötig, um die Beziehungsdimension zu beschreiben, die im Objekterleben nicht aufgeht, die anzeigt, daß es ein Jenseits der Beziehung zum Objekt gibt, das die Beziehung zu einer Aufgabe macht, die prinzipiell nicht abzuschließen ist.
    „Der Andere“ soll eine weitere Metapher sein, um diese letzte Trennungsdimension zu beschreiben. Trennungen müssen selbst anerkannt werden. Korrekter wäre es, von der „Anerkennung des Anderen“ zu reden; der Einfachheit halber soll es bei dem Kürzel bleiben, mit dem sich das Reflexivwerden der Trennungserfahrung gut beschreiben läßt.

    Die Anerkennung des Anderen, die Liebe und die implizite Ethik der Psychoanalyse
    Psychoanalytische Therapie löst das Spannungsfeld zwischen den (inneren) Objekten und dem Anderen nicht auf. Im Gegenteil, sie verhilft zu seiner Bewusstwerdung.
    Ziel der Psychotherapie ist es demnach, dass aus den Objekten Andere werden können, also Subjekte, zu denen wir einen Bezug herstellen, die objekthaft besetzt werden können, aber nicht in dieser Besetzung aufgehen. Es ergibt sich ein Paradoxon: gerade als Analytiker sehen wir, wie bedeutsam Objektbesetzungen sind. Es geht nicht anders, als in jeder Beziehungsaufnahme aus dem Anderen ein Objekt zu machen; wir können nicht aufhören, die anderen zu besetzen.
    Aber wir können in der Analyse erfahren, daß und auf welche Weise wir es tun. Und dieser selbstreflexive Schritt hat Auswirkungen: an die Stelle des Wunschs nach Rückkehr in die – nachträglich aufgebauten – Paradiese, an die Stelle der imperativen Anforderungen an die Anderen, das oder jenes für mich zu sein, tritt der in sich zurückgebogene, also reflektierte, nicht der aufgelöste Wunsch.
    Für meine Beziehung zum anderen heißt das nicht, daß ich ihn nun interesselos, ohne Egoismus, nur um seiner selbst willen etc. betrachte, aber ich rechne mit den Effekten der Trennung. Ich anerkenne seine Unterschiedenheit, und die Anerkennung seiner Subjektivität ist die Anerkennung der Tatsache, daß er mir immer wieder entgleitet, weder in meinen Wünschen noch in meinen Ueberzeugungen aufgeht. (Küchenhoff 1999, S. 199-200



    Beziehungs-Phänomene in der Klassischen Psychoanalyse, Objektbeziehungs- und Selbstpsycholgie

    Uebertragung und Gegenübertragung

    ..........im folgenden zuerst wieder anhand der beiden bereits mehrfach erwähnten Psychoanalytiker Kohut und Kernberg, darstellen möchte; dies wiederum anhand von Originalzitaten:

    Das Wesen der spontan sich entwickelnden Uebertragung:

    (...)
    Im Folgenden und im Anschluss an meine Zitate in Ka. XY, S. xy, untersucht Heinz Kohut in seinem wichtigen Werk von 1973 "Narzissmus":
    1. die Uebertragungen, die aus der therapeutischen Mobilisierung der idealisierten Elternimago entstehen (idealisierende Uebertragung genannt);
    2. die aus der Mobilisierung des Grössen-Selbst entstehenden (zusammenfassend als Spiegelübertragung bezeichnet);
    3. die Uebertragungsreaktionen des Analytikers (einschliesslich seiner Gegenübertragungen), die man während der Freisetzung der idealisierten Elternimago in der Uebertragung bemerkt; und
    4. jene, die man während der Freisetzung des Grössen-Selbst des Patienten findet. .“ (S. 43)

    Die idealisierende Uebertragung:
    „Die therapeutische Aktivierung des allmächtigen Objekts (der idealisierten Elternimago), idealisierende Uebertragung genannt, ist die Wiederbelebung eines von zwei Aspekten einer frühen Phase der seelischen Entwicklung in der Psychoanalyse. Sie ist der Zustand, in dem die Psyche, nachdem sie eine Störung des Gleichgewichts des primären Narzissmus erleiden musste, einen Teil des verlorenen Erlebens der umfassenden narzisstischen Vollkommenheit dadurch zu retten versucht, dass sie diese einem archaischen, rudimentären (Uebergangs-)Selbst-Objekt zuschreibt, der idealisierten Elternimago. Da alle Vollkommenheit und Stärke jetzt in dem idealisierten Objekt liegen, fühlt das Kind sich leer und machtlos, wenn es von ihm getrennt ist, und es versucht deshalb, dauernd mit ihm vereint zu bleiben.“ (S. 57)

    Die Spiegel-Uebertragung:
    „Entsprechend der kohärenten therapeutischen Wiederbelebung des idealisierten Selbst-Objektes in der idealisierenden Uebertragung wird das Grössen-Selbst in den übertragungsähnlichen Zuständen therapeutisch reaktiviert, für die der Begriff Spiegelübertragung gewöhnlich verwandt wird, obwohl er nicht umfassend genug ist. Die Spiegelübertragung und ihre Vorläufer stellen somit die therapeutische Wiederbelebung jenes Aspektes einer Entwicklungsphase dar, in der das Kind versucht, den ursprünglichen allumfassenden Narzissmus dadurch zu erhalten, dass es Vollkommenheit und Macht in das Selbst verlegt „hier Grössen-Selbst genannt„ und sich verächtlich von einer Aussenwelt abwendet, der alle Unvollkommenheiten zugeschrieben werden (dies stimmt ungefähr mit dem Zustand überein, den Freud das >purifizierte Lust-Ich< genannt hat.“ (Kohut, S. 57)
    Die kohärente therapeutische Wiederbelebung des Grössen-Selbst vollzieht sich in der Analyse in drei Formen; diese stehen in Beziehung zu spezifischen Entwicklungsstadien dieser psychischen Struktur, wie sie in der therapeutischen Regression sichtbar geworden ist:
    1. Die archaische Verschmelzung durch Erweiterung des Grössen-Selbst;
    2. eine weniger archaische Form, die Alter-Ego oder Zwillingsübertragung und
    3. eine noch weniger archaische Form, die als Spiegelübertragung im engeren Sinne bezeichnet wird." (S. 138)

    Die Spiegelübertragung im engeren Sinne (nach: Kohut, H. (1973). Narzissmus)
    In der reifsten Form der therapeutischen Wiederbelebung des Grössen-Selbst wird der Analytiker am deutlichsten als anderer Mensch erlebt. Er ist jedoch dem Patienten nur im Rahmen der Bedürfnisse, die durch das therapeutisch wiederbelebte Grössen-Selbst geschaffen werden, wichtig und wird nur insoweit von ihm akzeptiert. Für diese Form der analytischen Wiederbelebung des Grössen-Selbst trifft die Bezeichnung >Spiegelübertragung< am meisten zu. S. 140)
    In diesem engeren Wortsinn ist die Spiegelübertragung die Wiederherstellung jener normalen Entwicklungsphase des Grössen-Selbst, in dem der Glanz im Auge der Mutter, der die exhibitionistische Darbietung des Kindes widerspiegelt und andere Formen mütterlicher Teilnahme an der narzisstischen Lust des Kindes und der narzisstisch-exhibitionistischen Lust des Kindes und der mütterlichen Reaktionen auf sie das Selbstwertgefühl des Kindes stärken und durch eine schrittweise zunehmende Spezifität dieser Reaktionen das Selbstwertgefühl in eine realistischere Richtung lenken.“ S. 141)
    Die drei Formen der Wiederbelebung des Grössen-Selbst in der Uebertragung können an ihren verschiedenen klinischen Bildern erkannt werden:
    Ad 1: „Da die älteste Form in der Wiederherstellung einer alten Einheit mit dem Objekt durch Ausweitung des Grössen-Selbst in der Übertragung besteht, hat das Übertragungsobjekt kaum Konturen, und die Beschäftigung mit dem Objekt fehlt in den assoziativen Material entweder ganz, oder sie ist sehr dürftig und unauffällig.“ (S. 147)

    Ad. 2: „Weil die Alter-Ego- oder Zwillings-Uebertragung, in der nicht eine primäre Einheit, sondern eine Gleichheit (Ähnlichkeit) mit dem Objekt wieder hergestellt wird, einer reiferen Entwicklungsphase entstammt als jene der Verschmelzungsübertragung, treten objektbezogene Inhalte in dem assoziativen Material mehr in Erscheinung, und ein gewisses Mass von Getrenntheit vom Objekt wird vom Analysanden verbalisiert.“ (S. 148)

    Ad 3: „Und weil schliesslich die Getrenntheit vom Objekt in der Spiegelübertragung im engeren Sinne kognitiv am deutlichsten entwickelt ist, sind objektbezogene Inhalte hier am häufigsten. Das Objekt ist jedoch selbst hier noch mit narzisstischer Libido besetzt, und es wird nur insoweit darauf reagiert, als es zur Aufrechterhaltung der narzisstischen Homöostase beiträgt (oder diese beeinträchtigt).“ (S. 148)


    Zur Behandlungstechnik nach Kernberg:

    Die typischen Uebertragungs- und Gegenübertragungs-Situationen, wie sie sich (auch) in Behandlungen schwer narzisstisch gestörter Patienten zu entwickeln pflegen:
    „Alle Bemühungen dieser Patienten scheinen nur darauf ausgerichtet zu sein, den Analytiker scheitern zu lassen, die Analyse zu einem belanglosen Spiel zu machen und was immer sie an ihrem Analytiker als gut und wertvoll erleben, systematisch zu zerstören.“ (S. 282 f)

    „Wenn man monate- und jahrelang von solch einem Patienten immer nur als dessen >>Anhängsel<< behandelt wird (was oft auf derart subtile Weise geschieht, dass man es unter Umständen eine Zeitlang gar nicht merkt) so kann es schon passieren, dass man sich allmählich wirklich >>wertlos<< fühlt, zumindest was die analytische Arbeit mit diesem Patienten anbelangt. Alle Bemerkungen und Interventionen des Therapeuten scheinen sich in Sinnlosigkeit zu verflüchtigen, und jegliche Sympathie, die er für den Patienten empfunden haben mochte , wird von diesem systematisch zerstört.“ (S. 283)

    „Im Verlaufe einer über längere Zeit erfolglosen Behandlung kann beim Analytiker schliesslich eine defensive Entwertung des Patienten einsetzen, die diesen wiederum in seinem Verdacht bestärkt, dass auch der Analytiker letztlich nicht anders sei als andere bedrohliche Objekte, von denen er sich schon früher zurückgezogen hat; manchmal gibt auch irgendeine geringfügige Frustration den Anlass dafür, dass der Patient sich plötzlich darüber klar wird, dass er den Analytiker nicht mehr unter seiner Kontrolle hat. In so einem Moment kann es leicht zum Abbruch der Behandlung kommen.“ (S. 283)

    Behandlungstechnische Konsequenzen:
    „So muss der Analytiker vor allem ständig sein Augenmerk auf die besondere Qualität der Übertragung richten und immer wieder konsequent allen Bemühungen des Patienten entgegentreten, die darauf abzielen, ihn omnipotent zu beherrschen, zu kontrollieren und zu entwerten. Weiterhin gilt es auch, die langfristige Entwicklung der Gegenübertragung sorgfältig zu beachten.“ (S. 283)

    „Der Analytiker soll seine Gegenübertragung in den analytischen Prozess mit einbringen – nicht in der Weise, dass er dem Patienten seine Gefühle mitteilt, sondern indem er systematisch seine Gegenübertragung benutzt, um daran die verborgenen Intentionen im Verhalten des Patienten zu erkennen. Da diese Patienten ihren Analytiker als Erweiterung ihrer selbst oder umgekehrt: sich selbst als einen Teil des Analytikers behandeln, spiegelt sich im Gefühlserleben des Analytikers hier noch deutlicher als bei anders gelagerten Fällen das wider, womit der Patient selbst sich innerlich auseinandersetzt; insofern ist die systematische Nutzung der Gegenübertragungsreaktionen bei der Behandlung narzisstischer Persönlichkeiten besonders aufschlussreich.“ (S. 283)

    Zusammenfassend für die besprochenene psychoanalytischen Therapieansätze dient folgende Tabelle aus Hartmann (1997):



    Was in den Ausführungen im ersten Unterkapitel zu "Würde und Psychotherapie" des Berner Philosophen Peter Bieri bereits angeklungen ist, führt Otto F. Kernberg spezifisch auf Menschen mit Narzisstischen Persönlichkeitsstörungen bezogen wie folgt fort:

    In der analytischen Situation:
    - Ein narzisstischer Patient wird zeitweilig seinen Therapeuten idealisieren und davon überzeugt sein, dass dieser der grösste Analytiker der Welt sei.
    Gleichzeitig fühlt er sich insgeheim als der einzige Patient dieses Analytikers
    ; ich habe von mehreren narzisstischen Patienten erfahren, dass sie buchstäblich die Phantasie hatten, der Analytiker sei in den Zeiten, wo der Patient nicht bei ihm sei, verschwunden oder gestorben oder zumindest nicht mehr so >>brilliant<< wie in den Sitzungen mit dem Patienten.“ (Kernberg 1975, S. 272)

    - „Typisch ist auch, dass sie über das Wochenende oder während der Urlaubszeiten ihren Analytiker völlig vergessen und sich keinerlei Trauerreaktionen zugestehen, wie sie sonst bei neurotischen Patienten im Zusammenhang mit Trennungen vom Analytiker doch üblicherweise zu beobachten sind. Kurzum, der idealisierte Analytiker wird vom narzisstischen Patienten nur als Erweiterung der eigenen Person erlebt – oder der Patient erlebt sich als Erweiterung des idealisierten Analytikers: beides kommt im Grunde auf dasselbe hinaus.“ (ders. S. 271)

    - „Diese "Nähe" zum Analytiker, die der Patient so geniesst, verführt leicht dazu, solche Patienten für abhängig zu halten. Umso überraschter ist dann mancher Therapeut, wenn ein Patient, der jahrelang glücklich und zufrieden zu seinen Sitzungen kam und ihm unermüdlich Lob und Bewunderung spendete, plötzlich imstande ist, aus geringstem Anlass, meist nach einer scheinbar unerheblichen Enttäuschung, diese Beziehung ohne weiteres aufzugeben.“ (S. 272)

    - „Gefühle von innerer Leere und Langeweile, worüber diese Patienten häufig klagen, hängen wesentlich mit ihrer verkümmerten Ich-Entwicklung zusammen, vor allem mit ihrer Unfähigkeit, Depression zu erleben. Viele Autoren haben bereits darauf hingewiesen, dass die Fähigkeit, Depression zu ertragen – die ja eng verbunden ist mit der Fähigkeit, über den Verlust eines guten Objekts oder auch eines Idealselbstanteils zu trauern -, eine wichtige Voraussetzung für die emotionale Entwicklung und besonders für die Verbreiterung und Vertiefung des Gefühlslebens darstellt. Hinzu kommt die Entwertung äusserer und innerer Objekte, die bei diesen Patienten mit pathologischem Narzissmus ständig alle Beziehungen ihrer Bedeutung entleert und damit das innere Leeregefühl noch verstärkt.“ (S. 272)

    - „Das ist eben die Tragik dieser Menschen, dass sie so bedürftig sind und so viel von anderen brauchen, aber das, was sie bekommen, gar nicht anerkennen können, weil es sie sonst zu neidisch machen würde; deshalb fühlen wir uns ja immer von ihnen so ausgewrungen und entleert.“ (S. 273)

    Persönliche Anmerkungen:

    Sozialisiert durch die 'harte', sprich: nur durch quantitative Statistik erhärtete Fakten akzeptierende, Schule des leider früh verstorbenen "Star-Psychologen" Prof. Klaus Grawe hat es einige Jahre gedauert, bis ich mich über Umwege (Gestalttherapie, Integrative Therapie) wieder meinen eigenen psychologischen Wurzeln zuzuwenden vermochte: der Psychoanalyse nach Sigmund Freud und seinen Nachfolgern.

    Ich habe selber im Rahmen der für angehende Psychotherapeuten gesetzlich vorgeschriebenen Selbsterfahrung einige Therapieverfahren an eigener Haut erfahren dürfen. Die psychoanalytische Psychotherapie hat mir dabei mit Abstand am meisten gebracht; sowohl an Einsichten als auch an konkreten Hilfen für den privaten wie auch beruflichen Alltag.
    Ich finde es deshalb zynisch, wenn u.a. VerhaltenstherapeutInnen und Systemiker zwar selber ganz gerne und mit Erfolg zu einem Psychoanalytiker sowohl in Eigentherapie als auch in Supervision gehen, dann aber dieses Verfahren (quasi die Königsdiziplin !) nicht ihren KlientInnen zukommen lassen, sondern da dann nur eine Art von kurzer und oberflächlicher Psycho-Technologie, meist kognitive Verhaltenstherapie, Hypnose o.ä., anwenden.
    Hier herrscht eine ungute und m.E. skandalöse Zweiklassen-Psychotherapie: Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie für Reiche und Intellektuelle der Mittel- und Oberschicht einerseits sowie (kognitive) Verhaltenstherapie kombiniert mit Medikamenten und ev. systemischen Einsprengseln für die weniger privilegierten Menschen in unserer Gesellschaft.

    Mein Fokus liegt deshalb bei dem Versuch, das Wertvolle der Langzeittherapieform Psychoanalyse beizubehalten und gleichzeitig die Anzahl Sitzungen so zu reduzieren, dass Tiefenpsychologie noch immer "funktioniert" (inkl. Uebertragung, Gegenübertragung und Widerstand!, s.u.) und zu einer handhabbaren (höchstens eine Sitzung pro Woche), rationalen (alle Phänomene werden dem Klienten transparent gemacht) und bezahlbaren (weil höchstens 30 Sitzungen nötig) Behandlungsform wird.
    Somit steht die "tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie" (so nennt sich diese Art der mittlerweile recht verbreiteten Kurzzeit-Psychoanalyse) auch KassenpatientInnen zur Verfügung. Ich habe festgestellt, dass die Langform der Therapie sich auch bei Privatzahlern (welche bereit wären über Jahre hinweg zweimal die Woche zu kommen) gar nicht besser bewährt als die eben skizzierte Kurzform (hierzu gibt es eine Menge Forschungsresultate, z.B. Grawe et al. 1994, Frauchiger 1997).

    zum Inhaltsverzeichnis


    An dieser Stelle erscheint es mir hilfreich, in einem kleinen Rückgriff auf die analytisch-relationale Entwicklungspsychologie an die wichtigen Triangulierungsprozesse zu erinnern (ausführlich siehe Kap. 4 und 6):

    Triangulierungsprozesse in Psychotherapie und Psychoanalyse

    Die innere Welt ist dann ein dreidimensionaler Raum, wenn sie eine tragende Verbindung zur Aussenwelt hat. Man kann sich den 4. Pol auch als Fenster vorstellen, durch das genauso das Licht der Aussenwelt in den Binnenraum der Beziehungstriade hineinscheint wie es hinausführt in das Getümmel der Außenwelt.
    Triangulierung gibt Bedeutung, Struktur und Halt und eröffnet eine Perspektive. Aufgabe des Therapeuten ist es, ein triadisches Feld entstehen zu lassen und Triangulierungsprozesse zu ermöglichen. Dabei kann er sich auf Goethe berufen, der in den Wahlverwandtschaften schrieb: „Nichts ist bedeutender in jedem Zustande als die Dazwischenkunft eines Dritten“.
    Jede therapeutische Situation kann als ein Uebergangs- oder Möglichkeitsraum im Sinne Winnicotts betrachtet werden, in dem wie oben beschrieben Symbolisierungs- und Entwicklungsprozesse im Dreieck Patient-Therapeut-Symbol möglich werden. Therapie ermöglicht Symbolisierung und damit Entwicklung. Im therapeutischen Uebergangsraum orientiert sich der Therapeut auf der Grundlage seiner eigenen inneren Triangulierung in folgenden Untertriaden (vgl. Abb. unten):

    1. Im Dreieck Patient–Therapeut–Therapiemethode; hier wird z.B. der Behandlungsvertrag ausgehandelt und der Rahmen für die Behandlung gesetzt. Die Therapiemethode steht hier nicht zufällig am 4. Pol der Außenrealität, denn im Konfliktfall müssen sich Patient und Therapeut im Rückgriff auf die Methode den Rahmen eines Stücks gemeinsam geteilter Aussenrealität versichern. „Ohne die Idee einer objektiven Realität draußen, über welche Analytiker und Patient sich mehr oder weniger gut verständigen könnten“, kann sich Thomä (1999, S. 849, sich auf Cavell beziehend) ein Gespräch zwischen 2 Personen nicht vorstellen.

    2. Im Dreieck Patient-Therapeut-Material; dieses wird durch die aus dem Behandlungsvertrag abgeleitete Grundregel konstituiert.

    3. Im Dreieck Therapeut-Material-Methode findet der Therapeut zu seinen Deutungen; dieses kann deshalb als das Deutungsdreieck des Therapeuten bezeichnet werden.

    4. Dem Dreieck Patient-Material-Methode steht der Therapeut oft begleitend gegenüber, manchmal auch als mehr oder weniger ausgeschlossener Vierter, wenn der Patient die Analyse allein vorantreibt, was er zwischen den Therapiestunden und nach Beendigung der Analyse tun wird, oder wenn der Patient sich dieses Dreiecks als Abwehr zur Vermeidung der Beziehung zum Therapeuten bedient.
    Jessica, Benjamin, Herr, Knecht, Ohnmacht, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie, Coaching, Depression, Burnout, Aggression, Verhalten, Erleben
    Ein trianguläres Modell des therapeutischen Prozesses, wie es im Bild der therapeutischen Pyramide dargestellt wird, impliziert, dass nicht der Patient das Objekt der therapeutischen Bemühungen ist, sondern etwas Drittes, das in der Beziehung von Patient und Therapeut entsteht unter Bezugnahme auf den Rahmen, der sich aus der therapeutischen Methode ergibt. Eine solche Perspektive trägt dazu bei, die zwei historischen Einseitigkeiten zu vermeiden, die Körner (1998) in der Geschichte psychoanalytischer Behandlungsansätze sieht:

    "Die erste war der klassische patientenorientierte Ansatz, in dem der Analytiker deutete, was seiner Meinung nach im Patienten passierte, die zweite war die Gegenbewegung hin zu einem rein gegenübertragungsorientierten Ansatz, in dem sich der Analytiker daran orientierte, was in ihm selber vorging.
    Beide Ansätze, meint Körner, verhinderten Triangulierung, "weil der Bezug auf das Dritte zwischen Analytiker und Analysand fehlte. Auf der Grundlage einer „interaktionellen triangulären Methode“ entsteht das Dritte dadurch, dass sich Analytiker und Analysand gemeinsam mit dem Material beschäftigen, das in der Analyse entsteht" (Körner 1998, S.363).
    Quelle: Grieser, Jürgen (2003). Von der Triade zum triangulären Raum. In: Forum für Psychoanalyse 19: S.111–112

    Orientiert sich der Therapeut an der Vorstellung, dass die triangulierende Funktion des Dritten eine zentrale Rolle spielt, so verhält er sich anders, als wenn er denkt, dass die Mutter-Kind-Dyade der entscheidende Ort in der kindlichen Entwicklung und in der Aetiologie psychischer Störungen sei.
    Im ersten Ansatz wird nach entwicklungsfördernden Triangulationsmöglichkeiten gesucht, womit ihm eine progressionsorientierte Tendenz zukommt, während der zweite Ansatz in den dyadischen Beziehungserfahrungen der Therapie das Entwicklungspotenzial lokalisiert, was eher regressive Tendenzen unterstützt.
    Das Zusammenspiel dieser beiden Tendenzen in der psychoanalytischen Situation formuliert Chasseguet-Smirgel in der Metaphorik von mütterlicher und väterlicher Dimension so: „Dem Analysanden wird ein Mutterschoß geboten, in den er regredieren kann, aber der psychoanalytische Rahmen setzt dieser Regression Grenzen, die den Analysanden vom Analytiker trennen, so wie der Vater das Kind von der Mutter trennt“ (zit. n. Ehebald 1991, S. 287). Der 'mütterliche Schoss' kann mit der Fähigkeit des Analytikers, zu halten und zu verstehen, übersetzt werden, der Vater steht für das trennende Nein, das schon allein darin liegt, dass „er überhaupt spricht (sic!), weil Sprechen ein Nein ist zum Schleier, zur Illusion des stillschweigenden Verstehens“ (Borens 2000, S. 88).
    Die Kunst des Psychoanalytikers besteht darin, immer wieder das Gleichgewicht zwischen der Affektabstimmung in der Dyade auf der einen Seite und dem kognitiven Prozess des analytischen Schlussfolgerns und Interpretierens auf der anderen Seite zu halten, meint Brickman (1993, S. 910). In der Sicherheit des therapeutischen Uebergangsraums taucht als etwas Drittes die Deutung auf und balanciert die verschmelzenden Aspekte des Dyadischen aus. Deshalb kann die Deutung auch ambivalent erlebt oder als etwas eindringendes Drittes abgelehnt werden.
    Britton (1989) schildert dies anschaulich am Beispiel einer Patientin, die auf die Versuche des Analytikers, sich einen Raum zu verschaffen und analytisches Denken auf die Mitteilungen der Patientin anzuwenden, damit reagierte, dass sie ihn anschrie: „Schalten Sie Ihr abgefucktes Denken aus!“ (S. 101).
    Quelle: Grieser, Jürgen (2003). Von der Triade zum triangulären Raum. In: Forum für Psychoanalyse 19: S.113

    Jessica Benjamin - Anerkennung und Abgrenzung als raumöffnende Pole der Beziehungs-Spanne

    Jessica Benjamin - Tue ich oder wird mir angetan? Ein intersubjektives Triangulierungskonzept

    ............................

    Entwicklung nach dem "relational turn": wechselseitige Anerkennung statt Oedipus

    Jessica Benjamin und Martin Altmeyer

    In der Vision einer Balance von »mütterlichen« und »väterlichen« Seiten, einer »Doppelherrschaft« von Ich-Ideal und Ueber-Ich erkennt Benjamin auch die Möglichkeit einer »Rehabilitierung des Narzissmus«, der in seinen beiden pathologischen Entwicklungsformen, dem Solipsismus auf der einen und der Verschmelzung auf der anderen Seite nicht dem väterlichen beziehungsweise dem mütterlichen Pol zuzuordnen sei. Auch der Narzissmus treibe vorwärts und sei nicht nur die Sirene, die in den archaischen Abgrund der Regression lockt. Da er dem Bedürfnis nach Verleugnung der faktischen Abhängigkeit entspreche, sei diese Aufteilung verhängnisvoll und verstelle den Weg zur Konzeptualisierung eines psychischen Gleichgewichts von Ich-Ideal und Ueber-Ich, in dem beide Strukturen jeweils väterliche und mütterliche Anteile haben.

    Das ödipale Modell der Entwicklung enthalte eine latente Abwertung der Mutter und ihrer haltenden Funktion und eine Ueberbewertung des Vaters und seiner Autoritätsrolle. Wenn die Auflösung der ödipalen Situation aber eine Differenzierung von Subjekt und Objekt fördern solle, gelinge das nicht ohne die Anerkennung der Mutter. Der Junge müsse nicht nur erkennen, dass die Mutter zum Vater gehört und ihm als Sexualobjekt verwehrt wird, er müsse sie auch anerkennen »als ein Subjekt mit eigenem Begehren, als eine Person mit eigenem Willen« (S. 160). Diese Anerkennung setzt aber voraus, dass er in der präödipalen Phase selbst geliebt und anerkannt worden ist und die Erfahrung von Einstimmung und vertrauter Gemeinsamkeit, Sicherheit und Geborgenheit verinnerlicht hat. dass also die Basis eines gesunden Narzissmus gelegt ist.

    Die beiden pathologischen Dimensionen des Narzissmus, wie sie in den »narzisstischen Allmachtsphantasien perfekten Einsseins oder absoluter Selbständigkeit« (S. 136) in der Ödipalen Phase aufgegeben werden müssen, hatte Benjamin ja - wie beschrieben - als zwei entgegengesetzte Abwehrformen gegen die schmerzhafte Erfahrung der Abhängigkeit aufgefasst, in der das Objekt entweder durch völlige Loslösung oder durch Symbiose ausgelöscht wird. Solche Abwehrformen beinhalten Phantasien über das Objekt, die um die fehlende (aber existentiell notwendige) Anerkennung kreisen müssen. Ich bin der Auffassung, dass fehlende Anerkennung ersetzt wird durch eine phantasierte Omnipotenz (»Ich bin so gross, ich brauche den anderen nicht mehr und auch nicht seine Anerkennung!«) oder durch eine Verschmelzungsphantasie (»Wenn ich mit dem anderen eins bin, brauche ich als eigenes Wesen nicht anerkannt werden!)".
    (Benjamin 1993, zit. nach Altmeyer (2000, S. 165).


    Winnicott, Bollas, Loewald, Braten, Mitchell, Ogden, Bion, Stern, Klein, Orange, Stolorow, Benjamin, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie . Resonanz, Spiegel, Medium, Selbst, Benjamin, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie

    Winnicott, Narzissmus, Raum, Säugling, Mutter, Benjamin, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie . Exzentrisch, Blick, Entwicklung, Hobson, Winnicott, Mitchell, Ogden, Bion, Stern, Klein, Orange, Benjamin, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie

    Stern, Selbst, Anderer, Trennung, Verbindung, Klein, Orange, Benjamin, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie . Mahler, Kernberg, Bezogenheit, Separation, Individuation, Bindung, Beziehung, Stern, Klein, Benjamin, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie

    Altmeyer, Buchholz, Ich, Es, Ueber-Ich, Realität, Metapher, Winnicott, Bollas, Loewald, Psychoanalyse, Psychotherapie . Altmeyer, Sozial, Netzwerk, Psyche, Winnicott, Bollas, Loewald, Braten, Mitchell, Ogden, Bion, Stern, Klein, Orange, Stolorow, Benjamin, Anerkennung, Psychoanalyse, Psychotherapie

    Quelle: Altmeyer, Martin (2014). Vortrag über Intersubjektivität an den Lübecker Psychotherapietagen 2014



    “Spezifische Techniken der verschiedenen Psychotherapieschulen helfen also wohl eher den Therapeutinnen und Therapeuten,
    eine gute und hilfreiche Beziehung zu ihren Patientinnen und Patienten herzustellen.
    Diese Beziehung dürfte dann den Grossteil der heilenden Wirkung ausmachen – Psychotherapieschule hin oder her.”
    (Hansjörg Znoj im SRF Mittagsjournal vom 29.5.2013: Psychotherapien - Die Qual der Wahl)

    III. Spezifische und generische Wirkfaktoren: Techniken und Methoden

    In diesem zweiten Teil des Psychotherapie-Kapitels soll es um die spezifischen Wirkfaktoren und Interventionen gehen, welche aufbauend auf den Beziehungsaspekten des ersten Teiles (im in diesem Buch entwickelten Struktur-Dynamik-Modell die x-Achse) eine Psychotherapie erst so richtig auf ein professionelles und Placebo-Effekte überschreitendes Niveau heben.
    Hier geht es also um den Strukturierungsaspekt, die y-Achse - salopp gesagt: um die Frage wie und ob man "in den durch die Beziehungsarbeit entstandenen Vertrauens-Raum hinein strukturieren" kann und soll oder genauer formuliert, welche Intervention wann und wie am besten eingesetzt und, immer unter Beachtung der Beziehungsqualität und der ethischen Dimension (beides Relationale oder x-Achse-Aspekte), reguliert werden kann.
    Weil wir thematisch beim Narzissmus angefangen und das ganze Buch darum herum strukturiert (sic!) haben, hebe ich ein paar für die Behandlung von Selbst- bzw. Persönlichkeitsaspekten besonders wichtige Interventionsgruppen hervor.
    Wenn also Psychotherapie, wie uns Jacques Lacan lehrte, in erster Linie "vom Imaginären ins Symbolische" (Selbstzitat aus Kap. 1) herausleiten soll, müssen bildlich-sinnliche und emotionale Inhalte gewissermassen "verwörtert" werden, wie bereits Sigmund Freud vor hundert Jahren darlegte. Aus sozial-konstruktiver Sicht (Kenneth Gergen, s.u.) gibt es sowieso nichts ausser "Versprachlichtem", ein 'Dazwischen', welches zwischen den Menschen diskursiv entsteht.
    In neuerer Zeit wurde die für die Psychoanalyse zentrale Symbolisierungsfähigkeit eher als "Mentalisierung" bezeichnet, was m.E. einem Wittgensteinschen Sprachspiel entspricht, weil inhaltlich weitgehend deckungsgleich, wie auch die Autoren der weiter unten präsentierten Mentalisierungs-basierten Psychotherapie (u.a. Fonagy, Schultz-Venrath) einräumen.

    Therapietechnische Aspekte in der klassischen Psychoanalyse:

    Die acht Empfehlungen von Sigmund Freud: Ratschläge für den Analytiker (Freud 1912):

    1. Gleichschwebende Aufmerksamkeit als Gegenstück zur Freien Assoziation beim Klienten
    2. Keine Notizen oder Protokolle während den Sitzungen: Man höre zu und kümmere sich nicht darum ob man sich etwas merke...
    3. Keine wissenschatliche Bearbeitung des Falles parallel zur Therapie. "Erfolgreich behandelt man dann wenn man absichtslos verfährt und sich von jeder neuen Entwicklung des Patienten überraschen lässt".
    4. Der Psychoanalytiker sollte seine eigenen Affekte (z.B. Mitleid) beiseite drängen. Diese "Gefühlskälte" erlaubt die Schonung des Affektlebens des Analytikers und bietet damit die besten Voraussetzungen, dem Patienten zu helfen".
    5. Eigene Analyse ist nötig, damit die vom Klienten vorgenommene Auswahl nicht durch einen eigene Zensur ersetzt wird. "Man wird nicht nur seine Absicht, das Verborgene der eigenen Person kennen zu lernen, in weit kürzerer Zeit und mit geringerem affektiven Aufwand verwirklichen, sondern auch Eindrücke und Ueberzeugungen am eigenen Leibe gewinnen, die man durch das Studium von Büchern und Anhören von Vorträgen vergeblich anstrebt" (1912e, S. 382f.).
    6. Der Psychotherapeut soll für seinen Klienten weitgehend undurchsichtig sein (sog. partielle Offenheit) und ihm/ihr wie ein Spiegel lediglich das zeigen was ihm (dem Therapeuten) gezeigt wird.
    7. Der Therapeut sollte nicht allzu ehrgeizig sein, sondern sich damit bescheiden, ein Stück Lebens- und Genussfähigkeit wiederhergestellt zu haben. [Narzissmus vs. Sublimierung ....]
    8. Der Patient hat v.a. zu lernen, dass intellektuelle Tätigkeit seine Neurose nicht zu heilen vermag. Er lernt an der eigenen Person mehr, als ihm die gesamte psychoanalytische Literatur vermitteln kann. Trotzdem kann Literatur vor einer eigenen Analyse hilfreich und v.a. motivierend sein.

    Demgegenüber ist der/die KlientIn auch zu spezifischem Verhalten angehalten:
  • freie Assoziation: "Ohne Zensur (!) Aussprechen, was einem durch den Kopf geht"

    Die so entstehende Uebertragungsneurose entspricht dem Konflikt zwischen ICH und ES, die narzisstische Neurose dem zwischen ICH und Ueber-ICH, die Psychose dem zwischen ICH und der Aussenwelt (Freud 1924).

    - Traum: "Sein Inhalt ist eine Wunscherfüllung, sein Motiv ein Wunsch" (1900)

    Ueber Freud hinaus werde ich weiter unten Anmerkungen von Altmeyer, Mitchell und Kohut zur Selbstpsychologie wie sie u.a. als "relationale Psychoanalyse" oder auch "Mentalisierungsbasierte Therapie" seit den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts breite Anerkennung erfährt, darstellen.

    Das Generieren von neuen Konzepten

    Grawe, Fakten, Erklärungen, Elias, Zivilisation, Kulturepochen, Postmoderne, Moderne, Dekonstruktion, Culture Studies, Linguistic Turn
    Das Mentalisierungskonzept wird von Allen at al. (2008) als ein „generischer“, d.h. neue Aspekte generierender Ansatz der Psychotherapie aufgefasst - vergleiche nebenstehende Abbildung von Klaus Grawe (aus Frauchiger 1998). Der mentalisierungsbasierte Ansatz enthält dabei vieles, was als Fundus erfolgreicher therapeutischer Interventionen bekannt ist. Die Autoren sind davon überzeugt, dass unterschiedliche Therapien, von der Psychoanalyse bis zur kognitiven Verhaltenstherapie und systemischen Therapie, die Mentalisierungsfähigkeit fördern – solange sie den generellen und situativen Mentalisierungsfähigkeiten des Patienten angepasst sind. Deutungen können dabei sehr erfolgreich sein – allerdings nur, wenn sie vom Patienten mentalisierend verarbeitet werden können.
    Das Konzept der Mentalisierung hilft, die eigene Theorie über das, was man als Therapeut tut, zu klären. Es verstärkt die Kohärenz und die Prägnanz im Prozess. Vielleicht erhöht dies schon allein – so die Autoren – die therapeutische Wirksamkeit auf subtile Weise (Brockmann & Kirsch 2010a).

    Hinweis: Die Mentalisierungsfokussierte Psychotherapie MBT (Fonagy, Allen et al.) wird weiter unten ausführlich dargestellt

    Die generischen Prinzipien der Psychotherapie

    In der Analyse von Wirkfaktoren für die Psychotherapie spricht Schiepek (2001) auf der Grundlage der Synergetik (Haken&Schiepek 2006) von generischen Prinzipien. Gemeint sind Wirkfaktoren von Wandel- oder Veränderungsprozessen i.S. eines Ordnungs-Ordnungs-Uebergangs. Aus systemischer Sicht ist der Begriff des generischen Prinzips dem des Wirkfaktors vorzuziehen, da kein Systemelement einseitig und unbeeinflusst auf ein anderes wirken kann, sobald es Mitglied des Systems ist:

    I. Schaffen von Stabilitätsbedingungen

    ... als vertrauensbildende und sicherheitsvermittelnde Massnahme, um einen Ordnungszustand zu verlassen, um einen anderen Ordnungszustand einzugehen: Das Bereitstellen eines therapeutischen Raumes als sicherem Ort und das Reservieren von Zeit und ungeteilter Aufmerksamkeit, das Markieren von Expertentum z.B. durch das Symbol des weissen Arztkittels, der Bibliothek oder anderen Utensilien, wie Kleenex, therapeutischem Spielmaterial etc.
    Methoden wie Joining, Pacing oder Spiegeln, d.h. das aktive Anpassen an die Systemrealität des Klienten und die Sprache des Klienten entsprechen diesem Prinzip.

    II. Identifizieren von Mustern (Handlungsregeln)

    ... relevanter Systeme, auf deren Grundlage ein Phasenübergang stattfinden kann: Diagnostik von störungsspezifischen, problemaufrechterhaltenden oder verstärkenden Handlungsmustern. Musterunterbrechungen beenden unerwünschte Sequenzen, um Neues entstehen zu lassen. Hierzu zählen das Suchen nach Ressourcen und Ausnahmen vom Problem, sowie die Analyse von bisherigen Lösungsversuchen und jener Faktoren, die diese beeinträchtigen.

    III. Sinnbezug mit Klienten herstellen

    Die Ziel- und Auftragsklärung und das Berücksichtigen von Leidens- und Handlungsdruck sowie die Verstehbarkeit, insbesondere bei verordneter unfreiwilliger Therapie sind elementar, damit therapeutische Interventionen wie z.B. das Ausführen von Experimenten und Hausaufgaben als zweckdienlich und sinnvoll erlebt werden können. Der Sinnbezug ist die Grundlage therapeutischer Compliance.
      "Persönliche Entwicklungsprozesse sollten von den Patienten als sinnvoll erlebt werden und mit deren zentralen Lebenskonzepten in Korrespondenz stehen. Dies gilt um so mehr, je problematischer und krisenhafter die momentane Situatiou ist. Wenn Erfahrungen der 'Synergität' (Hansch 1997), der inneren Stimmigkeit und des zielorientierten Handelns aktuell kaum zur Verfügung stehen, dürfte es um so wichtiger sein, den therapeutischen Veränderungsprozess selbst als mit dem Lebensentwurf kompatibel zu erleben (z.B. bezüglich Zeitpunkt, Art, Zielen). Der Sinnbezug entspricht der Dimension der Bedeutsamkeit ('meaningfulness') in Antonovsky's Konstrukt des 'Kohärenzsinns' (Antonovsky 1987; Antonovsky/Franke 1997). Nur für bedeutsame und sinnvolle Projekte lohnt es sich, Aufwand und Mühe zu investieren (vgl. das motivationspsychologische Konzept der 'effort justification', Cooper&Axsom 1982). Grawe (2004) stellt das Konzept der Konsistenz von Erfahrungen und Zielen/Bedürfnissen in den Mittelpunkt seiner Therapietheorie" (Haken/Schiepek 2006 S.437).

    IV. Kontrollparameter identifizieren, Energetisierung ermöglichen

    Das Herausarbeiten vorhandener Ressourcen, persönlicher Fähigkeiten, limitierender Kognitionen und das Betonen von Selbstwirksamkeit dienen dem Erzeugen von Zuversicht und Aenderungsoptimismus.

    V. Fluktuationsverstärker erkennen und realisieren

    damit De-Stabilisierungen des bisherigen Ordnungszustandes möglich werden.
    Hierzu gehören:
  • Fokussieren auf das, was funktioniert und die Anwesenheit von Etwas betonen
  • Infragestellen der Tauglichkeit einer defizitorientierten Betrachtungsweise
  • Einhalten einer fragenden Grundhaltung und das Explorieren fragwürdiger Themen
  • Gestalten eines Wunderszenarios, das den Klienten erlaubt, Lösungen zu antizipieren
  • Wahrnehmen und Stärken von eigenem Aenderungspotential durch Selbst- und Fremdbeobachtung

    VI. „Kairos“ (den bedeutungsvoll passenden Zeitpunkt erkennen und nutzen)

    Passende Zeitpunkte werden durch den Rapport zwischen Klient und Therapeut genutzt. Die Bereitschaft für neue Handlungsoptionen wird skaliert und dokumentiert. Das Arbeiten mit Sitzungsunterbrechungen, wohlformulierten Komplimenten und Wertschätzungen bisheriger Bemühungen bereitet Klienten darauf vor, kritische Aspekte zu hinterfragen und Neu- und Umdeutungen aufzunehmen.

    VII. Gezielte Symmetrieunterbrechungen ermöglichen

    , die die Perspektive neuer Ordnungszustände eröffnen: Das Verteilen von Komplimenten und das Betonen des bisher Erreichten sowie therapeutische Aufgaben oder das Personifizieren und Externalisieren von Symptomen, Ressourcen und Lösungen in Form symbolischer Handlungen (Puppenspiel, Aufstellungen etc.) eröffnet neue Sichtweisen auf die bisherige Ordnungsphase. Reflexives und kritisches Hinterfragen bisheriger Glaubenssätze und Kontrollüberzeugungen sowie Rückfallprophylaxe zu betreiben, stellt weitere Symmetrieunterbrechungen dar.

    IX. Re-Stabiliseren

    , bzw. Stabilisieren innerhalb neuer Ordnungsmuster: Erfolgs- und Fortschrittsdokumentation und das Verwenden von Symbolen und Urkunden als Erfolgsdokumente, Ich-stärkende Suggestionen und Affirmationen und Follow-Ups stabilisieren die neuen Ordnungsphase. Schliesslich folgt die offizielle Beendigung der therapeutischen Beziehung" (Vogt/Dreesen S.11-13).
    Quellen:
    Haken, Hermann, Schiepek, Günter (2006). Synergetik in der Psychologie. Hogrefe, Kap. 5: S.325-456
    Vogt, Manfred, Dreesen, Heinrich (2008 Hrsg.). Rituale, Externalisieren und Lösungen - Interventionen in der Kurzzeittherapie. Dortmund: Borgmann.



    Als nächstes folgt ein kleiner Exkurs im Anschluss ans Relationskapitel wo wir bereits Prof. Wolfgang Tschachers Version der synergetischen Systemtheorie, das sog. "Prozessgestalten" kennengelernt haben und diese nun hier mit der Wichtigkeit von Methoden der Metaphernbildung, sowohl für Forschung als auch für die Praxis der Psychotherapie, in einem methodenintegrierenden Sinne weiterführen:

    Metaphern: sozial konstruierendes "Verwörtern" des psychologischen Selbst (Gergen, Tschacher, Buchholz)

    Wolfgang Tschachers "Bemerkungen zur Metaphorik":

    Quelle: Tschacher, Wolfgang (1997). Prozessgestalten. Bern: Huber & Hogrefe

    Das SELBST in der Psychotherapie

    Eine (nicht-analytische) integrative Therapiemöglichkeit zur "Freilegung des wahren Selbst" stellt der bereits mehrfach erwähnte (Kapitel Selbstkonzept sowie Kapitel Emdodiment) systemische Ansatz der Wolfgang-Tschacher-Arbeitsgruppe sowie der sehr populäre MBSR-Ansatz dar:

    Implikationen für Veränderungen des Selbstattraktors

    Viele psychologische und soziale Interventionen haben Auswirkungen auf das Selbst. Diese Auswirkungen sind unter Umständen vorab geplant wie bei intensiven tiefenpsychologischen Therapien (in 'postmoderner' Adaptation von Sigmund Freuds Diktum: "Wo Es war, soll Selbst werden" [vgl. Kap. 1 und 8]), aber auch z.B. beim Praktizieren von Meditationstechniken.
    Interventionen der Selbsterfahrung sprechen ebenfalls Aspekte des Selbst an, wenngleich in der Regel keine gezielte Beeinflussung der Struktur des Selbst angestrebt ist. In anderen Fällen wird eine Veränderung des Selbst nicht direkt beabsichtigt: Dies scheint bei kognitiv-verhaltenstherapeutischen Psychotherapien oft der Fall zu sein, bei denen im Zentrum der Zielvereinbarung lediglich Verhaltensänderung und kognitive Umstrukturierung stehen bzw. Problemlösung und -bewältigung.
    Das Selbst ist dabei dennoch tangiert, etwa durch die neu entstehenden, ungewohnten Erfahrungen und die veränderte Sinngebung. Nach dem oben Gesagten [vgl. Ausführungen zum Selbstkonzept im Kapitel 8, M.F.] hat jede Form der psychologischen Intervention, die einen sozialen Kontext herstellt und eine Anleitung zur Selbstreflexion und Metakognition beinhaltet, auch potenzielle Auswirkungen auf das Selbst. Wir wollen diese möglichen Wege zur Beeinflussung des Selbstattraktors [Def. siehe Kap. 8] nun abschliessend genauer betrachten. (...)

    Veränderungen des Selbstattraktors durch Achtsamkeit

    Ein Begriff, der seit einiger Zeit Furore macht, ist Achtsamkeit (im Englischen: mindfulness). In der Literatur besteht eine Doppeldeutigkeit bei diesem Begriff: In der Meditationsliteratur wird Achtsamkeitsmeditation von der konzentrativen Meditation unterschieden; Achtsamkeit verweist auf offene, ungebundene Aufmerksamkeit, im Gegensatz zu der auf etwas Bestimmtes (beispielsweise auf ein Mantra oder die Atmung) fokussierten Aufmerksamkeit der konzentrativen Meditation (z.B. Halsband 2009).
    Seit Jon Kabat-Zinn meint Achtsamkeit im therapeutischen Setting jedoch jegliche beabsichtigte, nicht wertende, bewusste Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt (Kabat-Zinn 1994, S.4), ungeachtet ob gerichtet oder offen. Die heutigen „mindfulness“-basierten therapeutischen Ansätze benutzen überwiegend konzentrative, also gerichtete Aufmerksamkeit.
    Im Folgenden werden wir den Prozess der Achtsamkeit, wie sie Kabat-Zinn definierte, aus systemtheoretischer Perspektive beschreiben. Zahlreiche Studien zeugen von der positiven Wirkung von Achtsamkeit auf die körperliche und geistige Gesundheit (Walsh &Shapiro 2006; Ospina et al. 2007; Dakwar & Levin 2009; Greeson 2009; Gratz & Tull 2010; Kumar, Feldman&Hayes 2008).
    Die systemtheoretische Perspektive öffnet uns ein neues Verständnis der möglichen Wirkmechanismen von Achtsamkeit:
    Die buddhistische Sicht auf das Selbst geht davon aus, dass das Festhalten an einem Selbst nicht nur auf einer Täuschung beruhe, sondern zusätzlich Leiden verursachen muss (Varela, Thompson&Rosch 1992). Sowohl in der Theorie (buddhistische Philosophie) als auch in der Meditationspraxis sehen wir hier also eine Verschiebung: Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen nicht die strukturellen Aspekte des Selbst (Festhalten an einer Persönlichkeitsstruktur), sondern die prozessualen Selbstaspekte, also der im Hier und Jetzt erlebte Bewusstseinsstrom [vgl. auch William James 1890!].
    Segal, Williams und Teasdale (2002 S. 75) nennen dies den „being-mode“. Seit der Einbeziehung der Achtsamkeit nach dem Vorbild der MBSR (d.h. das kognitiv-behaviorale Therapieverfahren „mindfulness-based stress reduction“ nach Jon Kabat-Zinn) folgt die Entwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie dieser Verschiebung nach: Während sich die „klassische“ kognitive Therapie vor allem auf strukturelle Aspekte (auf beliefs) bezieht, legen die nun neu entwickelten, achtsamkeitsbasierten Varianten (MBCT, mindfulness-based cognitive therapy; MBRP, mindfulness-based relapse prevention) den Schwerpunkt auf die prozessualen, erlebensbezogenen kognitiven Vorgänge. Dem entsprechen in der Diskussion zum Selbst die prozessualen Selbstaspekte [vgl. wiederum Kap. 8 sowie das eigene Struktur-vs.-Prozess-Modell in Kap. 2, M.F.].

    MBSR - „Mindfulness-based Stress Reduction“ nach Jon Kabat-Zinn

    Achtsamkeitsmeditation führt entsprechend zu einer Modifikation des Selbstkonzepts: Die Praktizierenden identifizieren sich nicht mehr mit dem in Worte gefassten Inhalt der Wahrnehmung (Struktur), sondern mit Wahrnehmung an sich (Prozess) (Shapiro, Carlson, Astin & Freedman 2006). Achtsamkeit kann also beschrieben werden als Verweilen im phänomenologischen Bewusstsein: als das Wahrnehmen von Wahrnehmung.
    Das phänomenologische Bewusstsein hat direkten Zugang zu erlebter und kontextueller Wahrnehmung, ohne dass die Wahrnehmung über das strukturgebende Medium Sprache vermittelt und bearbeitet werden muss und ohne dass die Interpretation der Ereignisse stark durch frühere Erlebnisse beeinflusst wird. Durch Achtsamkeitsmeditation wird also die oben beschriebene Selbstkalibrierung durch Kontrollparameter aus Körper-, Situations- und Sozialkontexten optimiert. Das System erreicht daher eine Oeffnung gegenüber dem valenten Kontext des Selbst, was seine Selbstorganisation unterstützt.
    Im Gegensatz zum prozessualen Selbstaspekt des Verweilens im Hier und Jetzt, dem phänomenologischen Bewusstsein, wird der mit Symbolen oder Sprache überdauernd fixierte strukturelle Selbstaspekt durch „access consciousness“ verarbeitet. Nach Ned Block ist access consciousness intentional und repräsentational kodiert, also bewusst berichtbar.
    Diese Form von Bewusstsein ermöglicht Kontrolle von Gedanken und Verhalten. Solche willentliche Kontrolle ist, im Gegensatz zu oben beschriebener Selbstorganisation, die während der Meditationspraxis stattfinden kann, gekennzeichnet durch Top-down-Prozesse. Dies hat Vor- und Nachteile, wie wir im Folgenden darlegen werden.
    Top-down-Prozesse werden von Konzepten, Erwartungen und Erinnerung gespeist, sind also stark verbunden mit früher Erlerntem, während Bottom-up-Prozesse von Daten gespeist werden, sie werden also beeinflusst von Informationen, die direkt von den Stimuli der Situation im Hier und Jetzt kommen (Matlin 1998 S. 21). Beide Prozesse arbeiten simultan und führen so zu sowohl schneller als auch genauer Verarbeitung. (...)

    Es kommt dabei mitunter zu falschen Interpretationen und kognitiven Verzerrungen, die wiederum mit Verhaltensstörungen assoziiert sind. Mit der nicht bewertenden Hier-und-jetzt-Aufmerksamkeit im Rahmen der Achtsamkeitsmeditation übt der Praktizierende, jede Situation als neu und unbekannt anzunehmen, möglichst unbeeinflusst von Erwartungen und vorherigen Einschätzungen ähnlicher Situationen. Somit kommt es zu einem ausgeglicheneren Verhältnis zwischen Top-down- und Bottom-up-Prozessen, was optimale Situationsanpassung ermöglicht und Verhaltensprobleme vermindert (Munt, Celestin&Celestin Westreich 2015) [vgl. auch den oben vorgestellten Kahnemann-Ansatz des langsamen vs. schnellen Denkens, M.F.].
    System und Attraktor - Schüsselmodell nach Tschacher/Munt 2013
    Bei geübten Achtsamkeitspraktizierenden kann sich ein Zustand der Akategorialität einstellen (Feil&Atmanspacher 2010). Damit ist der Zustand gemeint, bei dem das kognitive System sich in keinem der vorhandenen Attraktoren befindet. Stellen wir uns eine Attraktorenlandschaft des Selbst vor, die aus zwei Schüsselattraktoren wie in Abbildung 1 oben besteht, so kann der Zustand der Person für eine gewisse Zeit auf einem Kipppunkt genau zwischen den Einzugsbereichen der beiden Attraktoren liegen: ein Leben auf der Kippe oder ein Verweilen außerhalb von Top-down-Prozessen. Dem mag in der realen Welt entsprechen, sich (etwa in einem Meditationskontext) für keine der möglichen Kategorien zu entscheiden (das taoistische wu wei: „das Nichtstun tun“; Portele 1989).

    Neben den achtsamkeitsbasierten Meditationstechniken können auch gezielt eingesetzte Paradoxien zu „heilsamen“ akategorialen Zuständen verhelfen; dies ist aus der Zen-Tradition bekannt (koan) und wird in der systemischen Therapie besonders in der Milton Erikson verpflichteten Richtung verwendet. (...)

    Die vier Achtsamkeits-Skills nach Baer, Smith&Allen (2004):
    - "Naming": wenn Erlebtes im Bewusstsein benannt wird
    - ................
    - ................
    - "insight meditation": wenn dem Meditierenden plötzliche Einsichten kommen.
    Quelle: Baer, R.A., Smith, G.T. &Allen, K.B. (2004). Assessment of mindfulness by self-report: The Kentucky inventory of mindfulness skills. Assessment, 11, 191-206.

    Tschacher und Munt haben "mögliche Wirkmechanismen der Achtsamkeit aus systemtheoretischer Sicht dargelegt. Es wird deutlich, dass die funktionellere Anpassung, die Achtsamkeit zuwege bringt, unserem natürlichen Verständnis von Anpassung zu widersprechen scheint: Hier stehen nicht Anpassung durch intentionale Kontrolle von Denken und Handeln im Vordergrund (access consciousness und Top-down-Prozesse), sondern nicht-intentionale, selbst-organisatorische Prozesse (phänomenologisches Bewusstsein und Bottom-up-Prozesse).
    Für ein Funktionieren des Selbst müssen beide in einem ausgeglichenen Wechselspiel zusammenarbeiten. Das optimale Mischungsverhältnis liegt möglicherweise weit mehr auf der Bottom-up-Seite, als es bei unserem gewohnten, alltäglichen Funktionieren im westlich-industrialisierten Alltag der Fall ist, einem Alltag, in dem der Beschleunigung der zentrale Stellenwert zukommt [dazu vgl. Hartmut Rosa in Kap. 3 und 7]. Achtsamkeitsübungen helfen, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, und erhöhen gleichzeitig die Offenheit des Systems für Umweltparameter (also Embodiment, Situiertheit, Dissonanz) [vgl. Kap. 8], was den Selbstattraktor stärkt.

    Abschliessend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass übermässiges Verschliessen des Selbstsystems gegenüber Kontrollparametern zu im Leeren drehender Selbstreferenz führen kann, mit klinischen Worten zu depressionsfördernder Rumination. Eine diesbezüglich relevante neuropsychologische Studie von Farb et al. (2010) verglich Achtsamkeitsmeditierer mit einer Kontrollgruppe und zeigte die Verbindung auf zwischen einerseits problematischer Emotionsregulation bei vermehrter Selbstreferenz (Kontrollgruppe) sowie andererseits geringer dysphorischer Reaktivität bei erhöhter körperbezogener (interozeptiver) Aufmerksamkeit (Meditationsgruppe). Somit scheint der Körperwahrnehmung bei Achtsamkeitsmeditation eine besondere Bedeutung für das Selbst zuzukommen. Das gezielte und explizite Üben von Körperwahrnehmung ist tatsächlich grundlegender Baustein bei mindfulness-basierten Therapieansätzen (etwa in der Technik des „bodyscan“); auch in der Mehrzahl traditioneller Meditationen wird Körperwahrnehmung zum „Ankern“ der Aufmerksamkeit benutzt".
    Quelle: Tschacher, W., Munt, M. (2013). Das Selbst als Attraktor: das psychologische Selbst aus systemtheoretischer und achtsamkeitsbasierter Sicht. In: Psychotherapie 18-2, S. 18-37.


    Klaus GRAWE: Neuropsychotherapie

    Wie wir im Kapitel über Selbstkonzepte gesehen haben, steuerte auch der einflussreiche Berner Psychotherapie-Forscher mit seiner Arbeitsgruppe Wesentliches zur "Allgemeinen Psychotherapie" (vgl. Grawe 2000, 2te AUflage) bei. Diese beinhaltet störungsübergreifende, auf der psychologischen Grundlagenforschung basierende Konzepte zur Behandlung auch von narzisstisch beeinträchtigten Menschen. Vergleichbar mit Peter Fiedlers und Wolfgang Tschachers Ansätzen basiert Grawes Konzeption nebst der "Konsistentztheorie" (s.u.) auf der Bedürfnis- und Bindungstheorie und wird dadurch anschlussfähig an unsere in diesem Buch dargelegten relationalen Bezogenheitskonzeptionen. Annedore Prengel, welche wir aus dem Einführungskapitel kennen, beschreibt diesen Therapieansatz mit folgenden Worten: ............................


    IV. Störungsspezifische Dialektische Psychotherapie des narzisstischen Spektrums

    Relationale Psychotherapie und intersubjektive Psychoanalyse - Grundlagen

    Wenn man den psychotherapeutischen Dialog im Paradigma der Intersubjektivität als eine gemeinsame Schöpfung von TherapeutIn und KlientIn betrachtet, dann hat das natürlich weitreichende Konsequenzen für die Behandlungspraxis: Der Analytiker/Psychotherapeut muss sich auf eine mehr oder weniger gleichrangige Ebene mit dem Patienten begeben, damit der Dialog gelingt.
    Das bedeutet, dass er/sie die Freudsche Abstinenz im Sinne der „Spiegelhaltung“ und die Position des Wissenden weitgehend aufgibt und zum Mitgestalter wird - zwar stets um Verstehen bemüht, aber doch immer aus der Teilhabe am Gesamten heraus.
    Er/Sie weiss nicht (und schon gar nicht von vorn herein) alles, sondern beide Beteiligte bringen gemeinsam in Erfahrung, welche Botschaft – welche intersubjektive Wahrheit - die analytische Situation hervorbringt. Das ist ein Prozess in Worten und in Inszenierungen aus dem prozeduralen Wissen heraus, der sich erst auf der affektiven Ebene von Uebertragung und Gegenübertragung erschliesst.

    Der Göttinger Psychoanalytiker Michael Buchholz beschreibt dies in einer Würdigung des leider viel zu früh verstorbenen Stephen Mitchell so: „Hier wird gelitten und nach Worten gerungen, hier wird gekämpft, geweint, getrotzt, verführt und beeinflusst. Das alles geschieht, geschieht und geschieht, und am Ende steht manchmal eine Einsicht, eine hilfreiche Klärung, manchmal aber auch nur ein beruhigendes Wort.“ (M.B. Buchholz 2003: Vorwort zur deutschen Ausgabe von Stephen Mitchells „Bindung und Beziehung“, Psychosozial-Verlag, Giessen S.9).

    Natürlich ist der Analytiker auf Grund seiner/ihrer spezifischen Ausbildung und Kenntnisse, ihres theoretischen Wissens immer auch in einer Sonderrolle. Die analytische Beziehung ist daher zugleich symmetrisch und asymmetrisch. Das ist das Paradox, das in der Behandlung ertragen werden muss.
    Die psychoanalytische Behandlung zielt im Kontext der intersubjektiven Psychoanalyse darauf ab, subjektive Bedeutungen zum Tragen kommen zu lassen, die zwischen Patient und Analytiker ausgehandelt werden, und im Hier und Jetzt zu ergründen. Die Uebertragung spielt dabei insofern eine besondere Rolle, als sie die emotionale Anknüpfung an früh verschüttete Erlebnisstränge erlaubt und damit neue Entwicklungen in Gang setzt. An frühere Erfahrungen anzuknüpfen wird dabei zu einer Quelle neu belebter Vitalität. Diese Uebertragungsfunktion ist den Intersubjektivisten wichtiger als die Rekonstruktion von Erfahrungen als Quelle von Einsicht.
    Die Begegnung/Beziehung im Hier und Jetzt dominiert also die Beobachtung und die Wahrnehmung, wogegen die Bezugnahme auf die Entwicklung, also auf die Biografie, keine grosse Rolle mehr spielt.
    Ein Wesensmerkmal dieser Behandlungstechnik ist die selektive Offenlegung persönlicher Erfahrungen und Gefühle, also selektive Mitteilungen nach sorgfältiger Reflexion der Gegenübertragung.
    Dieses Mittel der Behandlung erzeugt ein Klima von beteiligtem Miteinander. Es ist jedoch etwas völlig anderes als eine unkontrollierte Selbstenthüllung. Es ähnelt dem „Prinzip Antwort“ in der interaktionellen Methode, die etwas früher in Deutschland von Annelise Heigl-Evers und Franz Heigl beschrieben worden ist.
    Selektiv heisst, dass der Analytiker nicht unkontrolliert seine/ihre eigene Beteiligung preisgibt, sondern nur in dem Masse, wie er/sie es nach Beurteilung der Gesamtsituation für nützlich bzgl. des/der PatientIn hält. Die Idee dahinter ist, dass auf diese Weise neue Beziehungskonstellationen erfahren und verinnerlicht werden können und der Patient an der Begegnung reift.
    Michael Ermann (2011) erläutert dies an einem kleinen Beispiel aus einer Supervision:
    "Ich riet einer Kollegin, die sich entschieden hatte, sich nach jahrelanger Behandlung erschöpft aus einer Borderline-Therapie zurückzuziehen, mit ihrer Patienten etwa Folgendes zu besprechen:
    - dass sie tatsächlich nach all der Zeit erschöpft sei;
    - dass sie spüre, die Grenzen ihrer Möglichkeiten erreicht zu haben;
    - dass sie das erkläre, damit die Patientin sich orientieren könne und verstehen könne, warum sie die Behandlung nicht mehr weiterführen könne;
    - dass sie der Patientin damit nicht Schuldgefühle machen wolle;
    - dass sie auch spüre, dass die Patientin noch weiter Behandlung brauche,
    - und dass es ihr sehr, sehr leid tue, dass sie selbst diese Behandlung nicht mehr anbieten könne;
    - und schliesslich: dass es schmerzlich für sie sei, ihr – der Patientin – damit weh zu tun.

    Und noch ein kleines Beispiel aus Ermanns Praxis:
    Als ich vor einiger Zeit meinen Behandlungsraum aus der Klinik in meine neue Privatpraxis verlegte, geriet einer meiner Analysanden in eine Krise, machte mir wütende Vorwürfe und nannte mich rücksichtslos. In seiner Wut über meine Praxisverlegung wollte er die Analyse abbrechen. Schließlich sagte ich ihm nach langem Zuhören und nachdem er ein wenig Abstand zu seiner Wut bekommen hatte: “Es tut mir aufrichtig leid, dass ein Ereignis, das in meinem Leben eine so große Bedeutung hat und an dem ich nichts ändern kann, Ihnen so viel Kummer bereitet.“ (Michael Ermann 2011: Von der Abstinenz zur Solidarität - Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse)



    Nachdem es im ersten Teil dieses letzten Kapitels um allgemeine Wirkfaktoren und Konzepte in allen Psychotherapie gegangen ist, im zweiten Teil um spezifische Techniken und Methoden mit einem Schwerpunkt auf Narzissmus-Spektrum-Störungen, steht in diesem dritten Teil die 'Dialektische Psychotherapie' in ihrer Durchführung im Fokus.
    Als Weiterführung und Konkretisierung der oben beschriebenen relational-psychoanalytischen Aspekte, wähle ich einen praxisorientierten Text aus einem Coaching-Seminar von Klaus Eidenschink um mich in der Folge an eine eigene Psychotherapiekonzeption namens "DIalektische Psychotherapie" heranzuwagen.
    Nun geht es zunächst um die "Fallstricke" zu Beginn eines Narzissmus-Coachings:
    »Narzissten« haben Angst vor ihren Seelengründen und sind daher zunächst so gut wie nie daran interessiert, wirklich an sich zu arbeiten. Wenn sie Coaching suchen, wollen sie sich nicht verändern, sondern sie wollen sich perfektionieren und stabilisieren. Sie wollen ihre Ueberlebensstrategie aufrechterhalten.
    Daher suchen sie sich einen Coach so gut wie immer aus einem der folgenden fünf (gefährlichen, weil die narzisstische Not stabilisierenden) Gründen:
      1. Der Coach als Maskenbildner
      Coaching soll helfen, noch idealer, toller und erfolgreicher zu werden, oder es soll diese Grossartigkeit wiederherstellen. Es geht darum, eine Sicherung des Ich-Ideals zu erreichen. Sie wollen sich »persönlich weiterentwickeln«. Nicht die Arbeit an der eigenen Person und der Führungsfähigkeiten ist erwünscht, sondern die Perfektion der Maske. Die Aufträge sind beispielsweise: »Helfen Sie mir, dass ich besser bei den Mitarbeitern ankomme«, »Wie kann ich meinen Vorstand noch besser beeindrucken?«, »Wie kann ich meine Erfolge geschickter vermarkten?«.
      Es geht also um effektiveres Selbstmarketing, nicht um Authentizität. Speziell im Politik- und Medienbetrieb sind solche Coachings und Coaches weit verbreitet.
      Coaches, die sich auf solche Aufträge einlassen – »Ich arbeite für die Mächtigen, nicht mit ihnen!« – haben natürlich ideale Auftragsbedingungen, dafür aus psychologischer Sicht katastrophale Wirkungen für die Betroffenen, die dabei immer noch unechter und gekünstelter wirken.

      2. Der Coach als Plombe im hohlen Zahn
      Narzisstische Führungskräfte haben oft ihre inneren Quellen verloren. Sie sind daher nicht wirklich kreativ und innovativ. Die Hoffnung ist, dass Coaching hier helfen kann, indem sie ihren eigenen Mangel an Genialität und Substanz mit Hilfe des Coaches substituieren können.
      Der Coach soll die Ideen liefern. Der hohle, narzisstische Zahn wird mit dem Coaching-Amalgam aufgefüllt. Im Coaching werden dann Strategien, Umorganisationen und andere ich-ferne Themen bearbeitet.
      Der Coach gerät leicht in die Rolle der grauen Eminenz, die im Hintergrund wirkt und steuert. Eine äusserst verführerische und mächtige Rolle, die aber allen Beteiligten schadet.

      3. Der Coach als Partner der Grossartigkeit
      Eine beliebte Variante dieses Auftragsmusters entsteht, wenn »tolle« Führungskräfte »tolle« Coaches beauftragen und dann narzisstische Coaches, die es ja durchaus gibt, auf narzisstische Führungskräfte treffen [vgl. Willi's Kollusionskonzept, M.F.].
      Dies ist deshalb so nahe liegend, weil narzisstische Führungskräfte peinlich darauf achten, dass der Coach ihren Ansprüchen genügt. »Ist der überhaupt gut genug für mich?« Wird diese Frage mit ja beantwortet, kommt es in der Regel zu einer so genannten narzisstischen Symbiose. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass Coach und Coachee sich entweder wechselseitig vor der Großartigkeit des anderen verneigen oder der Coach sich in die Rolle des »Strafpredigers« begibt, der die unbewussten Bestrafungswünsche der narzisstischen Manager befriedigt. Viele Narzissten hören »gern«, dass man eigentlich alles anders machen müsste, da auf diese Weise die starken Selbstzweifel erlebt werden können, ohne dass dies für den Alltag Folgen hat. Der Coach wird zum Event wie früher der kluge Sonntagsprediger – und ebenso wirkungslos [ausser dass kräftig kognitive Dissonanz reduziert wird..., vgl. Kap. xy, M.F.].

      4. Der Coach als Reduzierer der Folgekosten
      Narzisstische Nöte haben Folgen. Kein Mensch kann ein Leben in der Fassade führen, ohne auf Dauer einen Preis dafür zu bezahlen. Die sekundären Symptome der narzisstischen Innenwelt wie Süchte, Schlaflosigkeit, Depressionen oder Aengste können auch eine Motivation bilden, einen Coach zu suchen. Aber auch hier wird nicht die Bindungslosigkeit und die innere Wertlosigkeit als zu bearbeitendes Phänomen angesehen, sondern die Symptome sollen verschwinden. Viele sind vom Hausarzt schon mit Schlaftabletten oder Antidepressiva versorgt und gehen dann eben auch noch zum Coach. Der implizite Auftrag ist immer: »Mache mich in meiner Fassade wieder funktionsfähig!«. Lösungen müssen her, und dafür ist der Coach zuständig. Dass ein solcher Auftrag zum Scheitern verurteilt ist, versteht auch der Laie. Wer eine Operation braucht, sollte nicht um Pflaster bitten.

      5. Der Coach als Nothelfer
      »Narzissten« leiden nicht, sie lassen leiden. Ihre Beziehungsbilanzen sind fast immer einseitig zu ihren Gunsten: Die anderen tun mehr für sie, als sie für die anderen. Klar, sind sie doch etwas Besonderes und haben daher mehr Rechte als andere. Diese Einseitigkeit tragen nicht alle Menschen in der Umgebung lange mit.
      Irgendwann will die Frau sich nicht mehr zufrieden geben, dem Mann den Rücken frei zu halten, ohne dafür etwas zu bekommen. Irgendwann platzt den Kollegen oder dem Vorgesetzten der Kragen und sind nicht mehr bereit, sich ausbeuten zu lassen. So kommt es zu Ultimaten wie: »Du änderst dich oder ich gehe!« oder »Sie müssen an sich arbeiten, sonst schmeiss ich sie raus!«. Diese »Narzissten« werden also ins Coaching geschickt. Die (heimliche) Erwartung der Umwelt ist hier so gut wie immer, dass der Coach dem (narzisstischen) Mann, der Frau, dem Chef, dem Mitarbeiter endlich beibringt, wie man unter ihm leidet. Der »Narzisst« passt natürlich gut auf, dass er einen kooperativen Eindruck beim Coach macht. Er wird alles tun, um sich nicht um Kopf und Kragen zu reden. Coaching wird so zur Alibiveranstaltung.
    Quelle: Klaus Eidenschink (2005). »Mann, bin ich gut!« – Die Not narzisstischer Manager. In: "wirtschaft & weiterbildung" 2/05, S.46ff.

    Der auf des Messers Schneide tanzt...
    Ist ein Coachingauftrag erteilt, gilt es, den problematischen Auftrag »Hilf mir geschickter zu handeln« in den sinnvollen Auftrag »Hilf mir das eigentliche Problem zu erkennen« zu verwandeln. Die Kernkompetenz des Coaches liegt also darin, ein Problembewusstsein zu schaffen, wo für den Betroffenen bislang keins zu spüren war. Dazu muss der Coach einerseits eine vertrauensvolle und sichere Beziehung mit dem Coachee aufbauen, andererseits muss er Schritt für Schritt daran arbeiten, dass der Klient Bewusstheit darüber entwickelt, wie problematisch er sich verhält.

    Der Klient muss einerseits Distanz zu seinem bisherigen Verhaltensstil entwickeln und andererseits die Zuversicht bekommen, dass es Alternativen gibt und er diese auch für sich erarbeiten kann.
    Diese Zuversicht kann sich nur einstellen, wenn er den Coach als jemanden erlebt, der wohlwollend, einfühlsam und bestätigend ist. Jedes Gefühl, defizitär zu sein, wird als äusserst bedrohlich empfunden und führt leicht zu einem Abbruch des Coachings. Die Distanz zum bisherigen Verhalten entsteht jedoch nur durch kritische Hinweise auf die destruktiven Wirkungen ihres Benehmens anderen gegenüber und durch Feedback zu den Unterschieden zwischen Selbstbild und Fremdbild.
    Die Balance auf diesem schmalen Grat zwischen dem Erhalt eines guten Kontakts und dem Erarbeiten eines echten Problembewusstseins ist für den Coach schwer zu finden und zu halten. Die meisten Fehler entstehen dadurch, dass der Coach zu schnell zu viel will. Damit dieser Tanz auf Messers Schneide gelingt, muss der Coach in der Lage sein, durch sein ganzes Wesen dem Coachee zu vermitteln, dass dieser auch ohne besondere Leistungen jemand ist, den man als Person schätzen und gern haben kann.
    Das klingt für hart gesottene Leser möglicherweise etwas prosaisch, aber ich halte das für den entscheidenden Erfolgsfaktor in der Arbeit mit narzisstischen Nöten. Ohne eine derartige innere Haltung, die jenseits aller Techniken und Werkzeuge liegt, wird kein echter Auftrag zu Stande kommen. Den echten Auftrag erkennt man daran, dass der Klient einige klare Entscheidungen trifft:
    Erstens sollte er sich eingestehen, dass er ein ernstes Problem hat (und das schon seit langem), zweitens sollte er die Kosten und Folgen dieses Problems nicht mehr bagatellisieren, und drittens sollte er konsequent daran arbeiten.
    Das ernste Problem kann zum Beispiel darin bestehen, dass der Coachee sich eingesteht, dass
    • er trotz aller Erfolge und Anstrengungen nicht wirklich zufrieden ist
    • er nicht mehr wirklich abschalten kann und ununterbrochen über Probleme nachdenkt
    • er nichts tun kann, auch in der Freizeit, ohne dass es sich in eine Leistungssituation verwandelt
    • er kaum noch Beziehungen unterhält, in denen wirklicher Austausch und Begegnung stattfinden
    • die Partnerschaft in einer ernsten Krise ist
    • Gefühle von Sinnlosigkeit und Leere immer häufiger auftreten.

    Wenn solche Eingeständnisse mit ernsthaftem Hilfe-haben-wollen einhergehen, dann hat sich der Manager entschieden, sich verändern zu wollen.

    Die professionellen Werkzeuge und Techniken, die man als Coach braucht, um auf der geschilderten Messerschneide eine solche Entscheidung herauszuarbeiten, erlernt man begreiflicherweise nur in langjährigen Ausbildungen und persönlicher Supervision. Die Arbeit an der eigenen Person, insbesondere die Bearbeitung der eigenen Kränkbarkeit und Selbstwertregulation, ist für Coaches, die in diesem Feld arbeiten, von essentieller Bedeutung. Dies wird zwar oft gesagt, aber nicht immer beherzigt.

    Die Wiederentdeckung der Selbstwahrnehmung
    Hat man eine solche gemeinsame Arbeitsgrundlage erarbeitet, ist es angemessen, eine Ueberprüfung der Rahmenbedingungen vorzunehmen. Sind die narzisstischen Nöte so, dass starke Süchte (auch Arbeitssucht), starke Depressionen oder psychosomatische Symptome auftreten, ist es sinnvoll, an dieser Stelle eine Ueberleitung in den psychotherapeutischen Kontext zu besprechen.
    Gute Coaches arbeiten mit entsprechend qualifizierten psychotherapeutischen KollegInnen zusammen. Gelingt diese Brokerfunktion, hat Coaching eine wichtige Aufgabe erfüllt. Oft ist das Mass der narzisstischen Beeinträchtigung jedoch so, dass es durchaus möglich ist, im Rahmen von Coaching weiterzuarbeiten. Der Schwerpunkt liegt dann sehr häufig in der Bearbeitung folgender Thematiken:
    1. »Ich bin das Problem.«
    »Narzissten« fühlen sich subjektiv meist von vielen Idioten umstellt. Sie fühlen sich abgelehnt oder sabotiert, weil die Kollegen unfähig, unbegabt, neidisch oder eben einfach Idioten sind. Alles Schwache wird zur Entlastung der eigenen Psyche nach außen projiziert.
    Es gilt, diese Projektion zurückzuholen und als Aspekte der eigenen Seele wieder wahrnehmen zu lernen. Gerade dieser Teil der Arbeit ist für viele enorm schmerzhaft und braucht viel Halt und Wertschätzung durch den Coach.

    2. »Ich lerne den anderen zu verstehen.«
    Empathie meint die Fähigkeit, sich verstehend in andere einzufühlen. Nachdem Menschen mit narzisstischen Nöten genau dies in ihrem Leben nicht oder nur unzulänglich bekommen haben, müssen sie im Coaching diese Fähigkeit erlernen.
    Je schwieriger (scheinbar) der Chef, Kollege oder Mitarbeiter erlebt wird, desto wichtiger ist es, mit dem Coachee genau daran zu arbeiten, wie es möglich ist, sich auf solche Menschen einzustellen. Die Macht, mit der die Führungskräfte häufig versuchen, den Coach davon zu überzeugen, wie problematisch die Menschen in ihrer Umgebung sind, ist enorm. Wenn Narzissten« begreifen, dass sie ihre Weiterentwicklung daran messen können, wie sehr sie andere Menschen verstehen können, statt sie abzuwerten, ist ein qualitativer Sprung vonstatten gegangen. Es wird dann schwieriger, die Umwelt in Gut und Böse zu spalten, die eigenen Aggressionen hemmungsarm auszuleben und erbarmungslos zu konkurrieren. Win-Win-Situationen werden möglich.

    3. »Ich lerne mich zu verstehen.«
    Parallel geht es darum, die Fähigkeit zu entwickeln, auch verständnisvoll und liebevoll mit sich selbst umzugehen. Narzisstisch beeinträchtigte Menschen können sich selbst nur ertragen, wenn sie Leistung bringen, aktiv und erfolgreich sind. Wenn sie erkennen, wie brutal sie mit sich selbst umgehen, entsteht so gut wie immer ein ernsthaftes Erschrecken. Dieses Erschrecken ist oft der Beginn davon, dass tiefere Seelenschichten wieder spürbar werden und persönliches Wachstum möglich wird. Eine der bewegendsten Situationen, die man an dieser Stelle immer wieder miterleben kann, ist, dass die Manager erzählen, dass sie anfangen wahrzunehmen, wie viel Positives und wie viel Wärme ihnen entgegengebracht wird. Sie lernen, sich unterstützen zu lassen. Sie nehmen Sympathie wahr und fangen an, anderen Menschen zu vertrauen, dass keine Hintergedanken im Spiel sind.

    4. »Ich reduziere die Kontrolle und die Manipulation von anderen.«
    »Narzissten« wollen, dass sich alles nach ihnen richtet. Diese Eigenart ist auch im Coaching bisweilen ein Problem, da sie eine solche Anpassungsleistung unter dem Label »Dienstleister« auch vom Coach erwarten.
    Im Alltag macht sich dies durch herrisches Verhalten, chronische Unpünktlichkeit, ständiges Maulen über fehlende Vorzugsbehandlung (im Lokal, im Straßenverkehr, beim Anstellen etc.) bemerkbar.
    Die Bearbeitung dieser speziellen Form der Abwertung anderer Menschen ist enorm wichtig. Solange dies nicht aufgegeben wird, werden sich die Schwierigkeiten im Umfeld immer wieder neu inszenieren. Dies führt dann zu den alten Ueberlebensstrategien, und damit sind die Rückschritte vorprogrammiert. Es geht im Coaching in dieser Phase darum, dass der Coachee die Auswirkungen dieses Verhaltens für sich selbst und die Beziehungen zu anderen erkennt und sich eingesteht. Die Auswirkungen eines solchen Coachings sind bisweilen für alle Beteiligten beeindruckend und beglückend.
    Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Erfolgschancen nicht so hoch sind, wie man sich das wünscht. Die Entscheidung zum Abbruch ist in allen Phasen immer im Bereich des Möglichen. Um ein Coaching dieser Art durchzuführen, braucht es insbesondere auch Zeit. Wer hier innerhalb von zwei bis vier Terminen Wirkungen erwartet, setzt von vornherein auf das falsche Pferd. Alle Formen von kurzen, lösungsorientierten Coachingverfahren nehmen meiner Einschätzung nach die Nöte narzisstischer Menschen nicht in den Blick. Lösungen zu finden, statt Probleme ernst zu nehmen, ist eine der Hauptfähigkeiten von »Narzissten«. Schnell zu sein, wo Entschleunigung und Bedachtsamkeit gefordert wären, haben »Narzissten« ebenfalls lange geübt. Wenn sich das im Coaching wiederholt, dann passiert einfach nur mehr des Selben.

    Resümee
    Menschen mit narzisstischen Seelenwelten sind in unserer gegenwärtigen Kultur anfangs oft höchst erfolgreich. Die problematischen Wirkungen dieser seelischen Struktur entstehen später.
    Wie in allen Lebenswelten, in denen die Gewinne sofort konsumiert und die Kosten vom Leben erst später präsentiert werden, tun wir Menschen uns schwer unser Verhalten frühzeitig angemessen zu steuern. Wenn der narzisstische Manager erst auf dem Vorstandssessel Platz genommen hat, dann wird es schwer werden, die Feedbacks nachzuholen, die man bis dahin vermieden hat. Quelle: Klaus Eidenschink (2005). »Mann, bin ich gut!« – Die Not narzisstischer Manager. In: "wirtschaft & weiterbildung" 2/05, S..



    Psychotherapie mit Menschen im narzisstischen Ungleichgewicht

    Psychotherapiekonzepte für narzisstische Selbstwert-Störungen

    Spezifische Psychodynamische Psychotherapien des narzisstischen Spektrums

    Folgende "Anweisungen" an die Adresse des Therapeuten/der Therapeutin entstammen zu grossen Teilen den drei "Psychoanalyse-Schulen-im-Gespräch" Bänden von Wolfgang Mertens (2010-2013)

    Die relationale Psychoanalyse und ihre Kritik an der klassischen Selbstpsychologie - Stephen A. Mitchell, Jessica Benjamin

    Behandlungspraktisches Vorgehen:
    - Durch authentische Aeusserungen und Antworten entsteht ein wechselseitiger und für beide Teilnehmer fruchtbarer Prozess des Miteinander-in-Beziehung-Seins; leg deshalb auch nicht zuviel Gewicht auf allzu langes und ruhiges empathisches Zuhören, in der Hoffnung, auf diese Weise mehr über die innere Welt deines Patienten zu erfahren; sondern äussere dich stattdessen lieber öfter und sei ohne allzu grosse Bedenken authentisch und lebendig

    - Denke somit daran, dass deine allzu zurückgenommene und schweigsame Anteilnahme von deinem Patienten oftmals auch als mangelnde Zustimmung oder wie ein «undurchsichtiges Orakel» erlebt werden kann

    - Verlass dich somit darauf, dass vor allem kraft deiner Spontaneität und eures authentischen Miteinanderseins Vertrauen entsteht, das die Grundlage für die Mitarbeit deines Patienten und für den Heilungsprozess darstellt

    - Da es prinzipiell unendlich viele Lesarten gibt, sich selbst und andere Menschen zu verstehen und dieses Verstehen immer vom eigenen Erfahrungshoriziont abhängig bleibt, sind dem Verstehen des Unbewussten von vornherein Grenzen gesetzt; lass es deshalb zu, dass Du nicht der Fachmann, die «all wissende Autorität» für deine/n PatientIn sein kannst.

    - Lass Dich in deiner Spontaneität und Natürlichkeit nicht durch starre Regeln, Dich abstinent und neutral gegenüber deinem Patienten verhalten zu müssen, beirren.

    - Erkenne die Tatsache, dass Du kein ausserhalb eurer Beziehung stehender Beobachter bist, sondern dass Dich Dein Patent als ein lebendiges Gegenüber betrachtet.

    - Lass es deshalb zu, dass er/sie die Einflüsse, die von deiner Person ausgehen, anspricht und interpretiert, denn dein Patient beschäftigt sich fortwährend mit den Eindrücken, die von deiner Person ausgehen, und Eure Beziehung lebt von den Auseinandersetzungen über Beziehungserfahrungen, soweit diese bewusst werden können

    - Erkenne, dass du nicht mittels theoretischen Wissens und analytischer Ausbildung irgendeine überlegene Kompetenz erworben hast, eine wirklichkeitsgetreue Psychogenese des Erlebens deines Patienten rekonstruieren zu können; gehe stattdessen davon aus, dass deine «Deutungen» zum grössten Teil Suggestionen darstellen, die neue Bedeutungszusammenhänge für ihn konstituieren und vertraue darauf, dass dieses Vorgehen durchaus sinnvoll ist

    - Mach Dir bewusst, dass das, was Du als deine Gegenübertragung wahrnimmst, sich bereits einige Zeit zuvor in der Interaktion mit Deinem Patienten kundgetan hat: in Deinem Schweigen, deinen verbalen Aeusserungen, deinem Atem, deiner Mimik und Gestik, deinen Bewegungen

    - Mach dir ebenfalls bewusst, dass du ohnehin nur einen Bruchteil deiner Gegenübertragung überhaupt bewusst wahrnimmst; der größte Teil davon bleibt dir selbst unbewusst und drückt sich in "Enactments" [dem Ausagieren] aus

    - Gehe davon aus, dass dein Zuhören permanent von eigenen idiosynkratischen Gefühlen und Gedanken beeinflusst wird, die dir nicht bewusst sind und dennoch deine Wahrnehmung auf Schritt und Tritt bestimmen und dass du dies selbstverständlich auch ausstrahlst und deinen Patienten damit beeinflusst, was Euch beiden jedoch gänzlich unbewusst bleiben kann

    - Sei relativ unbefangen, was die Mitteilung deiner Gefühle («open self-expression») und deiner Selbstmitteilung («self-disclosure»), kurz dem Erzählen von dir selbst anbelangt

    - Gehe davon aus, dass die möglichen Risiken, die mit deiner Selbstmitteilung verbunden sein können, in Anbetracht des erheblichen Zugewinns, den ein offen geführter Dialog mit sich bringt, im Allgemeinen eher unerheblich sind. Deine offenen und persönlichen Selbstmitteilungen können sogar für deinen Patienten ein Modell darstellen, seine Schamgefühle leichter zu überwinden [sehr wichtiger Punkt, M.F.]

    - Frage deinen Patienten nicht nur danach, was zu einer Unterbrechung eines optimalen Verstanden-worden-Seins geführt hat (wie Kohut dies vorgeschlagen hat), sondern auch, welche Vorstellungen er/sie darüber hat, wie du über ihn denkst oder welche Gefühle du über ihn hast. Stelle dich darauf ein, dass hierbei für dich durchaus unangenehme Dinge angesprochen werden können. Der therapeutische Nutzen wird aber auf jeden Fall die möglichen Risiken übertreffen (Aron, Renik)

    - Habe keine Bedenken, Deinem Patienten mitzuteilen, wie er wohl auf andere wirken kann, wobei du deine eigenen Erfahrungen mit ihm in der analytischen Sitzung zugrunde legen kannst (interpersonelles Feedback nach Ehrenberg, Mitchell)

    - Behalte bei all Deinen Ko-konstruktionen stets im Auge, ob dein/e PatientIn dabei einen therapeutischen Nutzen erfahren kann, der darauf abzielt, ob seine/ihre diversen Symptome geringer werden, er/sie sich wohler fühlen kann etc. Stelle deshalb das klassische analytische Ziel, die Wahrheit über sich selbst herausfinden zu wollen, zurück bzw. verzichte ganz darauf (Renik)

    - Ueberzeuge dich immer wieder von der Nützlichkeit von Enactments für den psychoanalytischen Prozess; sie sind ubiquitär und ihre gemeinsame Erforschung, soweit sie bewusst zugänglich werden können, verspricht einen erheblichen therapeutischen Gewinn

    - Denke daran, dass wenn Du dich selbst im Dialog mit deinem Patienten verändern kannst, dies ihm unweigerlich zugute kommt.

    - Verhalte dich nicht stereotyp freundlich, sondern lasse dich einerseits auf die dir zugeschriebenen Rollen ein und reagiere andererseits spontan und authentisch.

    - Denke daran, dass du in einer nahezu unentwirrbaren Mischung für deinen Patienten sowohl ein neues als auch ein altes «Beziehungsobjekt» darstellst; eine Unterscheidung in neue Objekterfahrung und repetitive Objekterfahrung - wie bei den postkohutianischen Selbstpsychologen - ist deshalb artifiziell

    - Hilf deinem Patienten nicht nur dabei, bessere adaptive Kompromissbildungen zwischen den verschiedenen Konfliktanteilen und der Realität zu finden, sondern wende dich auch den verschiedenen, dissoziativen Selbstbildern zu

    - Versuche mittels der Generierung von neuen Bedeutungszusammenhängen Brücken zwischen den verschiedenen, dissoziativen Selbstbildern zu bauen.

    - Unterlasse angesichts der Multiplizität von Selbstzuständen jeglichen Hinweis auf eine «Reifemoral», die deinem Patienten den Eindruck vermitteln könnte, dass seine Auffassungen, Gefühle und Gedanken kindisch, grandios oder primitiv sein könnten (Aron, Bromberg).

    - Stelle dich darauf ein, dass dein Patient von Zeit zu Zeit die Echtheit deiner Zuwendung testen wird, denn Euer sprachliches Einvernehmen ist zwar wohltuend, aber auch trügerisch. Dein Patient wird also versuchen, dich zu Enactments zu bewegen, in denen du dein «wahres Gesicht» zeigst. Erst im Durcharbeiten dieser Beziehungsanteile kann es zu einer wirklich tragfähigen Beziehung und zu dauerhaften Veränderungen kommen

    - Versuche deine eigenen schwankenden Selbstzustände während der Vorgänge in der «interaktiven Matrix» so zu stabilisieren, dass du dich einigermaßen sicher fühlen und einen potenziellen Raum offen halten kannst, in dem du die Uebertragungen deines Patienten annehmen, aber auch deine eigenen Verletzbarkeiten und Ängste einigermassen in Schach halten kannst

    - Versuche also nicht, nur sichere Bedingungen für deinen Patienten herzustellen, sondern auch für dich selbst einen inneren Raum zu schaffen, in dem du den besten Zugang zu deinen eigenen unbewussten Prozessen bekommen kannst

    Umgang mit Träumen
    - Suche nicht hinter dem manifesten Traum nach dem latenten Inhalt, sondern konzentriere dich auf das Traumnarrativ; betrachte es wie mit einem Vergrößerungsglas, d.h. versuche, alle Nuancen der Geschichte zu elaborieren, den kunstvollen Aufbau des Narrativs nachzuvollziehen und die aufgetretenen Gefühle zu erfassen und zu vertiefen

    - Konzentriere dich statt auf das Latente auf den manifesten Traum und auf die relationalen Faktoren des Traumberichts

    - Betrachte den Traum auch als eine Möglichkeit, dein Verstehen eurer Beziehung von deinem Patienten supervidieren zu lassen

    - Teile (gelegentlich] deinem Patienten deine Gegenübertragungsträume mit und besprich mit ihm die zwischen euch stattfindende Dynamik.

    Relational-analytische Behandlungstechnik:
    -> Der Analytiker kann kein objektiver, außenstehender Beobachter des analytischen Geschehens sein; Analytiker wie Patient senden fortwährend "Cues" aus, von denen beide beeinflusst werden; folglich ist die analytische Situation durch und durch interaktional und relational
    -> Aus diesem Grund lautet die Frage auch nicht: "Wie und wodurch verändern sich die Symptome und Strukturen eines Patienten?" Sondern: "Auf welche Weise werden nicht nur der Patient, sondern auch der Analytiker/Psychotherapeut herausgefordert, anders miteinander umzugehen? Wie können beide ihre sowohl explizit reflektier- und artikulierbaren Erwartungen als auch ihre impliziten Bedürfnisse miteinander in Balance bringen und aushandeln?

    Theorie der Veränderung
    -> Es gibt eine grosse Anzahl an Faktoren, die einen veränderten Umgang zwischen Analytiker und Patienten zur Folge haben, die sich aber nicht eindeutig identifizieren lassen. Sie können am ehesten unter das Konzept der «korrigierenden emotionalen Erfahrung» (Alexander) zusammengefasst werden, das lange Zeit als «Uebertragungsheilung» abgetan wurde. Nur ein Bruchteil dieser emotionalen «Beziehungsvorgänge» wird überhaupt bewusst. Sie sind für jeden Patienten unterschiedlich, deshalb auch nicht planbar und zumeist nur im Nachhinein ansatzweise benennbar.
    Betontes Anderssein als die Eltern der Patienten, aufgesetzte Besorgnis oder übertriebenes Engagement werden vom Patienten zumeist als unauthentisches Verhalten abgelehnt

    -> Die klassische Auffassung, dass Veränderungen im Patienten aufgrund von Einsicht zustande kommen, wird wegen des Ueberwiegens von impliziten, emotionalen Lernprozessen als einer von vielen Mythen der klassischen Psychoanalyse zurückgewiesen. Es ist die Beziehung, die heilt.

    -> Wenngleich auch die therapeutischen gegenüber den analytischen Zielen stets im Auge zu behalten sind, so ähnelt die analytische Reise doch eher einem «Blindflug» (Renik), bei dem allerdings die gemeinsamen Absprachen über mögliche therapeutische Ziele dennoch bedeutsam bleiben


    Intersubjektive Psychotherapie: Postkohutianische Selbstpsychologie nach Stolorow, Orange et al.

    Behandlungspraktisches Vorgehen:
    - Gehe bei der Betrachtung der Uebertragung von einem zweidimensionalen Modell aus: So gibt es zum einen eine entwicklungsmäßige, selbstobjektale oder reparative Dimension der Uebertragung; zum anderen eine wiederholende, erneut inszenierte Dimension der Uebertragung.
    1) Bei der ersten Uebertragungsform wird von dir eine reparative und entwicklungsmäßig neu organisierende Beziehungsform erwartet
    2) bei der zweiten Uebertragungsform wirst du von deinem Patienten in alte pathogene Beziehungsmuster verstrickt, natürlich in der letztendlichen Hoffnung auf einen nunmehr besseren Ausgang (Fosshage)

    - Denke beim zweiten Uebertragungs-Modell daran, dass es nicht ausreicht, lediglich die unbewussten Anteile der konflikthaften Kompromissbildung bewusst zu machen; es ist zusätzlich wichtig, das Versagen der elterlichen Selbstobjekte anzusprechen, die deinem Patienten in seiner Kindheit nicht bei der Bewältigung seiner Konflikte einfühlsam beistehen konnten (Lichtenberg)

    - Orientiere dich bei deinem rekonstruierenden Verständnis unter anderem an sog. Modellszenen (Lichtenberg), die sich häufig Enttäuschungen aufgrund nicht reparierbar erscheinender Unterbrechungen des empathischen Kontakts und/oder Enttäuschungen der elterlichen Idealisierung drehen - hierbei ist egal, ob diese Szenen tatsächlich auf diese Weise stattgefunden naben; wichtig ist vielmehr, dass sie das Erleben deines Patienten organisieren und dementsprechend seine Übertragungskonfigurationen bestimmen. Denn es geht ausschließlich um die subjektive Realität der Aeußerungen deines Patienten und nicht darum, wie es vermutlich «tatsächlich» gewesen sein könnte.

    - Orientiere dich bei deinem Verständnis der Uebertragung an den verschiedenen Motivationssystemen (Lichtenberg, s.u.); denke daran, dass diese sowohl zur Selbstregulierung als auch zur gegenseitigen Regulierung eingesetzt werden und auch, dass eine Motivation auf Kosten einer anderen übermäßig stark gelebt werden kann.

    - Denke stets an die Wichtigkeit vitalisierender Erfahrungen in allen fünf Motivationsbereichen:
    1) Bedürfnis nach psychischer Regulation physiologischer Bedürfnisse,
    2) Bedürfnis nach Bindung,
    3) Bedürfnis nach Selbstbehauptung und Exploration,
    4) Bedürfnis nach sinnlicher Lust sowie zärtlicher Zuwendung und sexueller Erregung,
    5) Bedürfnis nach aversiver Reaktion und/oder Rückzug bzw. Hinwendung zu sich selbst

    - Neben der Empathie spielen ferner auch die Intuition und das schlussfolgernde Denken eine Rolle: Beschränke deshalb deine Wahrnehmungseinstellung nicht allein auf die stellvertretende Introspektion (Lichtenberg)

    - Achte auf nonverbale "Cues" bei dem Erspüren von nonverbalen Interaktionsstrukturen, die manchen Erfahrungen in den verschiedenen Motivationsbereichen zugrunde liegen (Knoblauch)

    - Gehe weiterhin davon aus, dass Unterbrechungen und anschliessende Reparationen für den analytischen Prozess von großer Bedeutung sind

    - Achte im Anschluss an Unterbrechungen darauf, welche wiederholenden Uebertragungen in dieser Phase auftreten, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen, bevor das reparative Verständnis stattfinden und zugelassen werden kann

    - Achte darauf, deinen Patienten nicht zum Selbstobjekt für dich zu machen (Köhler)

    - Wichtiger als die optimale Frustration ist die optimale emotionale Resonanz (Bacal)

    - Vertraue darauf, dass mit zunehmender Reifung der Selbstobjektbedürfnisse, die sich hauptsächlich aufgrund der Durcharbeitung der Selbstobjekt-Uebertragungen ergibt, auch die Sorge und Anteilnahme für andere Menschen, das emotionale Mitschwingen in der Perspektivenübernahme zunimmt [besonders wichtig bei pathologischem und malignem Narzissmus!]

    - Versuche aber trotzdem hin und wieder auch ein objektzentriertes Zuhören, d.h. sprich an, wie ein bestimmtes Gegenüber deines Patienten, aber auch du selbst, deinen Patienten mit bestimmten Handlungen und Persönlichkeitsaspekten erlebt (Fosshage)

    Umgang mit Träumen:
    - Richte bei jedem Traum deine Aufmerksamkeit auf (im Wachbewusstsein) unterdrückte Selbstobjektbedürfnisse

    - Betrachte das Träumen als eine affektiv-kognitiv organisierende Erfahrung, die in einem Kontinuum mit dem Wacherleben steht, aber auch oft davon abweichen kann

    - Bleibe so nahe am Erleben des Träumers wie nur möglich und versetze dich empathisch in seine Traumwelt

    - Frage deinen Patienten nach seinem Erleben - aber nicht in offener Form, wie z.B. «Was fällt Ihnen zu Ihrem Traum ein?», sondern ganz konkret und fokussiert auf sein Erleben bezogen (z.B. «Wie war genau Ihr Gefühl, als X den Raum betrat?»). Der Patient spürt hierdurch auch, dass du sein Traumerleben ernst nimmst und dass seine Gefühle dir etwas bedeuten

    - Unternimm keinen Versuch, die Traumbilder deines Patienten in eine Bedeutung zu übersetzen oder gar mit einem theoretischen Begriff zusammenzufassen; bleib vielmehr bei dem metaphorischen und thematischen Inhalt des Traums; frag auch nicht nach Assoziationen zu einzelnen Elementen des Traums, denn dieser ist ein sinnvolles Ganzes


    Die an Kleinkindforschung orientierte Psychoanalyse - Stern, Lichtenberg, Dornes

    - Das therapeutische Geschehen ist gekennzeichnet durch eine Abfolge von Gegenwartsmomenten im Sinne von Daniel Stern, deren Phänomenologie von zentraler Bedeutung ist.

    - Mache Dir beim Folgenden aber dennoch klar, dass es bei der Beachtung von Gegenwartsmomenten nicht um eine völlig andere Technik geht.

    - Vielmehr kommt es bei der Beachtung von Gegenwartsmomenten zu einem Perspektivenwechsel, der v.a. darin besteht, diese als Grundeinheiten der Erforschung des psychotherapeutischen Prozesses zu betrachten; sämtliche sprachlichen Abstraktionen wie Verbalisiereungen und Deutungen können aus ihnen hergeleitet werden.

    - Stelle also die herkömmliche Vorgehensweise, bei der es um das Knüpfen von Verbindungen zwischen scheinbar nicht miteinander zu tun habenden Erfahrungen, die auch zeitlich weit auseinanderliegen können, zurück und lasse Dich selbst dann nicht von der Beachtung von Gegenwartsmomenten abbringen, wenn Dein Patient zwar für einen Augenblick bei einem Gefühl oder Bild verweilt, aber dann sofort in seinem Assoziationsnetzwerk nach weiteren Bedeutungen sucht, die ihn vom jeweiligen Gegenwartsmoment wegführen

    - Sondern bezeuge deinem Patienten dein großes Interesse an Gegenwartsmomenten

    - Denke daran, dass bei allen Gegenwartsmomenten vor allem der nonverbale Bereich wichtig wird: wie z.B. Veränderung der Körperhaltung, Atmung, Tonfall, Festigkeit der Stimme

    - Mach dir deshalb bewusst, dass du deine bisherigen Auffassungen über körperliches Agieren revidieren musst

    - Achte besonders darauf, wenn aus einem Gegenwartsmoment ein Jetzt-Moment wird, der vormals häufig als ein «Agieren des Patienten» unerwünscht war

    - Reagiere auf einen Jetzt-Moment deshalb auch nicht mit der gelernten analytischen Technik (z.B. «Wie fühlt sich das jetzt für Sie an?», «Können Sie sagen, was Ihnen dazu einfällt?», «Mhm»), sondern sei in diesem denkwürdigen Augenblick authentisch

    - Lass somit einen Moment der Begegnung zwischen euch beiden zu

    - Konzentriere Dich auf das gegenwärtige Erleben der Begegnung mit deinem Patienten

    - Vergiss deshalb gelernte Theorien, aber auch die Erinnerung an die vergangenen Sitzungen, denn mit den daraus resultierenden Erwartungen und Voraus-Urteilen kannst du dich nicht achtsam genug auf das im gegenwärtigen Augenblick stattfindende Erleben einstellen

    - Stelle dich somit über längere Phasen der analytischen Sitzung auf ein «moving along» ein, bei dem du zu spüren versuchst, was in deinem Patienten vor sich geht, was in dir und was zwischen euch beiden gefühlsmäßig abläuft, ohne dies mit verbalen Interventionen zu unterbrechen

    - Lass dich von einem plötzlichen Gegenwartsmoment entsprechend überraschen; d.h. reagiere authentisch und nicht mittels eines Rückgriffs auf gelernte Routinen oder gar Konzepte

    - Sprich bei einem Jetzt-Moment das Aufbrechen des gewohnten impliziten Beziehungswissens auf keinen Fall mit einer herkömmlichen Uebertragungsdeutung an

    - Denke daran, dass in einem ungleich stärkeren Umfang als dies bei den anderen psychoanalytischen Richtungen angenommen wird, die verändernde Kraft mittels eurer Beziehungsregulierung erfolgt

    - Deine einfühlsame, achtsame, von möglichst wenig Vorauswissen geprägte therapeutische Haltung, dein Mut, authentisch und ganz auf deinen Patienten eingestellt zu reagieren, vermittelt diesem eine ganz neue, noch niemals erfahrene Art des mit einem anderen Menschen Zusammenseins

    - Mach dir bewusst, dass die wichtigsten Kommunikationen zwischen deinem Patienten und dir nicht die verbal semantischen Erzählungen sind, sondern die verkörperten Ausdrucksmodi und die Vitalitätskonturen

    - Mach dir bewusst, dass alle deine Äußerungen, also auch deine «Hms» und «Ajas» eine Vitalitätsdynamik beinhalten, die z.B. eine absteigende oder aufsteigende Tonhöhe aufweisen

    - Gib deinem Patienten die Gelegenheit, seinen Leib sprechen zu lassen

    - Betrachte leibliche Ausdrucksphänomene auf keinen Fall als minderwertiges Agieren, das umgehend verwörtert werden muss, sondern stimme dich in diese körperlichen Enactments ein, sofern sie dir bewusst werden

    - Warte mit Deutungen leiblicher Phänomene deshalb zunächst ab

    - Konzentriere dich stattdessen auf die Artikulationen der Körpersprache deines Patienten und ermögliche ihnen einen «Spielraum» (Heisterkamp)

    - Leibliche Erlebnis- und Handlungsformen drücken frühe prototypische Lebenserfahrungen aus

    - Lasse dich nicht davon irritieren, dass die Mimik und Gestik mancher Patienten (z.B. mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil) wie versteinert oder ausdruckslos wirken, denn über Körperhaltung und Stimme drücken sie dennoch Beziehungserfahrungen aus

    - Denke ebenfalls daran, dass auch von dir permanent verkörperte Handlungsangebote ausgehen, z.B. im Rhythmus und der Prosodie deiner Stimme, im Räuspern, Hin- und Herbewegen usw.

    - Lasse dich im vorsymbolischen Erfahrungsbereich als Objekt verwenden

    - Achte hierbei besonders auf eigene motorische, vegetative und affektive Befindlichkeiten

    - Setze hierbei deinen eigenen Körper als Resonanzraum ein

    - Achte beim Aufbau neuer Selbst- Objekt- und Interaktionsrepräsentanzen v.a. auf das Kern-Selbst deines Patienten, das sich in der Regel viel zu wenig als Urheber seiner Handlungen erleben kann

    - Achte bei Verwörterungen v.a. auf vitalisierende Interventionen, die einen "Energie-Austausch" ermöglichen

    - Verknüpfe sensomotorische Erfahrungen mit Bild- und Wortvorstellungen; bereite damit bildhafte wie wortsprachliche Repräsentanzenbildung vor

    - Verwende lebendige und kreative Metaphern, die sich aus dem gefühlten Hier und Jetzt ergeben



    Die klassische Bindungstheorie: John Bowlby, Mary Ainsworth et al.

    Klinische Metaphern und Konstrukte
    -> Bei einer sicheren Bindungsqualität B («balanced») kann ein Kind aufgrund seines Vertrauens in die elterliche Zuverlässigkeit seine positiven und negativen Gefühle zeigen und es herrscht eine gute Balance zwischen Explorations- und Bindungsverhalten vor. Die Trennung von der Mutter stresst das Kind durchaus, so dass es möglicherweise zu weinen beginnt; bei der Wiedervereinigung lässt es sich aber schnell wieder von der Mutter beruhigen.

    -> Bei einer unsicher-vermeidenden Bindungsqualität A («avoiding») hat das Kind die Erfahrung gemacht, dass es zurückgewiesen wird, wenn es die Bindungsfigur benötigt oder negative Gefühle äussert. Die vermeidenden Verhaltensweisen haben die Funktion, die deutlich eingeschränkte Nähe zur Bindungsperson dennoch aufrechtzuerhalten; aus diesem Grund müssen allzu deutliche Anzeichen von Kummer, Traurigkeit und Stress während der Trennung von der Bezugsperson unterdrückt werden. Das Explorationsverhalten ist auf Kosten des Bindungsverhaltens überaktiviert.

    -> Ein Kind mit unsicher-ambivalenter Bindungsqualität C ("crying"), zeigt hingegen nur ein eingeschränktes Explorationsverhalten, da sein Bindungsverhalten überaktiviert ist. Es äussert Wut, Angst oder passive, hilflose Strategien und schwankt bei der Wiedervereinigung zwischen ärgerlichem und anklammerndem Verhalten, weil es vermutlich keine konsistenten Erfahrungen von Zuverlässigkeit der Bindungsfigur gemacht hat

    -> Als Zusatzkategorie kann noch eine desorientierte/desorganisierte Bindungsqualität D (»disorganized») vergeben werden, wenn kein konsistenter Bindungsstil auffindbar ist. Das Kind zeigt dabei unvereinbare Verhaltensweisen wie z.B. stereotype Bewegungen nach Aufsuchen von Nähe, Phasen der Starrheit (sog. «freezing») und Ausdruck von Angst gegenüber einem Elternteil.
    Diese Bindungsqualität korreliert am höchsten mit psychischen Störungen

    -> Es gibt somit ein primäres und autonomes Bindungsverhalten; es entsteht aufgrund der Reziprozität des Schutz suchenden (Klein-)Kindes und des fürsorglichen Erwachsenen
    -> Das Bindungsverhalten manifestiert sich überwiegend in Anklammern, Nachfolgen, Schreien, Saugen und Lächeln
    -> Ziel der Bindung ist die (Wieder-) Herstellung von Nähe zur Pflegeperson, um Sicherheit zu erleben bzw. um Schutz vor drohenden Gefahren, wie z.B. Dunkelheit, zu erhalten
    -> Bindung und Sexualität sind demnach als Systeme strikt voneinander zu trennen [! M.F.]
    -> Eltern haben ein angeborenes Wissen darüber, wie sie die Bindungsverhaltensweisen ihres Kindes erkennen können
    -> Insbesondere ist elterliche Feinfühligkeit, auf die kindlichen Bindungssignale prompt und angemessen zu reagieren, von großer Bedeutung
    -> Das Ziel des Bindungsverhaltenssystems ist erreicht, wenn Schutz und Sicherheit als «gefühlte Sicherheit» realisiert werden können
    -> Bindungspersonen stellen einen körperlichen und emotionalen sicheren Hafen bereit und dienen als sichere Basis, von der aus, ein Kind sein explorierendes Verhalten starten kann

    Behandlungspraktisches Vorgehen:
    - Sei für deinen Patienten vor allem eine «sichere Basis» (Ainsworth); bedenke, dass vor allem diese Erfahrung deinen Patienten ermutigt, sich die verstörenden und dunklen Seiten seines Lebens zu vergegenwärtigen und genauer zu explorieren

    - Dabei stelltst du keineswegs per se eine sichere Basis für deinen Patienten dar, sondern du musst dich immer wieder darum bemühen. Zu den Bedingungen einer sicheren Basis gehören neben dem pünktlichen Einhalten der Sitzungstermine, der rechtzeitigen Bekanntgabe von Ferienterminen, keinen allzu langen Unterbrechungen, dem ungestörten Praxisraum (z.B. kein Telefon in der Praxis, Praxis von Privaträumen getrennt], vor allem emotionale Resonanz und Verfügbarkeit, Wärme, Empathie, Taktgefühl, Zurückhaltung bei Wertungen und eine gute Reflexion des neurotischen Anteils deiner Gegenübertragung

    - Denke auch daran, dass deine Aeusserungen für deinen Patienten verständlich und nachvollziehbar sein sollten; vermeide also jeglichen Fachjargon, kryptische, unklare oder zu lange Formulierungen.
    Vergewissere dich, dass dein Patient deine Aeußerung verstanden hat, falls er sich aus Stolz, Vermeidung von Abhängigkeits- oder Unterlegenheitsgefühlen nicht nachzufragen traut.

    - Vor allem aber ist deine spürbare gefühlsmäßige Präsenz von großer Wichtigkeit. Längere Schweigepausen, um die Abkömmlinge unbewusster Phantasien in den Assoziationen deines Patienten mit gleichschwebender Aufmerksamkeit entdecken zu können, vertragen nur bindungssichere Patienten gut; für Bindungsunsichere ist längeres Schweigen häufig der Hauptgrund für Unzufriedenheit bis hin zum Abbruch der Therapie

    - Stelle dich darauf ein, dass die Herstellung einer sicheren Basis kein Entweder-oder-Vorgang ist, sondern mehr oder weniger gut gelingen kann

    - Patienten, die noch nie in ihrem Leben eine sichere Basis erlebt haben, stellen dich dabei vor die größten Schwierigkeiten; denn sie entwerten immer wieder deine Äußerungen, lassen Termine ausfallen, sind äußerst misstrauisch oder verlangen intellektuelle Erklärungen für deine Angebote

    - Lasse dich von dem jeweils aktivierten Bindungssystem deines Patienten ansprechen und in deiner Vorgehensweise leiten

    - Denke daran, dass eine Exploration der Wünsche, Aengste und Abwehrformen erst dann stattfinden kann, wenn sich Dein Patient - v.a. wenn er ein unsicher-distanziertes Bindungsmuster aufweist - sicher genug fühlt

    - Berücksichtige aber auch, dass es Patienten mit bindunsgvermeidendem Muster gibt, die auf ein Zuviel an emotionaler Nähe mit Rückzug reagieren

    - Stelle dich deshalb darauf ein, dass Patienten je nach Bindungsmuster deine emotionalen Angebote unterschiedlich erleben; verhalte dich deshalb flexibel im Umgang mit den Nähe- und Distanzwünschen deiner jeweiligen Patienten und ebenso in Hinblick auf die Gestaltung des Settings (Sitzen, Liegen, Stundenfrequenz)

    - Unsicher-distanzierte Patienten z.B. können das Liegen als eine Versuchungssituation erleben und als eine Aufforderung missverstehen, ihre unterdrückten Bindungswünsche aktivieren zu sollen und sich deshalb heftig dagegen wehren

    - Missverstehe dies aber nicht als einen psychodynamischen Widerstand, sondern konzeptualisiere die Angst vor Nähe und die Aversion, sich gefühlsmäßig zu öffnen als ein früh erfolgtes Erwartungslernen, das im impliziten Gedächtnis kodiert ist

    - Widerstandsdeutungen würden deshalb auf ein völliges Unverständnis stoßen

    - Gehe aber bei Patienten mit einem unsicher-distanzierten Bindungsstil davon aus, dass ihr fast zwanghaftes Bemühen um Selbstständigkeit eine aus tiefer Not entstandene adaptive Strategie ist, die in ihrer (Klein-) Kindheit ein Minimum an Schutz gebender Nähe ermöglicht hat

    - Und denke bei Patienten mit einem unsicher-verstrickten Bindungsstil daran, dass ihr forderndes und unersättlich wirkendes Verhalten ebenfalls eine adaptive Strategie ist, von deiner Fürsorge soviel wie nur möglich in so wenig Zeit wie möglich zu erhalten

    - Achte darauf, dass Patienten mit unsicherer Bindung sehr schnell in deinem Gesicht und ebenso in deinem (zu langen) Schweigen Anzeichen von Ablehnung, Missbilligung oder gar Verachtung wahrnehmen, die Rückzug oder Flucht nach vorne (z.B. in Form von Spott, Entwertung, Negativismus oder Anklammerung) bedingen

    - Weise den Patienten behutsam darauf hin, dass seine Wahrnehmungen deiner Person durch sein aktiviertes Bindungssystem ausgelöst sein können

    - Mache Dir aber auch stets bewusst, dass jegliche Art von Uneinfühlsamkeit von deinem Patienten sofort registriert und entsprechend seinem Bindungssystem verarbeitet wird

    - Da die Ursprünge der Bindungsmuster die damit einhergehenden Verleugnungen und Dissoziationen bei einem unsicheren Bindungsstil im Präverbalen wurzeln, solltest du dich keineswegs nur auf die semantischen Inhalte der Narrative deines Patienten verlassen

    - Konzentriere dich deshalb auch auf die nonverbalen Mitteilungen deines Patienten, die im verbalen Subtext, in der Prosodie seiner Aeußerungen, seiner Körpersprache zum Ausdruck kommen

    - Denke daran, dass nicht nur bei Patienten mit einem ungelösten Trauma (U-Kategorie) Beeinträchtigungen der Bindungsfähigkeit vorliegen, sondern dass auch als sicher gebunden eingeschätze Menschen ungelöste Traumatisierungen aufweisen können, die vom alltäglichen Erleben dissoziiert sind (kontinuierliche Beziehungstraumata wie z.B. ein Uebermaß an erfahrener Parentifizierung); lasse dich also nicht allzu sehr von kategorialen Bindungskategorien leiten

    - Derartige Dissoziationen aufgrund unbewältigter Traumatisierungen zeigen sich z.B. in inkohärentem Sprechen oder langen Schweigepausen

    - Generell ist es wichtig, dass du deinen Patienten zwischendurch immer wieder darum bittest, seine Wahrnehmung von sich selbst und von seinen gegenwärtigen Bezugspersonen einschliesslich deiner Person dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie auf die mangelhafte Einfühlung seiner Eltern in seine Bindungsbedürfnisse zurückgehen.
    Vermeide es aber auf jeden Fall, sie auf unbewusste Phantasien zurückzuführen, denn dies würde den Patienten retraumatisieren. Hilf ihm dabei, falls er seine Eltern oder andere frühe Bezugspersonen immer noch in Schutz nehmen, entschuldigen oder das Gewesene verharmlosen will, dies als Abwehr zu verstehen, die wegen der Aufrechterhaltung der Bindung ursprünglich lebensnotwendig gewesen war

    - Mache Dir bewusst, dass die Fähigkeit, im Verlauf der Therapie eine «narrative Kompetenz» zu entwickeln, seine Lebensgeschichte kohärent erzählen zu können, wozu auch gehört, verzerrte oder fehlerhaft idealisierte biographische Narrative dekonstruieren zu können und damit abgespaltene und unzulängliche Selbstgefühle zu überwinden, zu den wichtigsten Errungenschaften der bindungsorientierten Psychotherapie gehört


    MENTALISIEREN [v.a. bei strukturschwachen PatientInnen]: Die zeitgenössische Bindungstheorie: Peter Fonagy, Mary Target et al.

    Behandlungspraktisches Vorgehen:
    - Achte bei deinem Patienten auf strukturelle Beeinträchtiugungen seiner Fähigkeit, zu mentalisieren; diese können z.B. darin bestehen, dass er Schwierigkeiten damit hat, sein eigenes Verhalten oder dasjenige anderer Menschen in einen Zusammenhang mit inneren Absichten, Bedürfnissen und Gefühlszuständen zu bringen.
    Schwierigkeiten können aber auch darin bestehen, dass er von der Richtigkeit seiner Ansichten absolut überzeugt ist und keine andere Auffassung gelten lässt oder dass er eine Identität zwischen seinen Bedürfnissen und Absichten und denen wichtiger Anderer, wie z.B. auch Dir, unterstellt

    - Voraussetzung für das Mentalisieren ist, dass sich dein Patient einigermassen sicher fühlt

    - Achte darauf, jeweils nur kurze Pausen im Gesprächsfluss entstehen zu lassen, weil sich sonst dein Patient mit seiner nichtmentalisierten innern Welt allein gelassen und sich dem "Chaos" miteinander unverbundener Vorstellungen und Erinnerungen ausgeliefert fühlt.

    - Bedenke, dass es deshalb für deinen Patienten abträglich ist, wenn Du ihn frei assoziieren lässt;
    stattdessen wäre es besser, mit ihm eher im Stil eines alltägssprachlichen Dialogs zu kommunizieren, bei dem aber auch genügend Zeit für das Nachdenken und somit entsprechende Pausen im Redefluss möglich werden

    - Mentalisierende Vorgehensweisen sind besonders bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, mit sozialen und interpersonalen Defiziten und mit somatisierenden Störungen angezeigt; aber auch Patienten mit einer besser entwickelten Ichstruktur können in manchen Konfliktfeldern Schwierigkeiten aufweisen, sich ihrer eigenen sowie fremder Gedanken und Gefühle explizit und implizit bewusst zu werden; auch sie können vorübergehend in den Äquivalenz- oder den Als-ob-Modus geraten, vor allem wenn bindungsrelevante Aengste aktualisiert werden

    - Generell ist bei der mentalisierenden Vorgehensweise wichtig, dass du deinem Patienten nicht den Eindruck vermittelst, dass du der Experte für seine innere Welt bist. Vermeide deshalb, eine hierarchisch höher gestellte Haltung gegenüber deinem Patienten anzunehmen, sondern frage immer wieder im Sinne einer forschenden Grundhaltung nach. Denn tatsächlich kannst du selbst keineswegs die mentalen Zustände deines Patienten von vornherein kennen; sie sollten deshalb zunächst für dich undurchsichtig sein, selbst wenn du manchmal glaubst, bereits alle wesentlichen psychodynamischen und psychogenetischen Zusammenhänge zu wissen oder zu erahnen.
    Denke also daran, dass vermeintliche «Allwissenheit» ein prämentalisierender Denkmodus ist.

    - Unterbrich den Redefluss deines Patienten vor allem immer dann, wenn du den Eindruck bekommst, dass es sich dabei um ein Pseudo-Mentalisieren handelt, d.h. um ein Reden, bei dem wie im Als-ob-ModuS keine Verbindung zwischen der inneren Welt und der äußeren Realität besteht

    - Lass deinen Patienten an deinen Ueberlegungen teilhaben, indem du öfters laut denkst und dabei auch das Vorläufige deiner Gedanken betonst

    - Konzentriere dich auf die innere Gefühlswelt deines Patienten, die gerade aktuell ist; beziehe dich also nicht auf Verhaltensweisen, aber auch nicht auf Gefühlszustände in der Vergangenheit, die für mentalisierungsschwache Personen zu abstrakt bleiben

    - Differenziere zunächst in den Aeußerungen deines Patienten die nicht-mentalisierenden von den mentalisierenden Aeußerungen; drücke deine Anerkennung bei denjenigen Aeußerungen aus, bei denen dein Patient mentalisiert, sich z.B. über die Gefühle und Absichten anderer Menschen Gedanken macht, statt nur von deren sichtbarem Verhalten auszugehen; versehe andererseits nicht-mentalisierende Aeußerungen deines Patienten mit einem Fragezeichen, so dass er auf diese zu achten beginnt

    - Hinterfrage nicht-mentalisierende Aeußerungen, indem du alternative Deutungen der Geschehnisse vorschlägst («Sie sagen, dass ihr Gegenüber Sie verächtlich angeschaut hat. Könnte es sein, dass er mit seinem Gesichtsausdruck Erstaunen und Anerkennung zum Ausdruck bringen wollte?»)

    - Gehe zwischendurch immer wieder empathisch auf die bislang nicht verwörterten Affekte deines Patienten ein, benenne sie und versuche herauszufinden, welche Anlässe und Vorstellungen zu ihnen geführt haben können

    - Wenn du den Eindruck bekommst, dass dein Patient von unmentalisierten Vorannahmen ausgeht, die wie eine plötzliche Verstimmung bei ihm auftauchen können, benütze die sog. «Stopp - nicht weiter!» - Konfrontationstechnik. Damit hältst du das Gespräch wie einen Filmausschnitt an und ermutigst deinen Patienten dazu, dieses «Standbild» hinsichtlich des aktuellen Gefühlszustands und der zugrunde liegenden mentalen Vorgänge zu erkunden

    - Denke immer daran, dass ein Patient, sofern er sich im teleologischen Modus befindet, deinem konkreten Verhalten (wie z.B. ein um einige Sekunden verzögertes Oeffnen der Praxistür) eine übermässig starke Bedeutung zuschreibt, die Du - nach erfolgter markierender Spiegelung - anschließend hinterfragen solltest

    - Neben dem aktiven Nachfragen ist es wichtig, immer wieder alternative Sichtweisen auf das Problem zu betonen («Sie hatten den Eindruck, dass ich Sie ablehne, weil ich einen Moment lang geschwiegen habe; könnte es auch andere Gründe für mein Schweigen geben?»)

    - Mach dir bewusst, dass deine Bemühungen, einem Patienten bestimmte Gefühle aufzuzeigen, bei ihm nichts bewirken können, wenn er sich im Als-ob-Modus befindet, in dem er seine Vorstellungswelt von der äußeren Realität abgekoppelt hat

    - Lasse erkennen, wenn deine Mentalisierungsbemühungen nicht zutreffend waren

    - Lasse den Patienten an deinen Ueberlegungen teilnehmen, soweit sie die Interaktionen mit ihm betreffen

    - Vermeide Zuschreibungen mentaler Zustände, die auf theoretischen Konzepten beruhen («vermutlich mussten Sie sich für Ihren Triumph bestrafen»)

    - Fordere deinen Patienten nicht dazu auf, zu bestimmten Themen frei zu assoziieren («Können wir uns Ihre Phantasien dazu noch anschauen»), sondern bitte ihn stattdessen darum, über einen konkreten Beweggrund nachzudenken («Was könnte der Grund dafür gewesen sein, dass Ihnen X so unsympathisch erschien?»). Unmentalisierte Erinnerungsbruchstücke sind bei diesen Patienten weitgehend unzusammenhängend, sie ergeben deshalb auch kein kohärentes Ganzes oder einen vorbewussten «roten Faden» und würden deshalb für ihn keinen Sinn ergeben

    - Vermeide es, dem Patienten deine Überlegungen und Ideen aufzudrängen, denn damit würdest du dem Mentalisieren buchstäblich den Garaus bereiten

    - Gehe vorsichtig mit dem Gebrauch von Metaphern um, es sei denn, der Patient findet selbst welche; denn Metaphern können bei mentalisierungsschwachen Patienten auf völliges Unverständnis stossen, weil sie Schwierigkeiten damit haben, ein Erleben aus verschiedenen Perspektiven an oder Seinsbereichen zu betrachten

    - Bevorzuge insgesamt ein relativ strukturiertes und supportives Vorgehen, das überwiegend - aber nicht ausschließlich - im Hier und Jetzt mit deinem Patienten bleibt

    - Auch wenn du selbst bemerkst, dass dir die mentalisierende Vorgehensweise leichter fällt, wenn dich nicht allzu starke Gefühle bewegen, versuche doch auch immer wieder intensivere Gefühle zwischen dem Patienten und dir entstehen zu lassen, was am ehesten gelingt, wenn die Beziehung zwischen euch beiden angesprochen wird. Denn diese ist gleichsam der Lackmustest für das Mentalisierenkönnen

    - Insbesondere wenn dein Patient versucht, seine abgespaltenen Selbstaspekte per Externalisierung und projektiver Identifizierung bei Dir unterzubringen, ist es wichtig, dein fast zwangsläufig auftretendes Agieren gut zu verstehen, um das Mentalisieren nicht zu unterbrechen

    - Erläutere deinem Patienten anhand von Beispielen die Grundzüge der Uebertragung, weise auf Uebereinstimmungen von Interaktionsmustern zwischen dir und deinem Patienten sowie ausserhalb der Analyse hin; bestehe aber nicht auf deiner Sichtweise, sondern suche nach Gründen für die eventuelle Nichtübereinstimmung.


    Anerkennung und Kreditierung als wichtigste Merkmale der Narzissmus-Psychotherapie

    Quellen für den folgenden Abschnitt:
    - Boothe B, Grimmer B (2005). Die therapeutische Beziehung aus psychoanalytischer Sicht. In: Rössler W. (Hrsg) Die therapeutische Beziehung. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, S 37–58
    - Boothe B, Heigl-Evers A (1996) Psychoanalyse der frühen weiblichen Entwicklung. Ruprecht, München
    - Boothe B, Hermann M-L (2011) Beziehungen, die Mut machen: Kreditierung in der Psychotherapie mit Aelteren. Psychotherapie Alter 8:203–216
    - Hermann, Marie-Luise, Dürler, Nicole, Rohrer, Gila, Boothe, Brigitte (2013). Beziehungs- und Kommunikationskonzept der Kreditierung. In: Der Psychotherapeut 58, S.56–62

    - Grimmer, Bernhard (2006). Psychotherapeutisches Handeln zwischen Zumuten und Mut machen - Das Beziehungs- und Kommunikationskonzept der Kreditierung. Kohlhammer, Stuttgart


    Wirkfaktoren der therapeutischen Beziehung

    "Dass die allgemeinen, allen Therapierichtungen gemeinsamen Faktoren wie Empathie, Wärme und v.a. die Qualität der therapeutischen Beziehung einen stärkeren Einfluss auf den Therapieerfolg haben als die spezifische Technik, wurde vielfach repliziert (z.B. Lambert u. Barley 2008)" (Hermann et al. 2013 S.56.

    Modell Kreditierung/Anerkennung: zutrauen und zumuten

    Das Beziehungs- und Kommunikationskonzept der Kreditierung beschreibt zunächst eine elterliche Haltung, dem Kind zukünftige Fähigkeiten und Entwicklungspotenziale zuzuschreiben. Sie vermittelt dem Kind, was die 3-fache Bedeutung des englischen „to credit“ enthält (Boothe u. Heigl-Evers 1996 S.133):
  • jemanden anerkennen
  • ihm etwas zutrauen und
  • Glauben schenken.

    Diskreditierung bezeichnet negative Zuschreibungen oder das Absprechen von Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten mit entwicklungshemmender und entmutigender Wirkung.
    Grimmer (2006) sowie Boothe u. Grimmer (2005) übertrugen das Modell auf die therapeutische Beziehung, basierend auf Bezügen zur Uebertragungs- und Arbeitsbeziehung, der Bindungs- und Objektbeziehungstheorie sowie Befunden zur Eltern-Kind-Kommunikation.

    (...) Ein Patient sucht therapeutische Hilfe in einer Situation subjektiver Schwäche und mit geringem Vertrauen in eigene Problemlösefähigkeiten. Er erhofft sich vom professionellen Helfer „Kredit“ für Veränderungen und inneres Wachstum.
    Kann der Therapeut ihm zu Beginn Zutrauen in seine Fähigkeiten und sein Entwicklungspotenzial zuschreiben, trägt dies als Erwartungseffekt zu einem erfolgreichen Verlauf bei (Rudolf 1991 S.218).
    "Ein Patient erhofft sich vom psychotherapeutischen Helfer „Kredit“ für Veränderungen und inneres Wachstum, indem dieser ihm zu Beginn Zutrauen in seine Fähigkeiten und sein Entwicklungspotenzial zuschreibt.
    Für ein tragfähiges Arbeitsbündnis muss jedoch auch der Patient den Therapeuten als hilfreiche, vertrauenswürdige Person und kompetenten Begleiter besetzen können. Das initiale Aushandeln des therapeutischen Kredits entscheidet so über das Zustandekommen eines gegenseitigen Vertrauensvorschusses als Grundlage des Arbeitsbündnisses." (Hermann et al. 2013 S.56.
    Im Laufe der Therapie soll der Patient Mut und Selbstvertrauen in herausfordernde Schritte der Selbstexploration investieren (Bowlby 1988). Mit einem kreditierenden Anderen wird er dabei in seinem Akteur- statt Opferstatus gestärkt (Boothe u. Hermann 2011, Grimmer 2006). Neben der impliziten kreditierenden Haltung ermittelte Grimmer (2006) in Therapietranskripten mithilfe der Konversationsanalyse explizite Formen des Kreditierungshandelns. Darin wird der Patient in Bezug auf ein bestimmtes Therapieziel als eine entwicklungsfähige und kompetente Person explizit anerkannt.

    In der Praxis ist die Wahrnehmung eines inneren Maßes für das aktuell Notwendige und Zumutbare der therapeutischen Interventionen ein intuitiver Vorgang der Einfühlung und unbewussten Abstimmung. Unproduktiv sind anhaltende Unterforderung und Schonung der Abwehr bzw. Ueberforderung und Intensivierung der Abwehr. Dazwischen liegt ein Entwicklungsbereich, in dem das Zumuten und Zutrauen auf eine Bereitschaft trifft, etwas Neues psychisch aufzunehmen und zu wagen. Das Bewusstsein für die Formen des „Kredits“, die Therapeut und Patient einander und sich selbst geben, der gewährt und verspielt werden kann, wird hier als Orientierungshilfe und „Navigationslandkarte“ vorgeschlagen.

    Mit dem Fokus auf Kreditierungsgeschehen lässt sich der initiale Aushandlungsprozess wie folgt betrachten:
  • Welche Defizite und welcher Leidensdruck führen die Patientin zu mir (Selbstdiskreditierung)?
  • Mit welchen Ressourcen und Entwicklungspotenzialen präsentiert sie sich (Selbstkreditierung)?
  • Was traue ich der Patientin zu? Werde ich ihr etwas zumuten können, oder verlangt sie Schonung? Testet die Patientin auch mein Potenzial, sie verstehen und hilfreich sein zu können? [Interaktionelle (Dis-)Kreditierungen]?
  • Kann ich den Fremd(dis)kreditierungen dritter Personen Rollen oder Uebertragungsangebote entnehmen?
  • Passen die Erwartungen der Patientin an die Therapie zu meinem Angebot (Pakt, „matching“)?
    (Hermann et al. 2013 S.61)

    Literatur:
    Boothe B, Grimmer B (2005). Die therapeutische Beziehung aus psychoanalytischer Sicht. In: Rössler W. (Hrsg) Die therapeutische Beziehung. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, S 37–58
    Boothe B, Heigl-Evers A (1996) Psychoanalyse der frühen weiblichen Entwicklung. Ruprecht, München
    Boothe B, Hermann M-L (2011) Beziehungen, die Mut machen: Kreditierung in der Psychotherapie mit Aelteren. Psychotherapie Alter 8:203–216
    Bordin ES (1976) The generalizability of the psychoanalytic concept of the working alliance. Psychother Theory Res Pract Train 16:252–260
    Bowlby J (1988) Attachment, communication, and the therapeutic process. In: Bowlby J (Hrsg) A secure base. Clinical applications of attachment theory. Routledge, London, S 137–157
    Brandestini V, Hermann M-L (2010) Wie erklären Psychoanalytiker Patienten, was psychoanalytische Psychotherapie ist? Psychother Soz Wiss12:43–77
    Deserno H (2000) Arbeitsbündnis. In: Mertens W, Waldvogel B (Hrsg) Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe. Kohlhammer, Stuttgart, S 73–78
    Dürler N (2010) Kreditierung in Abklärungsgesprächen der Patientin Elsa D. Unveröffentlichte Lizenziatsarbeit, Psychologisches Institut, Universität Zürich, Zürich
    Freud S (1937c) Die endliche und die unendliche Analyse. In: Gesammelte Werke, Bd XVI, Fischer, Frankfurt a. M., S 57–99
    Greenson R (2000) Technik und Praxis der Psychoanalyse, 8. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart
    Grimmer B (2006) Psychotherapeutisches Handeln zwischen Mut machen und Zumuten. Das Beziehungs- und Kommunikationskonzept der Kreditierung. Kohlhammer, Stuttgart
    Hermann M-L (2009) Was im Leben zählt: Kreditierung und Selbstkreditierung alter Menschen im lebensgeschichtlichen Interview. Lang, Bern
    Hill C, Knox S (2009) Processing the therapeutic relationship. Psychother Res 19:13–29
    Horvath AO (2005) The therapeutic relationship: research and theory. An introduction to the Special Issue. Psychother Res 15:3–7


    V. 'Dialektische Psychotherapie' (DP) und 'Psychotherapie-Wissenschaft' (PTW)

    Dialektische Psychotherapie: ein integratives Modell bestehend aus psychodynamischen und systemischen Konzepten und Methoden

    Konzepte und Wirkfaktoren gelingender Psychotherapie im "Zeitalter des Narzissmus"

    Wenn ich jetzt im folgenden klinische Konzepte skizziere, sind diese immer in einem politischen und gesellschaftlichen Gesamtkontext zu verstehen (vgl. Kapitel 2 und 3 in diesem Buch), wo es darum geht, dem Einzelnen, und sei er/sie noch so nonkonform bzw. "krank", seine/ihre Würde zur¨ckzugeben.
    Statt das Individuum therapeutisch in die Norm zu pressen geht es vielmehr darum, den Symptomen und der Andersartigkeit einen Sinn zur¨ckzugeben und ein lebenswertes Leben zu ermöglichen, in der Tendenz eher ausserhalb des 'langweiligen Mainstreams' in selber gewählten Wohn- und Arbeitsformen.
    Nun aber zu den psychologischen Auswirkungen der inneren und äusseren Einflüsse, wie sie sich im Individuum zeigen und dementsprechend therapeutisch angegangen werden können - diese bilden dann die spezifischen Wirkfaktoren der hier dargelegten "Dialektischen Psychotherapie".

    Geschichte der Dialektik in der Psychologie

    ..................

    Quelle: Burkhard Vollmers: Das Werden der Person - Psychologie als dialektische Kulturwissenschaft
    ..................

    Geschichte der Dialektik in Psychoanalyse und Psychotherapie

    In der Psychologie übertrug sich dialektisches Denken der Hegelschen Tradition zunächst auf einige Psychoanalytiker wie Erich Fromm (1900-1980) und implizit auch auf Sigmund Freud (1856-1939).
    Unter den Entwicklungspsychologen zeichneten sich Jean Piaget (1896-1980) und Klaus Riegel (1925-1977) durch dialektische Konzeptionen aus. Klaus Holzkamp (1927-1995) vertrat als Begründer einer kritischen Psychologie ebenfalls dialektische Ideen. Ausdrücklich auf Hegel berief sich außerdem der Persönlichkeitspsychologe Robert Heiss (1903-1974).
    Zeitgenössische Vertreter dialektischer Konzepte in der Psychologie sind der amerikanische Sozialpsychologe Philip Zimbardo, der Deutsche Burkhard Vollmer (s.o.) und insbesondere der Kölner Professor Gottfried Fischer (1944-2014), der klinische Psychoanalyse und Dialektik verbindet und mit dem Konzept einer „kausalen Psychotherapie“ den Entwurf einer dialektischen Psychoanalyse vorlegt:

    "Der forschende Praktiker und der praktizierende Forscher"

    Das »Wunder heilender Gespräche«

    Gottfried Fischer (2011) definiert Psychotherapie als »Dialog und therapeutische Beziehungsgestaltung« und grenzt sich von Placeboeffekten, therapeutischen Manipulationen und dem Narzissmus mancher Therapeuten ab: Nicht der Therapeut heilt den Patienten, sondern dieser heilt sich mithilfe des Therapeuten selbst – für manchen Therapeuten eine nicht zu unterschätzende Kränkung.

    Literatur zur Dialektischen Psychotherapie und Psychotherapie-Wissenschaft:

    Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Übers. A. Franke u. N. Schulte. Erw. dt. Ausg., hg. von A. Franke. Tübingen (dgvt-Verlag).
    Barwinski, R., Bering, R., Eichenberg, Ch. & Fischer, G. (2010). Psychologie und die Zukunft der Psychotherapiewissenschaft. Kröning: Asanger.
    Barwinski, R. & Fischer, G. (2010). Erinnerung und traumatischer Prozess im Alter. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 8(4), 9-21.
    Bering, R., Eberhardt, M., Fischer, G. & Pietrowsky, R. (2011). Kennwerte und Normierung der Symptom-Checkliste (SCL-90-R) an Frauen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Klinische Diagnostik und Evaluation, 4(4), 326-342.
    Danner, XY (2006)................
    Delmonte Lovric, Damir (2010). Kausale Psychotherapie nach Gottfried Fischer. Online: www.kausalepsychotherapie.de [zuletzt abgerufen am 19.Okt.2016]
    Eichenberg, C. & Fischer, G. (2009). Die Zukunft der Psychotherapie in Deutschland und Europa - von der Notwendigkeit der Psychotherapiewissenschaft als eigenständige Disziplin. Psychotherapie Forum, 17(4), 183-184.
    Fäh, M. & Fischer, G. (1998 Hrsg.). Sinn und Unsinn in der Psychotherapieforschung. Eine kritische Auseinandersetzung mit Aussagen und Forschungsmethoden. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Fischer, Gottfried (1989). Dialektik der Veränderung in Psychoanalyse und Psychotherapie. Modell, Theorie und systematische Fallstudie. Heidelberg: Asanger.
    Fischer G. (1996). Dialektik der Veränderung in Psychoanalyse und Psychotherapie. Modell, Theorie und systematische Fallstudie. Hannover: Asanger.
    Fischer G. (2004). Konflikt, Paradox und Widerspruch. Für eine dialektische Psychoanalyse. Ausstieg aus dem Labyrinth. Kröning: Asanger.
    Fischer, G. (2007). Die Suche nach dem "rechten Barbier" - Kunstpsychologie und dialektische Psychoanalyse. In P. Soldt (Hrsg.), Ästhetische Erfahrungen. Neue Wege zur Psychoanalyse künstlerischer Prozesse. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Fischer, G. (2007). Editorial zum Schwerpunkheft "Unterwegs zur Psychotherapiewissenschaft als eigenständige Disziplin Teil 1: Beiträge zur Psychodynamik. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 2, 5-7.
    Fischer, G. (2007). Kausale Psychotherapie. Manual zur ätiologieorientierten Behandlung psychotraumatischer und neurotischer Störungen. Kröning: Asanger.
    Fischer, G. (2009). Tagungsbericht: Heilen und Forschen heute - geisteswissenschaftliche Grundlagen der Psychotherapie. ZPPM, 7(1), 92-99.
    Fischer, G. (2009). Heilen und Forschen heute - geisteswissenschaftliche Grundlagen der Psychotherapie. Bericht vom Kongress am 14.-15.11.2008 in Köln - 1.Tagung zum Aufbau der Psychotherapiewissenschaft. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 7(1), 92-99.
    Fischer, G. (2010). Von der Notwendigkeit eines ätiologieorientierten Vorgehens in der Psychotherapie. Qualitätssicherung auf empirische oder empiristische Art? Psyche, 64(7), 624-642.
    Fischer, G. (2010). Wer irrt denn nun, Descartes oder Damasio? Zur Erkenntnistheorie einer subjektiven Biologie des Menschen. In R. Barwinski, R. Bering & C. Eichenberg (Hrsg.), Dialektische Psychologie und die Zukunft der Psychotherapiewissenschaft. Von der Rückkehr der Geisteswissenschaften in Psychologie und Psychotherapie. Festschrift für Gottfried Fischer (S. 46-69). Kröning: Asanger.
    Fischer, G. (2008). Psychologische Medizin, subjektive Biologie und die Notwendigkeit von dialektisch-ökologischem Denken in den Humanwissenschaften. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 6(4), 13-27.
    Fischer, G. & Schay, P. (Hrsg.). (2008). Psychodynamische Psycho- und Traumatherapie. Konzepte, Praxis, Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    Fischer, G., Barwinski, R. & Eichenberg, C. (2008). Evidenzbasierte Psychotherapie. Überlegungen zur Umsetzung nach forschungslogischen und der psychotherapeutischen Praxis entsprechenden Prinzipien. Zeitschrift für Individualpsychologie, 33(1), 96-104.
    Fischer, G., Barwinski, R., Eichenberg, C., Fischer, A., Mosetter, K. & Mosetter, R. (2008). Zur Biosemiotik unterbrochener kommunikativer Handlungen - auf dem Weg zu einer psychotraumatologisch fundierten Psychosomatik. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 6(2), 9-24.
    Fischer, G., Barwinski, R., Eichenberg, C., Fischer, A., Mosetter, K. & Mosetter, R. (2008). Beziehungsgestaltung - ein Zeichenprozess. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin, 9-26.
    Fischer, G., Barwinski, R., Eichenberg, C., Fischer, A., Mosetter, K. & Mosetter, R. (2010). Zur Biosemiotik unterbrochener kommunikativer Handlungen - auf dem Weg zu einer psychotraumatologisch fundierten Psychosomatik. In M. Sauer & G. Fischer (Hrsg.), Jahrbuch Psychotraumatologie 2009. Biosemiotik in der psychosomatischen Medizin (S. 25-40). Kröning: Asanger.
    Fischer, G. & Barwinski, R. (2012). Quo vadis Psychotherapie? Ein Studium der Psychologie und Psychotherapiewissenschaft als "dritter Weg". Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 10(3), 91-101.
    Fischer, G., Barwinski, R. & Becker-Fischer, M. (2010). Emotionale Einsicht und therapeutische Veränderung - Einführung in die Praxis der modernen tiefenpsychologischen und analytischen Psychotherapie. Kröning: Asanger.
    Fischer, G. & Barwinski, R. (2013). Quo vadis Psychotherapie? Ein Studium der Psychologie und Psychotherapiewissenschaft als "dritter Weg". Psychotherapie-Wissenschaft, 3(1), 41-57.
    Fischer, G., Barwinski, R., Becker-Fischer, M. & Eichenberg, C. (2011). Emotionale Einsicht und therapeutische Veränderung - Einführung in die Praxis der modernen tiefenpsychologischen und analytischen Psychotherapie. Kröning: Asanger.
    Fischer, G., Bering, R. & Reddemann, L. (2011). Manual der psychodynamischen Traumatherapie. Göttingen: Hogrefe.
    Fischer, G., Eichenberg, C. & van Gisteren, L. (2009). Warum eine eigenständige Psychotherapiewissenschaft gebraucht wird. Gegen Trivialisierung und Bildungsverlust der Psychotherapie. Kröning: Asanger.
    Fischer, G. & Eichenberg, C. (2010). Psychotherapiewissenschaft. Von der Notwendigkeit, die Psychotherapie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin im Studium und postgradualer Ausbildung aufzubauen. Psychoanalyse im Widerspruch, 44, 97-116.
    Fischer, G. & Eichenberg, C. (2010). Warum eine eigenständige Psychotherapiewissenschaft dringend gebraucht wird. Gegen Trivialisierung und Bildungsverlust der Psychotherapie. In R. Barwinski, R. Bering & C. Eichenberg (Hrsg.), Dialektische Psychologie und die Zukunft der Psychotherapiewissenschaft. Von der Rückkehr der Geisteswissenschaften in Psychologie und Psychotherapie. Festschrift für Gottfried Fischer (S. 121-142). Kröning: Asanger.
    Fischer, G., Klein, A., Orth, A., Eichenberg, C. (2012). Vom Opfer zum Täter. Traumafokussiertes Profilung in der Kriminalpsychologie. Kröning: Asanger.
    Fischer, G., Klein B. (1997). Psychotherapieforschung – Forschungsepochen, Zukunftsperspektiven und Umrisse eines dynamisch-behavioralen Verfahrens. In: Hildemann, K.D., Potthoff, P. (Hrsg.). Psychotherapieforschung – Quo vadis. Ziele, Effektivität und Kosten in Psychiatrie und Psychosomatik. Göttingen: Hogrefe. S.17-35.
    Fischer, G. (2011). Minima Pathologica. Auszug aus Logik der Psychotherapie - philosophische Grundlagen der Psychotherapiewissenschaft. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 9(2), 55-70.
    Fischer, G., Barwinski, R., Becker-Fischer, M. & Eichenberg, C. (Hrsg.). (2011). Emotionale Einsicht und therapeutische Veränderung. Manual der modernen tiefenpsychologischen und analytischen Psychotherapie. Kröning: Asanger.
    Fischer, G. & Eichenberg, C. (2011). Psychotherapiewissenschaft. Einführung in eine neue humanwissenschaftliche Disziplin. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Fischer, G. & Sauer, M. (2010). Subjektive Biologie des Menschen. Biologische Grundlagen der Psychotherapiewissenschaft. Kröning: Asanger.
    Fischer, G., van Gisteren, L., Fischer, A. & Mosetter, R. (2008). Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der Psychotherapiewissenschaft. Kröning: Asanger.
    Freud Sigmund (1914). Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten. Gesammelte Werke, Bd 10. Frankfurt a.M.: Fischer.
    Gadamer, H.-G. (1977). Vom Zirkel des Verstehens. In: ders. (Hrsg.): Kleine Schriften. Bd. 4. Tübingen. S.54-61.
    Grawe, K. (2000): Psychologische Therapie. 2., korr. Aufl. Göttingen u. a.: Hogrefe.
    Hegel, G. F. W. (1988). Phänomenologie des Geistes. Neu hrsg. v. Hans-Friedrich Wessels, u. a. Hamburg: Meiner.
    Hegel, G. F. W. (1969). Werke in zwanzig Bänden. Bde. 5 und 6: Wissenschaft der Logik. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
    Honneth, A. (2007): Pathologien der Vernunft. Geschichte und Gegenwart der Kritischen Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
    Kesselring, Thomas (1981). Entwicklung und Widerspruch. Ein Vergleich zwischen Piagets genetischer Erkenntnistheorie und Hegels Dialektik. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
    Kopp, B., Mandl, H. (2006). Wissensschemata. In: Mandl, Heinz, & Helmut F. Friedrich (Hrsg.): Handbuch Lernstrategien. Göttingen u.a.: Hogrefe. S. 307-324.
    Kutter, P. (2000). Moderne Psychoanalyse. Eine Einführung in die Psychologie unbewusster Prozesse. 3., völlig überarb. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.
    Landis, E.A. (2001). Die Logik der Krankheitsbilder. Gießen: Psychosozial.
    Lang, H. (1993): Hermeneutik und psychoanalytische Therapie. In: Tress, Wolfgang, Nagel, Stefan (Hrsg.): Psychoanalyse und Philosophie: eine Begegnung. Heidelberg: Asanger. S.12-20.
    Lorenzer A. (1970). Sprachzerstörung und Rekonstruktion: Vorarbeiten zu einer Metatheorie der Psychoanalyse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
    Lovric, Damir (2009). Multimediale Visualisierung als Werkzeug moderner Wissenskommunikation - Der Einfluss systematisierender externer Repräsentationsformen auf Lernleistung und Lernemotion im Fach Klinische Psychologie. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades Dr. phil. an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln
    Mertens, Wolfgang (2005). Psychoanalyse. Grundlagen, Behandlungstechnik und angewandte Psychoanalyse. 6., vollst. überarb. Neuaufl. Stuttgart: Kohlhammer.
    Mittelstrass, J. (2005 Hrsg.). Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie Band II. 2. neu bearb. u. wesentl. erg. Aufl. Stuttgart und Weimar: Metzler.
    Mittelstraß, J. (2005 Hrsg.). Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie Band III. 2. neu bearb. u. wesentl. erg. Aufl. Stuttgart und Weimar: Metzler.
    Mittelstraß, J. (2005 Hrsg.). Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie Band IV. 2. neu bearb. u. wesentl. erg. Aufl. Stuttgart und Weimar: Metzler.
    Orlinsky, D.E., Howard, K.J. (1986). Process and outcome in psychotherapy. In: Garfield, S.L., Bergin, A.E. (Eds.). Handbook of psychotherapy and behavior change. 3rd ed. New York: Wiley. S. 311-384.
    Peirce CS (1998). Phänomen und Logik der Zeichen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
    Piaget, Jean (1992). Psychologie der Intelligenz. 3. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.
    Pine, F. (1990): Die vier Psychologien der Psychoanalyse und ihre Bedeutung für die Praxis. In: Forum der Psychoanalyse 6. S.232-249.
    Plessner, H. (1976): Die Frage nach der Conditio humana. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
    Prechtl, P., Burkhard, F.P. (1999 Hrsg.). Metzler Philosophielexikon. Begriffe und Definitionen. 2. aktual. u.erw.Aufl. Stuttgart und Weimar: Metzler.
    Reddemann L (2001) Imagination als heilsame Kraft. Stuttgart: Klett Cotta (Pfeiffer).
    Riegel, K.F. (1980). Grundlagen der dialektischen Psychologie. Stuttgart: Klett-Cotta.
    Ruffing, R. (2005). Einführung in die Geschichte der Philosophie. München: W. Fink.
    Schweizer Charta für Psychotherapie (2017). 'Psychotherapie Wissenschaften' PTW. Unveröff. Manuskript
    Solms M, Turnbull O (2004) Das Gehirn und die innere Welt. Düsseldorf: Walter.
    Stern DN (1985) The interpersonal world of the human infant. Basic Books, New York.
    Von Wyl, A., Crameri, A., Koemeda, M. Tschuchke, V. & Schulthess, P. (Revised edition, 2016). The PAP-S (Practice of Ambulant Psycho-therapy-Study), Switzerland: Study Design and Feasibility. Zurich University of Applied Sciences, Zurich. http://dx.doi.org/10.21256/zhaw-1100 - https://digitalcollection.zhaw.ch/handle/11475/1099
    Wutka, B., Fischer, G. (2013). Drehbuchentwicklung in der Cinetraumatologie. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin, 11(4), 35-47.


    - MATERIALIEN -

    Uebersicht der Konzepte:

    Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie - was ist das ?

    Auf der Basis von Sigmund Freud Psychoanalyse mit dem Vorbewussten sich befassende Behandlung
    Unbewusstes muss durch aufwaendige, d.h. lange und teure Psychoanalse mittels sog. Uebertragungseurose waehrend Jahren durchgearbeitet werden.
    Meistens reicht es das sog. Vorbewusste, das ist sog. "bewusstseinsfähiges" Material, bewusst zu machen wozu eine 10-30 Sitzungen dauernde Tiefenpsychologische Behandlung meistens ausreicht.

    - Bewusst (wach) - kognitive Therapieformen, inkl. Verhaltenstherapie, Beratung, Coaching
    - Vorbewusst (bewusstseinsfähig) - tiefenpsychol. fundiert, inkl. Integrative Therapie, Gestalttherapie u.a.
    - Unbewusst (inkl. verdrängt) - Klassische Psychoanalyse, inkl. Jung, Adler, Kernberg, Kohut u.a.



    I. Grundkonzepte psychischen Funktionierens:

  • SELBSTWERT, Orientierung und Kontrolle - Bandura, Rotter, Flammer: Selbstwirksamkeit
  • IDENTITÄT - Petzold: Die 5 Säulen der Identität, Souveränität, Kompetenz/Performanz

  • ENTWICKLUNG - Erikson, Perrig-Chiello, Petzold, Baltes, Rutter: Life-Span-Development-Approach
  • Selbstregulation und Wachstum - Maslow, Rogers: Human Potential

  • BEZIEHUNG und Bindung - Bowlby, Lorenz
  • KOMMUNIKATION - Systemische Ansätze - Satir, Minuchin, Stierlin, Von Werdt


    II. Grundkonzepte psychotherapeutischen Handelns:

  • KONTAKT und DIALOG - Perls, Buber: Gestalttherapie
  • MUSTER / SCHEMATA - Grawe/Greenberg: Schemata
  • Lösungsorientiertheit - De Shazer: Lösungsorientiertheit
  • RESSOURCEN - Antonovsky: Salutogenese
  • FLOW - Czicentimihaly: Flow

    Weitere Stichworte:
  • Uebertragung / Gegenübertragung
  • Widerstand, Arbeit mit...
  • Phasen des therap. Prozesses: inkl. Small Talk am Anfang und Ende
  • ...........
  • ............





    MENTALISIEREN

    Mentalisierungsbasierte Psychotherapie MBT – ein integrativer psychodynamischer Ansatz:
    Vgl. auch Kapitel X: Entwicklungspsychologische Aspekte des Narzissmus

    Das Mentalisierungskonzept
    "Mentalisierung meint den Erwerb der Fähigkeit, eigene affektive Zustände und innere Verfassungen anderer Menschen sowie interpersonale Verhalten zu verstehen und dadurch ein ausreichend stabiles und gutes Bild des eigenen Selbst entwickeln zu können" (Fonagy, Target, Gergely et Jurist, 2006). Fonagy und Target sind Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, welche in London viel Forschung gemacht haben.
    Sie verknüpfen die klassischen psychoanalytischen Konzepte (v.a. Melanie Klein und Bion) mit der Entwicklungspsychologie von Jean Piaget, der Bindungstheorie von John Bolwby, der Theory-of-Mind sowie der kybernetischen Feed-back-Theorie.
    Wir mentalisieren, wenn wir uns bewusst werden, was in einem anderen Menschen vorgeht oder was in uns selbst vorgeht. Fonagy hat es auf die prägnante Formel gebracht: "Having Mind in Mind" (z.B. Allen et al. 2008 S.3). Mentalisierend interpretieren wir automatisch das Verhalten von uns und anderen. Dabei gelingt es uns von Situation zu Situation besser oder schlechter, die innere Welt einer anderen Person, d.h. ihre Motive, Emotionen, Überzeugungen etc. zu lesen. Die Fähigkeit, zu mentalisieren hängt dabei nicht nur von der jeweiligen Situation und vom Stressniveau ab, auch können es Menschen unterschiedlich gut.
    Das Erkennen des mimischen Ausdrucks von Emotionen hat dabei eine wichtige Bedeutung für die Verständigung. Insbesondere in wichtigen Beziehungen vermittelt es Sicherheit, die Gefühlslage und Motive des andern einigermassen einschätzen zu können. Da wir die innere Welt unserer Mitmenschen immer nur annäherungsweise und ungenau erfassen können, entstehen manchmal Missverständnisse. Je schlechter wir die Welt unserer Mitmenschen (und unsere eigene) erfassen können, umso häufiger entstehen Missverständnisse. Auf der Basis falscher Annahmen zu reagieren erzeugt Konfusion. Sich missverstanden zu fühlen erzeugt wiederum heftige Gefühle, die zu Rückzug, Feindseligkeiten, kontrollierendem Verhalten oder Zurückweisung führen.
    Gelingendes Mentalisieren zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: Genauigkeit und Reichtum.
    Genau mentalisieren heisst, die anderen so zu sehen, wie sie sind und ebenso sich selbst so zu sehen, wie man ist. Um den anderen so zu erkennen, wie er ist, braucht es Phantasie. Wir müssen uns in den anderen hineinversetzen, uns in seine Schuhe stellen. Aber das ist eine unsichere Sache.
    Zum Beispiel dann, wenn man sehr selbstkritisch ist, mag man fälschlicherweise annehmen, dass der andere es mir gegenüber auch ist. Mentalisieren ist genau, wenn die Phantasie mit der Realität verbunden bleibt.
    Der Reichtum des Mentalisierens bezieht sich auf die Anerkennung und Herausarbeitung verschiedener Perspektiven. Wenn eine Aussage im Ton der Gewissheit getroffen wird, wie etwa: "Dieser Patient ist narzisstisch", ist das Mentalisieren meist am Ende.
    Mentalisieren versetzt uns in die Lage, uns von impulsivem, zerstörerischem oder selbst-zerstörerischem Verhalten distanzieren zu können, zu reflektieren anstatt zu handeln, die Wut z.B. zu spüren, sie wahrzunehmen, sie zu beobachten und nicht gleich draufzuhauen. Im Sprachgebrauch des mentalisierungsbasierten Therapieansatzes heisst das den „Pausenknopf drücken“. Den Pausenknopf zu drücken ist dann hilfreich, wenn Konflikte durch heftige Affekte nicht mehr verstanden werden, nicht mehr mentalisiert werden können.
    Mentalisieren ist eine kognitive und emotionale Leistung, die intersubjektiv erworben wird. Der Mensch erkennt sich nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch den anderen.

    Mentalisierung meint die Fähigkeit, Gedanken, Gefühle, Absichten, also die innere psychische Welt bei sich und anderen zu erkennen.
    Die Förderung der Mentalisierung durch den Therapeuten wird dabei eher als therapeutische Haltung denn als Therapietechnik verstanden, die durch Rollenspiele, Audio- oder Videoaufzeichnungen und Supervision refl ektiert wird. Der Fokus liegt auf den Bindungsbeziehungen und der Affektregulierung im Hier und Jetzt.
    "Mentalisieren ist ein fundamentaler Wirkfaktor in allen Psychotherapien" (Allen 2013)

    Arten und Konsequenzen gestörter Mentalisierungsfähigkeit
    Bei gestörter Mentalisierungsfähigkeit bzw. bei deren Zusammenbruch in der Krise oder in emotional besonders involvierenden Beziehungssituationen greift die Person auf unreifere Arten zurück, psychische und äussere Realität wahrzunehmen und zu verknüpfen. Bateman und Fonagy unterscheiden drei Modi regressiver Verarbeitung, welche normalen Vorstufen der Mentalisierung in der kindlichen Entwicklung entsprechen:

    I. Aequivalenzmodus:
    ............
    II. Als-ob-Modus:
    ................
    III. Teleologisch:
    ................
    IV. Reflexiver Modus
    ....................
    Mentalisieren, Mentalisierung, Psychoanalyse, Fonagy, MBT, Psychologe, Therapeut, Berater, Coach, Entwicklung, Entscheidung, Selbstwert, Identität, Familie, Burnout, Depression, Angst, Panik, Phobie, Probleme, Beziehung, Sexualtherapie

    I. "Theory of Mind":

    - Piaget, Baron-Cohen
    Definition (nach Perner): „... das alltagspsychologische Konzept, geistige Zustände anderen und uns selbst zuzuschreiben: was wir wissen, denken, fühlen, etc.“

    II. Bindungstheorie:

    III. Psychotherapieforschung:

    - Frauchiger'97, Znoj 2013
    Jon G. Allen, Peter Fonagy, Anthony W. Bateman (2013)
    Mentalisieren in der psychotherapeutischen Praxis
    Ulrich Schultz-Venrath (2013)
    Lehrbuch Mentalisieren: Psychotherapien wirksam gestalten
    Jon G Allen, Peter Fonagy (2013)
    Mentalisierungsgestützte Therapie: Das MBT-Handbuch - Konzepte und Praxis
    Peter Fonagy, György Gergely, Elliot L. Jurist, Mary Target
    Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst
    Luise Reddemann (2013, Hrsg.)
    Zeiten des Wandels. Die kreative Kraft der Lebensübergänge

    Anthony W. Bateman, Peter Fonagy
    Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung: Ein mentalisierungsgestütztes Behandlungskonzept
    Donald W. Winnicott
    Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse
    Wolfgang Mertens
    Psychoanalytische Schulen im Gespräch, Band 3: Psychoanalytische Bindungstheorie und moderne Kleinkindforschung
    Daniel N. Stern/The Boston Change Process Group
    Veränderungsprozesse: Ein integratives Paradigma


    Weiterführende Links:
    Netzwerk relationale Psychotherapie und Mentalisieren Schweiz - MBT Schweiz
    Mentalisierung_net - Fortbildungsprogramm für klinisch tätige Ärzte und Psychologen in Deutschland
    Mentalisieren in der Psychotherapie
    Allen, Fonagy, Bateman - Mentalisieren - Systemagazin.de - Buecher - Neuvorstellungen 2011-07


    Uebertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP, tranferrence-focused psychotherapy) nach Otto F. Kernberg

    Nachdem ich bereits die MBT, also Fonagys mentalisierungsbasierte Psychotherapie als Alternative zu meinem eigenen Entwurf der Anerkennungsbasierten Therapie kurz vorgestellt habe, möchte ich der Vollständigkeit halber auch Kernbergs TFP kurz vorstellen.
    Obwohl die TFP v.a. für die Borderline-Diagnose entwickelt und erprobt wurde, hat sie sich auch in der Behandlung v.a. mittelgradiger narzisstischer Störungen (vgl. Kapitel über das Strukturniveau) bewährt:

    Ausgangspunkt der Behandlung ist der Versuch, die unbewußten psychischen Konflikte, unter denen der Patient leidet, in der Therapie zu halten.
    Dieses „containment“ (Ausdruck stammt von Bion, vgl. das Winnicott-Kapitel) erfolgt dadurch, daß der Aufrechterhaltung des therapeutischen Rahmens und vor allem der Arbeit mit der Uebertragung ständige Aufmerksamkeit gezollt wird. Die Übertragung und die Uebertragungsdeutung sind somit die zentralen Referenzpunkte der Behandlung.

    Eine TFP-Behandlung erfordert in der Regel den Aufbau einer langjährigen therapeutischen Beziehung. Sie stellt große Anforderungen an den Therapeuten wie den Patienten. Der Patient muß sich von der Vorstellung einer konkrete Hilfe gebenden Instanz, die nur positive Seiten hat, verabschieden.

    Der Therapeut muß aggressive Aspekte der Uebertragung schnell und aktiv deutend ansprechen, auch wenn es ihm oft „lieber“ wäre, den Patienten an dieser Stelle tröstend zu verstehen oder auch nur abzuwarten. Das Verfahren läßt sich nur anwenden, wenn der Patient bereit ist, sich auf einen umfangreichen Therapievertrag, Diagnostik und Videoaufzeichnungen einzulassen, also ein gewisses Maß an Ich-Struktur besitzt.

    Mögliche Einschränkungen für das TFP-Verfahren sind:
    - Das Verfahren erfordert eine gewisse Intelligenz, welche die meisten Borderline- und NPS-PatientInnen aber besitzen. Nur dann können die zum Teil komplexen Deutungen aufgefaßt werden. Patienten mit (zusätzlichen) hirnorganischen Psychosyndromen können manchmal nicht erreicht werden.
    - Das Verfahren erfordert aus diesem Grund Suchtmittelfreiheit (Alkohol, Benzodiazepine, illegale Drogen etc.), besonders wenn dadurch die Vigilanz und kognitive Auffassungsgabe eingeschränkt sein sollten.
    - Einige Borderline-Patienten weisen so starke antisoziale oder maligne narzißtische Züge auf, daß sie auch durch Deutungen nicht in der Lage sind, ihre Regression und ihre Ich-Syntonie, die total sein können, und die (oft fast psychotische) Projektion und Externalisierung aufzugeben. Das verunmöglicht einen, wenn auch noch so begrenzten, Perspektivenwechsel sowie eine „wirkliche“ Objektbeziehung.
    - Schließlich gibt es Borderline-Patienten, deren Selbstschädigungstendenzen eine solches Ausmaß und eine solche Häufigkeit angenommen haben („cutting-addicts“), daß sie dieses Verhalten nicht mehr einfach so (im Rahmen des Kontraktes) aufgeben können, um sich den dann auftretenden Affekten in der Therapie zu stellen. Diese Patienten brauchen manchmal vor einer TFP einen anderen therapeutischen Zugang, z.B. im Rahmen einer (spezifischen!) stationären Behandlung.

    Möglicherweise könnten aber – um diese schwerstkranken Patienten zu erreichen – in Zukunft auch vermehrt TFP-Elemente in andere Behandlungsformen als jene der ambulanten Einzelpsychotherapie eingebaut werden (z.B. in stationären Therapien oder auch ambulanten Gruppenbehandlungen).
    Natürlich sind in dieses psychodynamische Verfahren TFP sehr viele Elemente eingeflossen, die der allgemeinen klinischen Erfahrung bei der Psychotherapie dieser Patienten entsprechen und deshalb von anderen erfolgreichen Therapien – mit möglicherweise aber anderer Terminologie – in ähnlicher Weise postuliert werden.
    Dennoch ist das Verfahren vor allem aus drei Gründen eine radikale Alternative:
    - Das Verfahren arbeitet beinahe ausschließlich und von Anfang an in der Therapie mit den psychoanalytischen Techniken der Klärung, Konfrontation und vor allem auch der Deutung unbewußter Partialobjektbeziehungen, die sich in der Übertragung und Gegenübertragung manifestieren.
    - Aggressive und destruktive Elemente stehen früh im Fokus der Therapie, während supportive Elemente (Ermutigungen etc.) trotz der Schwere der Störung nicht angewendet werden.
    - Es wird – anders als in anderen Therapien – die zentrale Beziehungsstörung der Patienten durch die psychoanalytische Arbeit an und in der (Uebertragungs-)Beziehung in den Mittelpunkt gestellt.



    Das Prinzip Anerkennung: Relationale Narzissmus-PT nach Mitchell, Benjamin und Frauchiger

    Die Kunst in der Behandlung der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) liegt im Allgemeinen darin, sich nicht von den Ueberkompensationsstrategien den Blick darauf verbergen zu lassen, dass sich dahinter in aller Regel Einsamkeit, Beschämung und sehr viel Leid verbergen.
    Wendy Behary, Leiterin des Institutes zur Behandlung der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung in New Jersey und ausgewiesene Expertin auf diesem Gebiet, hat sich einmal folgendermassen ausgedrückt: »Mein Mitgefühl für narzisstische Patienten erwächst aus meinem Eindruck, dass die meisten nicht böswillig verletzend, ichbezogen oder arrogant erscheinen möchten, sondern mehr oder weniger ungeschickt versuchen, sich zu schützen.« (persönliche Mitteilung) Narzissmus in seiner ausgeprägtesten Form verursacht oft ein hohes Maß an Leiden bei allen Beteiligten.
    Natürlich primär bei den Betroffenen selbst, die bisweilen erleben müssen, dass sich ihre Umwelt entnervt und ernüchtert von ihnen zurückzieht. Auch können sie bei Versagen ihrer Kompensationsstrategien schwer depressiv werden, was mit einem erhöhten Suizidrisiko einhergehen kann (Fiedler 2000). Aber häufig kommen auch Partner, Kinder, Freunde, Kollegen oder Angestellte, die dem oft rücksichtslos, ichbezogenen und unempathisch erscheinenden Verhalten ausgesetzt sind, und nicht zuletzt natürlich Behandler an ihre Grenzen.
    Beim Austausch mit Kollegen auf zahlreichen Seminaren und Workshops erhielt ich sehr oft die Rückmeldung, dass sie die Behandlung dieser Patientenpopulation scheuen oder sich nur selten als förderlich erleben. (Dieckmann 2011)
    Quelle: Dieckmann, Eva (2011). Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung mit Schematherapie behandeln. Stuttgart: Klett-Cotta

    Wie soll nun ausgerechnet mit dieser von vielen KollegInnen als unangenehm erlebten Menschen eine anerkennende, bezogenheitsorientierte Psychotherapie aussehen?

    .........................




    KONZEPT (mit wichtigsten AutorInnen): Umsetzung in die Praxis (Beispiele und Hinweise):
      

    ENTWICKLUNG (u.a. Erikson), "Krise als Chance" (Ciompi)

     
       
    KONTROLLE

    Locus of Control (Rotter), Selbstwirksamkeit (Bandura), Erlernte Hilflosigkeit (Seligman), Sense of Coherence (Antonowsky), Empowerment/Souveränität (Petzold)

    "Was kann/will ich (selber!) tun?" (Coping); Hobbies, Schreiben, soziales Netz, Wochenziel, Krisenmodelle, sich den anderen vorstellen, Mitbestimmen was in der Gruppe läuft, "Was will ich hier (erreichen)", Souveränitätsbild, Hilfe zur Selbsthilfe, Standortbestimmung etc. - was kann ich besonders gut, was sind meine Stärken/Schwächen, meine Identität, mein Selbstverständnis

      

    RESSOURCEN (u.a. Grawe, Petzold), Salutogenese (Antonovsky), Coping (Lazarus, Heim)

    innere Beistände, Distanzierung (Kino), "safe place", Identitätssäulen, soziales Atom, Hobbies, (gesunde Anteile !), Stärken und Fähigkeiten, WE (freie Zeit) vor-, nachbesprechen etc.

       

    DIALOG (Buber), Intersubjektivität (Petzold), Kontakt (Perls)

    Vorstellen (selber/andere), offene Gesprächsgruppe, Brainstorming, Themenzentrierte Interaktion, (TZI), Dialogmalen, Rollenspiele, etwas in Kleingruppen besprechen/vorbereiten, Gruppenbild, Halbgruppen (mehr Tiefung möglich), Feedback/Sharing, Komplimente

    SCHEMATA: Schemata, motivational (Grawe), Schemata, emotional (Greenberg), Muster/Patterns

    Direktes Fragen nach Mustern/Wiederholungen im Alltag, aktives Hinweisen auf mögliche Muster wenn PatientInnen (Beziehungs-)Situationen schildern, Thematisieren von typischen Konflikt-Mustern: Nähe/Distanz-Regulation, Entscheiden zwischen A und B etc., Ausnahmen suchen: wo konnte ich das bekannte Muster für einmal durchbrechen, wie machte ich das, wie ist das für mich, wie fühlt es sich an (felt sense!). Was hat mich überrascht, was war neu für mich diese Woche ? etc.

      

    KREATIVITÄT, "Der schöpferische Mensch" (Petzold), Figur-Grund-Prinzip (Perls)

    Schreibwerkstatt, Baumzeichnung, Dialogmalen, Namensbild, Stimmungsbild, "safe place", Traumbild, Märchen, Musik, Tanz, Bewegung, Kreative Hobbies, Gruppenspiele etc., Kreatives Potential erspüren und entfalten lassen mit Anreizen dazu, möglichst offene, breite Themen

       

    LÖSUNGSORIENTIERUNG (De Shazer), Aktivierung (s.a. Bewegungsth.), Hier & Jetzt-Prinzip (Perls)

    Was funktioniert (noch)? Highlights der Woche erzählen lassen, Ueberraschendes/Neues suchen lassen, Wochen-, Tagesziele, Einzelarbeit in der Gruppe (vicarielles Lernen), Ausnahmen vom Problem, Wunderfrage (De Shazer), Reframing ("Halbvolles Glas"), Mitentscheiden etc.

       

    Felt Sense (Gendlin), Flow (Csikszentmihalyi), subjektive Anatomie (Uexküll et al.), Störungen (Cohn),

    Körperwahrnehmung, -bild, Ausnahmen vom Problem, "Was kann/will ich (selber!) tun?" (Coping), Befindlichkeitsrunden, Situationen verändern, Wunderfrage, Baumzeichnung, Situations(nach)besprechungen, Mitentscheiden etc.

       






    2.1. Konzept der "Souveränität" (Petzold 1998a), Konzepte des "locus of control" [LOC] (Rotter), der Kontrollmeinung (Flammer 1994), der "self-efficacy" (Bandura 1997) und des "sense of coherence" (Antonovsky 1997):

    Dies sind die Hauptkonzepte des von mir (M.F.) bereits im Jahre 2002 beschriebenen Kriseninterventions-Ansatzes (hier weitgehend synonym verwendet, da die Unterschiede in diesem Zusammenhang vernachläßigbar sind), weil gerade in Krisensituationen das Gefühl des "ich kann ja doch nichts machen" oft vorherrscht und sich daraus oftmals eine gesteigerte Suizidalität ergibt (externer locus of control = ext LOC). Wir versuchen deshalb, den uns anvertrauten Menschen "control" (deutsch etwa: selbstbestimmtes Handeln, nicht zu verwechseln mit dem deutschen "Kontrolle") zurückzugeben, indem der subjektive Standpunkt des Patienten, der Klientin, hervorgehoben wird und seine/ihre Meinungen, Einstellungen, Ziele etc. explizit und wertschätzend in den Mittelpunkt gestellt werden (vgl. auch Blaser et al. 1989), seine Handlungsimpulse zur Geltung kommen (interner LOC) etc., um so der "erlernten Hilflosigkeit" (Seligman 1975) entgegenzuwirken.
    Damit wird die persönliche Souveränität (Petzold 1998a) und das Selbstvertrauen gestärkt (Im Konzept der Souveränität werden die vier Konzepte (Rotter, Flammer, Bandura, Antonovsky) im Sinne eines Metakonzeptes zusammengeführt, das überdies noch Selbstwert und Selbstvertrauen/Grundvertrauen mit einschliesst – in einem "inneren Raum" der Souveränität, der einen "äußeren Ort" für Souveränität gewährleistet (siehe Petzold 1998a, 275ff.)).
    Dazu gehört auch das Wissen (kognitiv) um Krisen (Theorie als Intervention, s.u.) und um psychosoziale Gesundheit im allgemeinen (s.u.) um auch kognitiv das "negative Denken" (Beck 1994) in eine positive, konstruktive Richtung lenken zu können (vgl. das Reframing in der systemischen Therapie).
    Dieser angestrebte interne locus of control zieht sich durch die folgenden Konzepte hindurch und bildet den Hauptfokus oder den "Megafaktor" in dieser Form der Kriseninterventionspsychotherapie.

    2.2. Konzept des "life-span-developments".

    Diese von Hilarion Petzold u.a. (z.B. Baltes, Rutter, Thomae) vertretene Sichtweise betont gegenüber der älteren Lebensphasen-Sichtweise (Erikson 1956), dass v.a. an normativen und nichtnormativen Uebergängen (also Adoleszenz, Berufseintritt, Elternschaft, Pensionierung, Relokationen) Entwicklungs-Krisen auftreten können – nicht müssen -, wenn Reorganisationsprozesse des personalen Systems und seines Netzwerkes – nicht gut unterstützt verlaufen. Es ist deshalb wichtig, diese Art von "normalen" Krisen von den (psycho-)pathologie-bedingten zu unterscheiden. Siehe auch das Salutogenese-Konzept oben.

    2.3. Die Konzepte des Kontaktes (Perls 1976, Fuhr et al. 1999), der Begegnung (Moreno 1914, Buber 1954) des Dialoges und insb. des Polyloges (Buber 1954 überschreitend: Bakhtin (1981) und Levinas (1983), vgl. Petzold 1996k und Petzold 2002c), sowie des sozialen Netzwerks (begründet von Moreno (1934), vgl. ausführlich Hass, Petzold (1999).

    Gerade Gruppen haben ja den Vorteil, dass es im "geschichtsbewussten Erleben gegenwärtiger Situationen" (man spricht hier oft seminaiv und ahistorisch vom "Hier & Jetzt", das aber als ein perspektivisches gedacht werden muss; vgl. Petzold (1981e)) mehrere konkrete Gegenüber gibt.
    Mit ihnen tritt der Einzelnen in Kontakt – und diese mit ihm, so dass Polyloge entstehen. Er kann dann in einem geschützten Rahmen Neues oder längst Vergessenes ausprobieren, lernt dadurch ganz verschiedenerlei Menschen kennen, mit denen er/sie sonst vielleicht nie Kontakt hätte, andere Meinungen, Kulturen, Präferenzen etc. Somit wird beim Individuum Flexibilität und Toleranz, auch für eigene Schwächen, gefördert. Erweitert werden auch die soziale Kompetenz (das Wissen um, die Fähigkeiten für soziale Situationen) und die soziale Performanz (das Können, die Fertigkeiten in sozialen Situationen "souverän zu sein", s.o.) und das Gefühl des Verbundenseins und der Solidarität.

    2.x. Konzept der Ressourcenorientiertheit (versch. Autoren, in der klinisch-psychologischen Forschung momentan ein "Renner", z.B. Petzold 1997p, Grawe 1998) und der Salutogenese (Antonovsky).

    Es hat sich gezeigt, dass ein nur-problemorientiertes Vorgehen zu Frustration und Resignation führen kann. Ein Anknüpfen an bestehenden Fähigkeiten und Stärken hingegen setzt Energien zu kreativen Lösungsansätzen frei. Das Entdecken und Erweitern des eigenen Potentials steigert die Selbstwirksamkeit und das lustvolle, bejahende Lebensgefühl. Salutogen heisst, dass auch Gesundheit eine Entwicklung voraussetzt, eine Biographie hat, und die Pathogenese ergänzt. Hier hat auch das biographische Arbeiten (Osten 2000) (sogar in der Gruppe!) seinen Platz. Aus den salutogenen Erfahrungen entstehen oft die besten Lösungsansätze.

    zum Inhaltsverzeichnis


    2.4. Die Konzepte der Schemata: kognitive (Neisser, Lauken), motivationale (Grawe 2000), emotionale (Greenberg et al. 1993) und volitive (Petzold 2001).

    Ein "Schema" entspricht ungefähr dem verbreiteteren deutschen Ausdruck "Muster" bzw. englisch "Pattern".
    Der Schemabegriff stammt ursprünglich vom ersten "klinischen Psychologen", Begründer moderner wissenschaftlicher Psychotherapie und Traumatherapie, Pierre Janet – Psychiater an der Salpetière, den Piaget als "seinen Lehrer" bezeichnete (Petzold 2002h). Er wurde vom Genfer Psychologen Jean Piaget in der allgemeinen und Entwicklungspsychologie populär gemacht und fand in breiter Weise in die kognitve Psychologie Eingang (Mandler, Schank/Abelson, Neisser u.a.).
    Klaus Grawe hat das Verdienst, diese Arbeiten der Kognitivisten aufgenommen und die so populäre und verbreitete Vorstellung von "Mustern, die unser Leben steuern" in einen klinisch anwendbaren Schemabegriff gefaßt zu haben. (Adler sprach von "Lebensstil", Berne sprach von "Script", Petzold spricht von "Narrativen", Stilen, life styles (vgl. Müller, Petzold 1999).
    Gegenüber Janet, Piaget, Neisser ist Grawes Schemakonzeption eher reduktionistisch. Schemata werden oft enggreifend aufgefasst (kognitive Schemata, emotionale Schemata). "Stil" als ein "Synergem von Schemata" greift weiter: Stile sind "komplexe Konfigurationen von Schemata, nicht-lineare Schemaketten mit multiplen Ko-respondenz-, Resonanz- und Evolutionsprozessen, deren Informationen netzartig verbunden werden und sich dadurch akkumulieren und nicht exakt veraussagbar transformieren können" (Petzold 1992a, 829). Schemata werden oft alleinig als "innere" Muster gesehen, ein ökologischer Ansatz allerdings sieht Schemata in Interaktion untereinander – ein Konzept neuronaler Netzwerktheorie im Hintergrund läßt gar keine andere Sicht zu – und in Interaktion mit dem Umfeld (Petzold, van Beek, van der Hoek 1994, 521f, 553ff).
    Das gilt auch für eine scheinbar "intrapersonale" Argumentation: Die des Leibselbst sieht als ein "Synergem, die im Leibgedächtnis festgehaltene Repräsentation komplexer, interdependenter sensumotorischer, emotionaler, [volitiver], kognitiver und sozial-kommunikativer Schemata bzw. Stile" - so Petzolds Definition, aber er fährt fort: "die kommotibel über die Lebensspanne hin ausgebildet werden" (Petzold 1970c/1992a, 535).
    "Kommotibel" heißt, in Interaktion, in gemeinschaftlicher Bewegung mit den Menschen, den Mikroökologien des Umfeldes. Grawe hat wie gesagt einen enger gefassten Schemabegriff – der allerdings auch Komplexität reduziert (und das hat natürlich genauso seinen Preis wie die komplexen Schema-, Stil- und Narrativbegriffe ihren Preis haben) – für seine Konzeption psychologischer Therapie, als einem integrativen Ansatz, hergeleitet, untermauert und differenziert zu haben; siehe sehr ausführlich in Grawes empfehlenswertem Buch "Psychologische Therapie" von 1998 bzw. 2000 (2te Aufl.).
    Hier geht es also darum, mit dem/der Betroffenen im Dialog/Polylog seine/ihre ganz persönlichen Wiederholungszwänge (psychoanalytisch ausgedrückt), Narrative (sich perpetuierende Muster, Geschichten, integrativ-therapeutisch ausgedrückt) – und diese können eine negative, aber auch positive Qualität haben (Stile des "copings" oder "creatings"), herauszufinden und zu bearbeiten oder – wo sie positiv sind – als Ressourcen zu nutzen (Petzold 1997p).

    All dies im Rahmen einer differenzierten Interventionskonzeption, die folgende klinische Orientierungen haben kann: Curing – Beschädigung heilen, mindern; coping – Belastendes bewältigen helfen; supporting – in Schwierigkeiten unsterstützen; dann in salutogenetischer Orientierung; Enlargement – begrenzte Sicht erweitern; enrichment – Lebensqualität verbessern, das Leben bereichern; empowerment – Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmtheit, Souveränität in Polylogen, d.h. vernetzten Gesprächen, ermöglichen und fördern (Orth, Petzold 1995).

    Zunächst eine kurze Definition von Polylog:
    "Polylog wird verstanden als vielstimmige Rede, die den Dialog zwischen Menschen umgibt und in ihm zur Sprache kommt, ihn durchfiltert, vielfältigen Sinn konstituiert oder einen hintergründigen oder untergründigen oder übergreifenden Polylogos aufscheinen und "zur Sprache kommen" läßt – vielleicht ist dies ein noch ungestalteter, "roher Sinn" im Sinne Merleau-Pontys (1945 bzw. 1966) oder ein "primordialer Sinn", (Petzold 1978c), eine "implizite Ordnung" (Bohm), die auch schon die Gestaltungsmöglichkeiten und -formen enthält oder "chaotischen Sinn" – warum nicht? - "Polylog ist ein ko-kreatives Sprechen und Handeln, das sich selbst erschafft ... aber auch als "das vielstimmige innere Gespräch, die innnere Zwiesprache, die sich vervielfältigt" (Petzold 1988t).

    Gesprächsgruppen sind polylogisch. Das Erfassen von Problemen und Potentialen erreichen wir u.a. durch:
  • Direktes Fragen nach (und Sensibilisieren für) Mustern/Wiederholungen im Alltag,
  • aktives Hinweisen auf mögliche Muster, wenn PatientInnen (Beziehungs-) Situationen schildern,
  • Thematisieren von typischen Konflikt-Mustern: Nähe/Distanz, Entscheiden zwischen A und B etc.,
  • Ausnahmen suchen: wo konnte ich das bekannte Muster für einmal durchbrechen, wie mach(t)e ich das, wie ist das für mich und "wie fühlt es sich an, wenn ich mal das Untypische, Neue ausprobiere?", "Was hat mich überrascht, was war neu für mich?" (vgl. auch De Shazer 1999, De Jong, Berg 1998).


  • Schon Fritz Perls (1976) hat betont, dass schon das schlichte Benennen von (psychischen) Abläufen und Phänomenen zu deren Veränderung beiträgt, sodass häufig ohne großen Aktionismus (Agieren!) seitens des Therapeuten eine Selbstreflektion, ja ein Interesse am eigenen Erleben und Verhalten überhaupt, in Gang gesetzt wird, mit der die Klientin selbständig ihren Weg findet aus der Abhängigkeit von dysfunktional gewordenen (Bewältigungs-)Mustern heraus. Auch da ist das Erleben der eigenen Wirksamkeit (s.o.) wieder sehr zentral und der Empowerment-Ansatz (s.o.) sehr wichtig.

    2.5. Konzept des schöpferischen Menschen (Petzold, Orth 1990).
    Gerade in den Gestaltungsgruppen und in der Musiktherapie erleben viele PatientInnen ihr kreatives Potential. Hier geht es darum, vom z.B. "ich kann nicht malen" zu einem individuellen Stil zu kommen, der subjektiv "stimmig" ist. Ueberhaupt werden die Leute ermuntert, auch nach Austritt ihre "Entdeckungen" (z.B. "Bewegung tut mir gut") weiterzupflegen, sei es im therapeutischen oder besser noch "gesunden" Rahmen.

    2.6. Konzept der Lösungsorientiertheit (De Shazer 1999, Angermaier 1994) versus Problemfixiertheit (z.B. Wunderfragen, Ausnahmefragen).

    Mit Hilfe der Techniken aus der systemischen Kurzzeittherapie nach De Shazer et al. (De Jong, Berg 1998) kommen Menschen meist ganz gut in die "erlebte Gegenwart der Aktualsitution" [das Hier und Jetzt, zeittheoretisch gibt es das nicht, reine Ideologie, vgl. Petzold 1981e, das Jetzt ist – ausgesprochen – schon vergangen, "erlebte Gegenwart" ist viel besser, anschlussfähig an die Phänomenologie, Bergsons "durée", auch Perls "continuum of awareness"] und – wo vorhanden - in eine Blockierung, den "Impasse" (Perls 1976).
    Es passiert eine Umkehr der depressiogenen Sicht (Beck 1990) insofern, dass das Glas statt als halbleer als halbvoll gesehen wird. Durch die radikale Ressourcenorientiertheit wird das intrapsychische System mobilisiert, sekundärer Krankheitsgewinn bewusst gemacht und damit der Weg freigegeben für konstruktive, "stimmige" und selbstbewusste Schritte hin zu einem selbstbestimmteren, souveräneren Leben - kurz, die Selbstwirksamkeit wird oft in beeindruckendem Masse erhöht.
    Interessanterweise führt gerade diese Haltung und dieses Vorgehen oft zu Widerständen, weil es auch einen Abschied bedeutet von habitualisierten Mustern des Jammerns und Klagens. Ein selbstbestimmtes Leben erscheint oft gar nicht als so attraktiv. Nichtsdestotrotz sollte m.E. bei solchen Menschen nicht locker gelassen werden mit dem steten Nachfragen und sorgsamen Konfrontieren nach Ausnahmen (sensu De Shazer (1999): Der Dreh).
    Ein Agieren des Therapeuten indes (z.B. passivierendes Rat geben statt aktivierende Beratung, depontenzierndes Bedauern statt ermutigende Bestärkung, strafende Konfrontation statt mobilisierende etc.) wäre fatal, weil dann der negative Denkzirkel und die Passivität wieder Nahrung bekämen.
    Eine gewisse Diffusion und Verwirrung, ein Moment des Nicht-Weiterwissens (vgl. Perls' Impasse (1976)) ist sehr fruchtbar und für die meisten Menschen gut aushaltbar (Vorsicht ist allerdings geboten u.a. bei Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung, einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Psychose; diese können u.U. in der Diffusion hängenbleiben und brauchen ein strukturierteres Vorgehen, vgl. Hutterer-Krisch 1996, Roder et al. 1988).

    2.8. Konzept der Identitätsaspekte (siehe Petzold 1993).

    2.9. Konzepte der "Vier Wege der Heilung und Förderung" (siehe Petzold 1996; 2001a) und der "Vier Wirkfaktoren" (siehe Grawe 1998).

    2.11. Konzept des "Felt Sense" (Gendlin) und des "Störungen haben Vorrang" (Ruth Cohn).

    Auch wenn Gruppen relativ stark strukturiert sind, sollten die Gruppenleiter immer wieder dazu bereit sein, eine Planung fallen zu lassen, wenn eine akute Störung bei einem oder mehreren Gruppenmitgliedern vorliegt. Zuweilen kann es aber auch angezeigt sein, daß Teilnehmer es lernen, Spannungen auszuhalten, "Frustrations- und Ambiguitätstoleranz" zu entwickeln.
    Die von Perls entlehnte Focusing-Methode von Gendlin (z.B. Gendlin 1998) versucht diesen "Un-Stimmigkeiten" auch körperlich nachzugehen, um sie "stimmig" [ein m.E. zu unrecht belächelter Begriff] und benennbar werden zu lassen.

    2.12. Konzepte der Krise überhaupt.

    Es wird z.B. das 6-Phasen-Modell (Jacobson oder Ciompi 1997, siehe Schnyder/Sauvant 1994) mit den PatientInnen besprochen (Theorie als Intervention, s.u.).

    Es gäbe noch einige Konzepte mehr zu beschreiben, die in ihrer Relevanz mir nicht mehr ganz so wichtig wie die obengenannten erscheinen und die ich deshalb an dieser Stelle weglasse.

    zum Inhaltsverzeichnis




    V. Kommentierte Fallbeispiele: Der Flieger und andere Narzissmus-Behandlungen

    Die psychotherapeutische Behandlung der Reichen und der Mächtigen - Hans-Jürgen Wirth (2006)

    In einer Studie über »Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und der Mächtigen« hat Johannes Cremerius (1979) [s.u.] eine Antwort auf die Frage gesucht, b>warum »Patienten in hohen politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen sich nur ganz ausnahmsweise einer psychoanalytischen Behandlung unterziehen« (ebd S.12f). Er kommt zu dem Ergebnis, dass es den Reichen und Mächtigen aufgrund ihrer privilegierten Lage und ihres gesellschaftlichen Einflusses möglich ist, »ihre Neurosen derart in gesellschaftlich akzeptierten Formen« unterzubringen, dass sie nicht als krankhafte Störungen bemerkt werden, sodass sie nicht an ihnen leiden müssen.
    Der Mächtige lebt seine neurotischen Bedürfnisse ungehindert in der Realität aus - anstatt Leidensdruck zu entwickeln, agiert er.

    Als Paradebeispiel für diese Patientengruppe gilt die von Herrmann Argelander (1972) publizierte Fallstudie »Der Flieger« [vgl.Kap.10:Fallbeispiele].
    Der Patient stammt aus wohlhabenden Kreisen und ist auch beruflich sehr erfolgreich. Er sucht psychotherapeutische Hilfe, weil er unter Kontaktstörungen leidet. In der psychoanalytischen Behandlung, die Argelander durchführt, zeigt sich die Narzisstische Persönlichkeitsstörung des Patienten, aufgrund derer er versucht, sich von menschlichen Beziehungen unabhängig zu machen. »Anstatt Liebe verschafft er sich Bewunderung und Erfolg bei anderen Menschen«, schreibt Cremerius (1979 S.26) mit Bezug auf den »Flieger«. Symbolisch für dessen narzisstische Form der Lebensbewältigung ist das Fliegen, das er als passionierter Sportflieger extensiv betreibt.

    Ueber den Wolken, fern vom direkten Kontakt mit anderen Menschen und als Alleinherrscher über seine Maschine muss das Gefühl der Freiheit für diesen Patienten wohl grenzenlos sein [Reinhard Mey lässt grüssen]. Er phantasiert sich unabhängig und allen anderen überlegen. Trotz anfänglicher Fortschritte scheitert die Analyse dieses Mannes schließlich, da - wie Argelander schreibt - der Patient eine kontraphobische Reaktionsbildung entwickelt, die es ihm erlaubt, mit seinen Mitmenschen direkter und angstärmer umzugehen, allerdings um den Preis, dass diese nun vor ihm Angst haben, weil er sie einschüchtert. Cremerius (1979 S.29) kommentiert den Ausgang dieser Behandlung mit folgenden Worten:
    »Der >Flieger< jedoch hat aufgrund der sozioökonomischen Sonderstellung die Möglichkeit, seine Neurose funktional so unterzubringen, dass sie ihm Gewinn bringt, ja, dass sie eine der wichtigen Voraussetzungen des Gewinns überhaupt wird - und zwar nicht im Sinne des sekundären Krankheitsgewinnes, der ja in der Regel nur noch ein Surrogat ist, sondern eines echten primären Gewinnes.
    Ihm kann die Analyse keine unmittelbaren Vorteile versprechen - für ihn ist sie zunächst einmal mit Verlusten verbunden, und zwar mit realen Verlusten an Geld, Besitz, Macht. Was sie ihm für die Zukunft in Aussicht stellt, nämlich ein Mehr an menschlichen Kontakten, Liebesfähigkeit und Vertrauen, kann deshalb nicht als verlockend erlebt werden

    Kernberg (1984 S.97) berichtet von einem ähnlich gelagerten Fall:

    Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und Mächtigen - Johannes Cremerius (1979)

    In: Cremerius J, Hoffmann, SO, Trimborn, W (1979). Psychoanalyse, Ueber-Ich und soziale Schicht. Die psychoanalytische Behandlung der Reichen, der Mächtigen und der sozial Schwachen. Kindler, Geist und Psyche, S. 11-55
    Ebenso in: Cremerius J (1990). Vom Handwerk des Psychoanalytikers. Das Werkzeug der psychoanalytischen Technik, Bd 2. frommann-holzboog, Stuttgart


    Es folgt nun also der klassische, für unsere Themen sehr wichtige und vorzüglich als praxisorientierte Zusammenfassung dienende, Text in längeren von mir [M.F.] kommentierten Auszügen:

    Solange die psychoanalytische Theorie biographisches Elend als Immergleiches - unabhängig von der sozioökonomischen Situation und der Stellung des Patienten in der Gesellschaft - Biographie zur ungeschichtlichen Menschenkunde verkürzt (Schülein 1975) - ansah, war sie unfähig, den Einfluss dieser Faktoren auf die psychoanalytische Therapie zu erkennen.
    Das eingeengte Theorieverständnis grenzte die Therapie - ohne dass sich die Psychoanalyse dessen bewusst wurde - auf eine bestimmte Schicht ein, die identisch mit der Schicht war, aus der die Patienten stammten, an der sie entdeckt wurde, und zugleich mit der, aus welcher die Entdecker stammten. Einzig für den Angehörigen der Unterschicht bemerkte Freud die Bedeutung des sozioökonomischen Faktors - das schwere Leben, das auf ihn wartet und ihn nicht lockt, und das Kranksein, das ihm einen Anspruch mehr auf soziale Hilfe bedeutet (1913c, 1919a [1918]),

    [Die Neurose leistet dem Armen gute Dienste im Kampf um die Selbstbehauptung, sagt Freud. „Das Erbarmen, das die Menschen seiner materiellen Not versagt haben, beansprucht er jetzt unter dem Titel seiner Neurose und kann sich von der Forderung, seine Armut durch Arbeit zu bekämpfen, selbst freisprechen“ (1913c, 466).] - und folgerte daraus die Notwendigkeit veränderter Therapieformen (Massenanwendung der Psychoanalyse. Legierung des „reinen Goldes der Psychoanalyse“ mit dem „Kupfer der direkten Suggestion“ [1919a, 193]).
    Bei den Patienten, die der Oberschicht angehörten, den Reichen und den Mächtigen, die auch damals schon selten und dann nur kurzfristig in den Sprechzimmern der Psychoanalytiker auftauchten, hat Freud die Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch, eine psychoanalytische Behandlung durchzuführen, einstellten, nicht im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Position gesehen. Er sah sie durch negative moralische Qualitäten verursacht: So schreibt er an Weiss über einen jungen Mann aus reicher Familie: „— ein offenbarer Lump, der Ihre Mühe nicht wert ist“ (1973 S.48) und an Lou Andreas-Salome über eine reiche Dame: diese Patientin ist „eine ganz ähnlich konstruierte Bestie wie unsere M — im Charakter recht verdorben - ich weiss nicht, ob diese Person es wert ist“ (1966a [1912-36], 161-163).

    Die öffentliche Meinung wie die medizinische Wissenschaft haben dieselbe Mühe wie die Psychoanalyse, die soziopathologischen Faktoren bei den psychischen Krankheiten zu erkennen. So klassifizieren sie Menschen, die ihre psychischen Probleme in der Weise lösen, dass sie die Umwelt verändern anstatt sich selber - agieren statt reflektierender Umorganisation - als Psychopathen. Diese Diagnose heften sie aber nur denen an, die sozial scheitern und - häufig über sozio-juristische Institutionen - in den psychiatrischen Kliniken erscheinen. Denen, die dasselbe tun, aber damit sozial Erfolg haben, schaut man nicht auf die Finger - im Gegenteil, man bewundert sie, macht sie sogar zu seinen Führern und Helden (Napoleon, Hitler, Stalin).
    Gescheitert stellt man sie vor die Tribunale. Sie werden als Verbrecher behandelt, als Brecher von Gesetzen - nicht als medizinische Abnormitäten, nicht als Kranke wie die ersteren. (Es ist die Verletzung derselben Gesetze, die sie jetzt vernichtet, die Verletzung, für die sie einmal bewundert und idealisiert worden waren.)

    Bert Brecht klagt die Psychoanalytiker an, sich in den Dienst der Reichen nehmen zu lassen, anstatt ihnen, die wegen Schuldgefühlen in die psychoanalytischen Praxen kommen, zu sagen, dass ihre Schuldgefühle die normale Konsequenz aus ihrer verbrecherischen Unterdrückung und Ausbeutung anderer sei. Sie führten sie statt dessen auf Nebenwege, vor allem auf den, über sexuelle Probleme zu sprechen, um am Ende dann festzustellen, dass es gar keine seien. Sie würden sie trösten und erleichtern und damit teilhaben am kapitalistischen System (1967a). Hier irrt Brecht! Irrt hier ebenso wie mit der anderen Aussage über Neurosentherapie, dass nämlich die Neurosen der Armen verschwinden würden, wenn sie Arbeit bekämen (1967b).

    Die Wahrheit ist, dass Patienten in hohen politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen sich nur ganz ausnahmsweise einer psychoanalytischen Behandlung unterziehen. Sie erscheinen zwar in den Praxen der Psychoanalytiker - dies sogar zahlreich, weil sie es gewohnt sind, sich überall das zu kaufen, was als das Neueste, Modernste und Beste propagiert wird -, aber sie suchen etwas ganz anderes als die eigentliche Psychoanalyse. Was sie suchen, werde ich an gegebener Stelle ausführen.
    Wenn Srole (1962) feststellt, dass Angehörige der höchsten Sozialschicht in den USA weit weniger psychische Beeinträchtigungen angeben als Angehörige der untersten sozialen Schicht - in der höchsten Schicht geben 12 % eine schwere, 20 % eine mittlere, 37 % eine geringe Symptombildung im Bereich des Psychischen an, und 30 % sagen aus, keine psychischen Symptome zu haben (die entsprechenden Zahlen in der Vergleichsgruppe von Patienten in der untersten sozialen Schicht sind: 47, 23, 25, 5 %) -, so ist das aufgrund meiner Erfahrungen nicht so zu verstehen, dass sie psychisch „gesünder“ sind als die anderen, sondern so, dass sie ihre Neurosen derart in gesellschaftlich akzeptierten Formen unterbringen können, dass sie sie nicht als krankhafte Störung bemerken, nicht an ihr leiden. Wie ich zeigen werde, geschieht das in verschiedener Weise.

    1.) Eine Gruppe dieser Patienten nützt die gesetzlich erfassten Freiräume so geschickt aus, dass sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Sie befinden sich ausserhalb des Zwanges, Triebbedürfnisse ich- und umweltgerecht organisieren zu müssen, weil sie die Verhältnisse verändern, anstatt sich selber. Sie agieren und werden dadurch selten in einer Weise krank, die sie behandlungsbedürftig macht (vgl.das Fallbeispiel auf S.224ff [s.u. und das von mir (M.F.) so genannte "Michael-Jackson-Phänomen"]).

    2.) Die Patienten einer zweiten Gruppe können ihre private Psychopathologie soziofunktional in den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen so gut unterbringen, dass sie psychisch nicht erkranken müssen (S.234ff.).
    Die soziofunktionale Unterbringung der Neurose ist grundsätzlich in jeder sozialen Schicht möglich. In der Oberschicht ist das Quantum an erwerbbaren Freiheitsgraden jedoch unverhältnismässig grösser als in anderen Schichten. Und dies vor allem, weil die soziofunktionale Unterbringung der Neurose mit der Staatsideologie zusammenfällt. Die soziale Funktion der Oberschicht ist aufgrund ihrer staatstragenden Bedeutung (Besitz der Grossbanken, der Grossindustrie, bestimmter Monopole) der üblichen gesetzlichen wie der moralischen Kontrolle, auch der durch die öffentliche Meinung, weitgehend entzogen. Im Falle der öffentlichen Kontrolle würde - wie dies bei Skandalen gelegentlich vorkommt - die Abhängigkeit des Staates von dieser Schicht offenkundig werden.

    3.) Den Patienten einer dritten Gruppe gelingt eine weitgehende Rollenidentifikation, die sie vor neurotischen Konflikten schützt (S.239ff).
    Sowohl in meiner eigenen Praxis wie in der von Kollegen, die ihre Fälle mit mir besprochen oder die mir auf Befragen Auskunft gegeben haben, sind zureichende Analysen mit Patienten dieser drei Gruppen eine Seltenheit. Das gilt auch für Städte, in denen es alten wie neuen Reichtum in grosser Zahl gibt, wie z.B. für Zürich (Parin 1977 S.508), es gilt sogar für die sog. amerikanische Goldküste. So schreibt Wahl, der seine psychoanalytische Praxis in Los Angeles auf dem berühmten Sunset Boulevard hat, dass die Reichen und Mächtigen selten zur psychoanalytischen Behandlung erscheinen (Wahl 1974 S.72).

    Informationen über die problematische Beziehung zwischen diesem Personenkreis und der Psychoanalyse gelangen nur selten in die Oeffentlichkeit.
    Der „Flieger“ von Argelander (1972) ist eine der wenigen Ausnahmen.
    Das hängt damit zusammen, dass es hier bei einer Falldarstellung sehr viel schwerer ist, das Inkognito des Patienten zu wahren als bei Angehörigen einer weniger prominenten Klasse. Ja, oft dürfte es unmöglich sein, bei den erforderlichen Weglassungen und Entstellungen (Herkunftsfamilie, Art des Berufes, besonders typische Wesenszüge, Charaktermerkmale, Lebensumstände etc.) noch einen überzeugenden, die Dynamik verständlich machenden Fallbericht zu erstellen.
    Freud konnte die Krankengeschichte der Anna O. 1895 noch publizieren - 30 Jahre später, als sie eine weltweit bekannte Pionierin der jüdischen Frauenbewegung geworden war, wäre dies kaum mehr möglich gewesen, ohne ihre Identität (Berta Pappenheim) aufzudecken (Jensen S.1961).
    Bei Durchsicht meiner Praxisaufzeichnungen über diesen Personenkreis (eigene Beobachtungen wie solche aus Fallbesprechungen mit Kollegen) fielen mir drei Gruppen auf:
    I.) die eine besteht aus Patienten, die, anstatt neurotisch zu erkranken, agieren. Sie wollen keine psychoanalytische Behandlung im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie suchen Trost und Hilfe, nachdem sie sich die Finger verbrannt haben. Sie stellen sich vor, dass der Analytiker genau wie sie ausserhalb der Regeln und des Möglichen stehe und alles vermöge, was er nur wolle.
    II.) die zweite Gruppe besteht aus Patienten, welchen es gelang, ihre Psychopathologie soziofunktional in der Gesellschaft unterzubringen, d.h. aus Patienten, für die die Psychopathologie die Voraussetzung des Erfolges ist;
    III.) die dritte Gruppe setzt sich aus Patienten zusammen, denen eine weitgehende Rollenidentifikation gelungen ist.

    Das Ziel soll sein, anhand der klinischen Erfahrung zu untersuchen, warum zwischen diesen Patienten und dem Analytiker keine Uebereinkunft hinsichtlich des Therapiezieles erreicht werden kann - bei gleichzeitiger problemloser Uebereinstimmung beider darüber, dass eine neurotische Störung vorliegt, die nur psychotherapeutisch angehbar ist.
    Schliesslich will ich die Frage auch von der Gegenübertragung her untersuchen, d.h. von den Schwierigkeiten her, die sich dem Analytiker bei der Herstellung jenes Stückes Uebertragung in den Weg stellen, ohne das keine Therapie Aussichten auf Erfolg haben kann.

    I. Die Agierenden, Trostsuchenden - "Jammern auf hohem Niveau"

    "Die erste Gruppe nenne ich die der Trost-Suchenden. Das sind die Patienten, von denen Brecht sagt, dass sie gar keine ernsthafte Absicht haben, ihre Lage zu erkennen und sich zu ändern. Sie kommen, um von unangenehmen Störungen und Symptomen befreit zu werden, möchten sich aber nicht selber in Frage stellen. Der Analytiker soll eine Therapie nach dem Motto machen: "Wasch mich, aber mach’ mich nicht nass".
    Oft geht es auch darum, die Wunden zu pflegen, die durch die Lebensweise und im Gefolge derselben entstanden sind.
    Hier überwiegen die Aufgestiegenen, jene Menschen, die z.B. nach 1945 mit nichts begannen und durch Ausnützung aller Möglichkeiten zu Macht und Reichtum gelangten. (Aber es gibt auch Erben alter Macht und alten Reichtums in dieser Gruppe.) Ich wähle nachfolgenden Fall als typischen Repräsentanten der Gruppe aus: Ich sehe davon ab, den Fall diagnostisch zu klassifizieren, weil die psychoanalytische Nosologie, die für eine gewisse gesellschaftliche Schicht konzipiert worden ist, auf diesen Patienten nur sehr schwer angewandt werden kann. Er gehört einer Gruppe an, die ausserhalb der geschichtlich gewordenen Gruppierungen steht. Während diese, etwa die bürgerliche Mittelschicht, durch internalisierte moralische und sittliche Standards wie durch tradierte, für das Kollektiv verbindliche Spielregeln gekennzeichnet sind, gibt er als einer, der einer Zwischengruppe angehört, sich selber die Gesetze und Regeln. Deshalb unterliegt er auch nicht den Folgezuständen dieser Gruppenmoral im Falle des Konfliktes, nämlich der neurotischen Erkrankung. Anstatt dessen handelt er innere Spannungen in seiner Umwelt aus, macht sie leiden, manipuliert die bestehende Ordnung, formt die bestehenden Regeln und Gesetze nach seinem Belieben um. So sind nur beschreibende Aussagen möglich.
    Etwa die, dass er keine konstanten Objektbeziehungen hat, dass seine Objektbeziehungen rein benutzend, ausnutzender Natur sind und jeder Gegenseitigkeit und Wechselbeziehung entbehren, dass er keine strukturierte innere Grundordnung besitzt, dass er aufgrund dessen auch äussere Gesetze nicht anerkennt, sondern sie in den Dienst der Triebbefriedigung stellt. Für diesen Fall trifft also zu, was Freud an Pfister schreibt, dass es nämlich im Gegensatz zur gewöhnlichen Anordnung vorkommt, dass nicht das triebhafte „Böse“, Unzweckmässige verdrängt ist, sondern vielmehr das Gewissen, die bessere Einsicht, das „Edlere“ (1963a S.136).

    Theoretische Ueberlegungen: Man könnte sagen, dass es sich hier um eine psychische Entwicklung handelt, die durch Störungen der Objektbeziehung gekennzeichnet ist. An einem gewissen Punkt führen sie zu kritischen Zuspitzungen mit kurzdauernden Zusammenbrüchen des Ichs. Eine neue Objektbeziehung repariert den Schaden sofort wieder.
    ad 3: Ogden Nash (1976) kleidet diesen Gedanken in den skurrilen Vierzeiler, überschrieben: "Rejections on the Faillibility of Nemesis: He who is ridden by a conscience, Worries about a lot of nonscience; He without benefit of scrupels; His fun and income soon quadrupels" - "Dem Erinnern lässt sich nicht entrinnen: Ein Mensch, der hört auf sein Gewissen, fühlt sich umstellt von Hindernissen; doch dem, der frei von solchen Skrupeln, wird Spass und Geld sich bald verdoppeln".
    Der Reiche und seine Kompensationsmöglichkeiten
    Formelhaft ausgedrückt handelt es sich um einen Menschen, der - anstatt zu „erkranken oder zu sublimieren“, so Freuds Alternative für den bürgerlichen Mittelklassepatienten seiner Praxis - „seine Konflikte auslebt, ausagiert, der zu den wenigen Reichen und Mächtigen [gehört], welche jederzeit ohne Aufschub ihre Wünsche befriedigen können“ (Freud 1905c S.121). Dieser Patiententyp ist uns wohlvertraut. Er ist grundsätzlich an keine sozioökonomische Bedingung geknüpft. Warum wird er dann hier in einer Untersuchung, die nach schichtspezifischen Momenten fragt, aufgeführt? Gehen wir von der psychoanalytischen Annahme aus, dass das, was wir von dem Patienten mitgeteilt haben, seine private, lebensgeschichtlich bedingte Neurose sei, so müssen wir doch feststellen, dass eine Reihe überindividueller Faktoren vorliegen, die verantwortlich dafür sind, dass sie sich für das Erleben dieses Menschen nicht als Krankheit bemerkbar machte, dass er sich nie als „Patient“ fühlen musste. Seine Arbeitsfähigkeit, seine sexuelle Potenz und seine Genussfähigkeit - eine (sehr fragwürdige) Gruppe von psychoanalytischen Gesundheitsrisiken - sind ungestört. Demzufolge ist er auch nicht gezwungen, die private Neurose therapeutisch anzugehen.

    Diese Faktoren sind:
    - der Leidensdruck ist gering. Der Patient lebt in einer Welt, die ihm die Befriedigung seiner Triebwünsche ungestört gestattet. Er lebt in einem Freiraum der Gesellschaft, in den die üblichen Regulative und Kontrollinstanzen nicht hinreichen;
    - aufkommende Störungen der psychischen Homöostase fängt das Kollektiv, dem er angehört, auf. Es besteht Corpsgeist;
    - die Befriedigung nicht erlaubter oder verbotener Impulse erzeugt keine Angst, weil keine realen äusseren Strafinstanzen existieren - wenigstend so lange nicht, wie er sich auf dem Grad jener Illegalität bewegt, den die Gesetzgebung nicht erfasst (white-collar-Kriminalität). Der Angstpegel hängt also nur noch von den internalisierten Instanzen ab; Solche Freiräume gibt es in allen Staatsformen, in allen gesellschaftlichen Konstruktionen.
    Sie lassen sich nicht mit der einfachen Formel erklären, dass die Mächtigen alles können, ihnen alles erlaubt sei. So gehört zu ihren erstaunlichen Merkmalen, dass die Gesellschaft, in deren Territorium sie liegen, sie in der Regel nicht wahrnimmt und demzufolge nicht problematisiert.

    Warum die Gesellschaft solcherart reiche Unabhängige fast vollständig ignoriert:
    - diese wiederum unterscheiden sich wesentlich von denen der übrigen Gesellschaft und sind Abkömmlinge einer speziellen Gruppenmoral;
    - die internalisierten Instanzen erfahren von aussen wenig Kritik - im Gegenteil. Die Angehörigen dieser Schicht lernen vielmehr, dass ihre moralischen Standards von den anderen akzeptiert werden. Ja, mehr noch, sie erfahren sogar, dass ihre Erfolge ihnen narzisstischen Zuwachs von aussen verschaffen;
    - dass die sichtbaren Zeichen des Erfolges - Geld, Besitz, Macht - begehrte Ziele aller sind, dass man sie dafür bewundert, dass man sein möchte wie sie;
    - die internalisierten Instanzen sind - wie Zeiten des Krieges, der Revolution und des Chaos zeigen - lernfähig. Ohne diese Lernfähigkeit gäbe es ja auch keine Veränderung durch Therapie. Sie lernen, wie im Falle unseres Patienten - sozusagen auf dem Wege des wiederholten Versuches -, dass nichts passiert, wenn man die mitgebrachten Vorstellungen von Moral, Anstand und Sitte übertritt, dass es auch mit weniger Moral geht. Ja, es tritt sehr schnell eine paradoxe Situation ein: die Korruption des Ueber-Ichs bringt dem Es unmittelbares Triebglück (Zuwachs an Macht, Grösse, Geld etc.) ein, und das, was normalerweise dem Ich schadet, verhilft ihm hier zu sozialer Anerkennung und schliesslich zu narzisstischem Zuwachs. Die Symbole der Macht - Besitz, Frauen, Autos etc. - werden noch von denen bewundert, die eigentlich als die Ausgenützten anklagen sollten. Das ist in Moskau und New York dasselbe - nur anders [tja, heute, in Zeiten von Donald Trump gleichen sich die beiden Städte in diesem Punkt leider an...].

    Man könnte einwenden, dass es diesen Typ, der an seiner Neurose nicht leidet, weil er andere leiden macht, in allen Schichten gibt. Das soll nicht bestritten werden. Es ist ja sozusagen eine kategoriale Qualität des Ichs, neurotische Konflikte so in der Realität unterbringen zu können, dass sie nicht mehr als solche erkannt werden, dass sie voll und ganz situationsangepasst erscheinen. (...)
    Fusszeile: So können sie z.B., ohne dies als schuldhaft zu erleben, Luft, Erde, Gewässer verschmutzen und vergiften, wenn es Produktionskosten senkt und den Profit steigert. So gibt es in der Armee des sozialistischen Russland eine besondere Verpflegungsklasse für Offiziere, ohne dass die Privilegierten es als Verstoss gegen den Geist des Sozialismus empfinden (Cremerius 1979 S.229).
    (...) So erklärt z.B. der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Halstenberg, in der „Affäre Poullain“, dass er „als kleiner Finanzminister“ es nicht wagte, dem „vermögenden, weltweit bekannten“ Chef der drittgrössten deutschen Bank, Poullain, in einer so peinlichen Frage (Steuerhinterziehung und passive Bestechung) offen entgegenzutreten (Die Zeit 1978). "Die Zeit" weist darauf hin, dass er dies auch deshalb nicht tat, weil er selber in fragwürdige Geschäfte verstrickt und bei der Wahl seiner privaten Geschäftspartner nicht zimperlich war. In dem Zeit-Artikel heisst es ferner, dass die zur Aufsicht bestellten Politiker in der Regel sowohl von der Qualifikation wie von der zeitlichen Beanspruchung her der Aufgabe nicht gewachsen seien. - Wie gross in dieser Schicht der von mir angeführte „Freiraum ist“ ist, innerhalb dessen andere Gesetze als in der Mittelschicht gelten, zeigt der Zeit-Artikel in eindrucksvoller Weise.

    Der Verfasser spricht in meinen Sinne konsequenterweise vom „fehlenden Unrechts-Bewusstsein“ der Akteure.
    Auf der kontrollierten Ebene eines bürgerlichen Berufes, etwa der des Lehres, würde ein gleichartiges Agieren, auf Kosten von Schülern etwa, zu schwerwiegenden Konsequenzen führen. Hier kann es nur im Geheimen und mit dem Gefühl von Unrecht und Schuld stattfinden. Die Umwelt kennt den Raum, in dem Lehrer und Schüler miteinander umgehen und kann ihn infolgedessen auch mehr oder weniger gut durchdenken (Cremerius 1979 S.231).
    So wie das Agieren des geschilderten und ähnlicher Patienten nur deshalb so erfolgreich sein kann, weil es in einem gesellschaftlich gegebenen Freiraum stattfindet, so ist es auch mit dem Agieren um sie herum. Wir sehen ihre Frauen erkranken, ihre Kinder in Verhaltensstörungen hineinrutschen - so wie es uns auch aus anderen Schichten als Ausgang neurotischer Familienkonstellationen wohlvertraut ist. Aber wieder liegt der Unterschied darin, dass das Agieren der einen - auch im Sozialstaat - mehr Nachteile als Vorteile bringt und in der Regel auf die Dauer im sozialen wie gesellschaftlichen Elend endet, das der anderen aber an ihren sozioökonomischen Verhältnissen nichts ändert. Die einen fallen an einem gewissen Punkt der öffentlichen Wohlfahrt anheim, die anderen werden von bereitstehenden Institutionen aufgefangen, die ausgesprochen kompensatorischen Charakter haben. Ich denke an Privatkliniken, luxuriöse Sanatorien [vgl.z.B.Thomas Mann: Zauberberg], exklusive Privatschulen etc., die so konstruiert sind, dass in ihnen optimal agiert werden kann. Damit meine ich, dass sie folgende Bedingungen erfüllen: Die Neurose wird als solche nicht benannt. Der Patient läuft unter Diagnosen, die auf eine körperliche Krankheit verweisen [eine auch von mir häufig zu beobachtender Patientenwunsch: "larvierte Depressionen" u.a. nach aussen somatisch oder sozial als Opfer aussehende Diagnosen: Burnout, Midlife Crisis etc.].
    Hinter dieser Fassade wird eine nicht als solche deklarierte „Psychotherapie“ betrieben. Aerzte und Personal, die unausgesprochen von dem seelischen Elend ihrer Patienten wissen, stellen sich ganz auf deren Bedürfnisse ein. Sie kommen ihrem Verlangen nach Aussprachen entgegen, lassen sie klagen, anklagen und beschuldigen, ohne die entscheidende Frage zu stellen, was sie selber zur Entstehung ihres Unglücks beigetragen haben. Die luxuriöse und verwöhnende Atmosphäre dieser Häuser stellt die andere Seite dieser „Psychotherapie“ dar: sie befriedigt vielerlei Bedürfnisse, vor allem solche anlehnender Natur. Die Kranken können sich der Phantasie hingeben, dass zwischen ihnen und dem Therapeuten eine Uebereinkunft darüber besteht, dass sie die unschuldigen Opfer „rücksichtsloser Egoisten“ sind und dass sie mit ihnen in deren Verurteilung übereinstimmen. Der Gedanke, dass der Ehemann das alles bezahlen muss, dass die „Krankheit“ ihm Schuldgefühle macht, befriedigt darüber hinaus Straf- und Rachephantasien.

    Eine psychoanalytische Therapie, die sich vornähme, diese Patt-Situation aufzulösen, den Kranken einem selbstständigen, aktiven, erfüllten Leben zuzuführen, ihm zu helfen, eine Zukunft zu denken, in der er sich selber verwirklichen könnte, stiesse hier nicht nur auf die private neurotische Abwehr. Sie stiesse auf die Verteidigung eines Krankheitsgewinnes, der im realen Sinne enorm ist: Rache an dem vorgestellten Schuldigen, optimale Wiedergutmachung und nur geringe Einschränkungen des bisherigen Lebensstandards. Der Unterschied zum Rentenneurotiker etwa, der ebenfalls zugunsten des Krankheitsgewinnes auf ein eigenes, aktives Leben verzichtet, ist offenkundig. Er folgt einem Phantasma, einer regressiven Sehnsucht, die keine Befriedigung erfahren wird. Reale Gewinne fliessen hier nur spärlich. Diejenigen, die sich auf diese Weise wegen erlittenen Unrechts und wegen erlebter Enttäuschungen an der Gesellschaft rächen wollen, müssen erfahren, dass sie selber die Opfer sind. Ihr Racheglück ist schlussendlich nur ein masochistisches.

    [6: Ein Teil der Sicherheit dieser Menschen stammt aus der Tatsache, dass sie von den Sehnsüchten der anderen getragen werden, dass sie eine kompensatorische Funktion in der Gesellschaft haben. Plato [?] hat diesen Sozialnexus verstanden, wenn er formuliert:
    "Die Guten sind diejenigen, welche sich begnügen, von dem zu träumen, was die anderen, die Bösen wirklich tun".
    ]

    Fallbeispiel:
    Ein Beispiel dafür, dass es sich hier um einen realen Krankheitsgewinn handelt, verdeutlicht der nachfolgende Fall: Rückblickend muss ich feststellen, dass der Patient mich zu vielerlei Zwecken benutzt hat: als Beichtvater zur Entlastung, als Müllkippe zur Beruhigung des Ueber-Ichs und vor allem als den Ort, wo er über seine schlimme Familie, die böse Welt, sein Unglück klagend-anklagend jammern konnte. Die Gespräche waren ihm nützlich, weil sie ihn beruhigten, seine Beschwerden milderten. Sie erschienen ihm besser als die Hilfe der Aerzte, weil die Therapie ohne Medikamente funktionierte, von denen er fürchtete, sie würden seiner Gesundheit schaden. Auch bereiteten sie ihm intellektuellen Genuss. - Sicher war das, was der Patient suchte und alle ihm gaben, die Besserung, der Feind der Heilung. - Ein wesentlicherer Grund, vielleicht der ausschlaggebende, warum er die Analyse nicht begann, war der, dass er verstanden hatte, dass er, um gesund werden zu können, aus dem Elternhaus ausziehen und ein selbstverantwortliches Leben beginnen müsste. Das hätte Einbussen an Geld und Prestige bedeutet. Er wollte die Gegensätze verbinden: zu Hause alles geniessen wie ein Kind und gleichzeitig frei und erwachsen sein [hierzu kommt mir spontan der Carl Hirschmann in den Sinn: "Sohn" als Beruf gewissermassen...].

    Von diesen soziopolitischen Aspekten des Ausagierens privater Neurosen der Oberschicht erfährt der Analytiker ausserhalb seines Sprechzimmers mehr als innerhalb desselben, wenn er als politisch interessierter Zeitgenosse versucht, die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht mehr naiv, sondern ebenso kritisch analytisch zu studieren wie die Innenwelt seiner Patienten" (Cremerius 1979 S.234).



    II. Die superreichen Therapieabbrecher: Argelanders [Ueber-]"Flieger" (1972) und andere Fälle

    Ich wende micht jetzt der zweiten Gruppe von Patienten zu, also der Gruppe, in der psychoanalytische Therapien zustandekommen, die aber früher oder später vorzeitig abgebrochen werden. Der Grund dafür ist der, dass sie von einem bestimmten Punkt der Kur an fürchten, sie könnte ihre soziale Stellung und/oder wirtschaftliche Situation gefährden.

    Das Paradebeispiel für diese Patientengruppe ist der von Argelander publizierte „Flieger“ (1972). Der Patient stammt aus wohlhabenden Kreisen, ist aber auch persönlich erfolgreich. So hat er sich unabhängig von seiner Familie eine selbständige, hochbezahlte Stellung erarbeitet.
    Er kommt in Analyse, um Kontaktstörungen, auf die ihn andere aufmerksam gemacht haben und deren schädigende Wirkung für seine Tätigkeit er einsieht, zu beheben.
    Die Analyse dieses Mannes zeigt eine narzisstische Charakterstruktur, mit deren Hilfe es ihm gelungen ist, von menschlichen Beziehungen unabhängig zu sein. Anstatt Liebe verschafft er sich Bewunderung und Erfolg bei anderen Menschen. Mit dieser Ich-Ueber-Ich-Konstruktion ist er in der Lage, Menschen zu manipulieren. Sie ist eine der entscheidenden Bedingungen seines Erfolges.
    Diese perfekte Charakterformation ist der Endpunkt einer langen und schweren neurotischen Entwicklung mit psychoneurotischen und psychosomatischen Erkrankungen. In der Vorpubertät erkrankte der Patient z.B. so schwer an einer Anorexia nervosa, dass er nicht mehr selber gehen konnte und getragen werden musste. Aus ihr befreite er sich durch den Entschluss, fliegen zu lernen. Er wurde ein passionierter Sportflieger. Von diesem Moment an verloren sich die neurotischen Manifestationen. Damit parallel lief die zunehmende Transformation seiner Charakterverarbeitung in das soziale Feld.
    Die Therapie arbeitete die einzelnen neurotischen Mechanismen des Patienten erfolgreich auf. Bei der Durcharbeitung der Angst jedoch leistete er ein entscheidendes Abwehrmanöver, mit dessen Hilfe es ihm gelang, sie soweit zu mildern, dass kein ausreichender Leidensdruck für die Therapie mehr vorhanden war. Er schaffte es, die Analyse so in sein System einzubauen, dass er mit ihrer Hilfe die Umwelt in der Weise verändern konnte, dass er jetzt keine Angst mehr zu haben brauchte. Der Erfolg ist also praktisch der, dass er von nun an sozioökonomisch noch erfolgreicher wurde, d. h., dass der sekundäre Krankheitsgewinn noch zugenommen hatte.
    Ich selber sah einen Patienten, der auch in dieses Schema passt. Setzt der „Flieger“ seine narzisstische Thematik „soziofunktional“ ein, so ist es bei diesem Patienten eine anal-sadistische Trieb-Abwehrstruktur, die seinen wirtschaftlichen Erfolg erklärt. Bei ihm kam es aber gar nicht zur Behandlung, weil in dem Jahr, das zwischen Erstbesprechung und verabredetem Analysebeginn lag, alle Beschwerden verschwanden. So wurde ich Zeuge, wie die private Neurose, an der der Patient litt - seit zehn Jahren stand er wegen Zwangsmechanismen und Kontrollzwängen in ergebnisloser psychatrischer Behandlung -, sozusagen schlagartig in dem Moment verschwand, in dem nach jahrelangem Warten sein Vater ihm endlich den Direktorensessel der im Familienbesitz befindlichen Fabrik überliess. Und ich erlebte auch - der Patient suchte mich später noch einige Male wegen der depressiven Zustände seiner Frau auf -, wie diese „wunderbare Heilung“ vonstatten ging: der Patient verlagerte ganz einfach die anale Abwehr libidinöser Impulse, die er bisher praktiziert hatte, in die Fabrik.
    [Solche „wunderbaren“ Heilungen unter dem Einfluss äusserer Verhältnisse sind gar nicht so selten. Da sie sich vornehmlich unter besonderen Umständen wie Kriegen, Revolutionen, Verfolgungen, Pogromen, Religionskriegen etc. ereignen, an die man nicht gerne zurückdenkt, weil sie unser auf Ideologien aufgebautes Selbstverständnis ins Wanken bringen, sind sie wenig bekannt. Auch die Medizin nimmt von ihnen kaum Kenntnis. Ich denke an das Verschwinden von Neurosen, wenn es ihren Trägern erlaubt oder befohlen wird, alles das im Dienste einer ,höheren Idee‘ zu tun, was sonst verboten ist: Menschen zu quälen, zu foltern, zu schänden und zu töten, sonst tabuierte Sexualwünsche ungehemmt auszuleben, zu stehlen, zu plündern und zu zerstören.]

    Hier baute er ein im wahren Sinn des Wortes satanisches Kontrollsystem auf. Mit Hilfe von Stechuhren und Akkordlohn holte er das Letzte aus den Arbeitnehmern heraus. Von Juristen hatte er sich alle Tricks zeigen lassen, wie man Arbeitsverträge machen kann, bei denen er ein Maximum, der Arbeitnehmer ein Minimum von Rechten erhielt.
    Durch scharfe Ueberwachung des Betriebes bekam er soviel belastendes Material in die Hand, dass er alle die, die nicht spurten, wie er wollte, oder die sich über sein System beschwerten, entlassen konnte. - Bei den wenigen Besuchen, bei denen ich ihn später noch sah, berichtete er mit strahlendem Stolz über seine Methode, über ihr perfektes Funktionieren und ihren Erfolg: er werde, so prahlte er, die Produktion und den Gewinn auf diese Weise um X Prozent über das Niveau heben, das sein Vater erreicht hatte. - Natürlich lässt sich der Effekt dieser Verschiebung auch ausschliesslich mit der analytischen Theorie erklären: Verschwinden der Abwehrsymptomatik, weil die verdrängten anal-sadistischen Impulse voll befriedigt werden können und zugleich die ödipale Spannung dem Vater gegenüber dadurch gelöst wird, dass er ihn übertrumpft. Aber wo ist eine so „glänzende“ Lösung im bürgerlichen Bereich sonst möglich, wo kann jemand so ungehemmt seinen Sadismus ausleben? - Und das alles ohne Bestrafungsangst und Schuldgefühle, weil die „Lakune“, in der dies stattfindet, ihre von der allgemeinen Gesellschaft abweichenden Gesetze hat" (Cremerius 1979 S.236).

    Theoretische Ueberlegungen: Die Patienten in dieser Gruppe sind charakterisiert durch eine traumatische Kindheit, die zu schweren neurotischen Manifestationen geführt hat. Einer der Gründe für diese Entwicklung ist eine gestörte Identifikation mit den frühen Beziehungspersonen, d.h. auch mit den Normen und Werten der Schicht, der der Patient angehört. Die neurotische Symptomatologie verliert sich in dem Masse, wie es dem Patienten gelingt, seine Neurose in eine Charakterneurose zu verwandeln und diese soziofunktional unterzubringen. Die sozioökonomische Position der Familie bietet dazu die notwendigen Voraussetzungen.

    Diese Patienten wünschen eine Therapie wegen restneurotischer Störungen, hoffen aber im Grunde darauf, dass sie auf diesem Wege die soziale Verwertung ihrer Neurose noch besser handhaben lernen. Sie beenden die Analyse in dem Moment, in dem sie zu ahnen beginnen, dass der Analytiker die Dynamik, die sich in der neurotischen Charakterstruktur verfestigt hat, wieder in Gang bringen will. Ihre Angst davor ist nicht nur eine Angst vor phantasierten Bedrohungen - sie ist Realangst. Die Analyse der sozialen Verwertung der Neurose würde ihre sozioökonomische Lage bedrohen.
    Argelander schreibt, dass die Analyse dort endete, wo die Diskrepanz ihrer beiden Vorstellungen deutlich wurde: Argelander hoffte, die innere Gefühlswelt des Patienten für andere Menschen soweit aufschliessen zu können, dass er mit ihnen glücklicher und verständnisvoller Zusammenleben könnte - der Patient erwartete für sich, noch vollkommener zu werden und eine noch bewusstere Kontrolle über sein Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen zu gewinnen, d.h., sie noch effizienter manipulieren und für seine kommerziellen Interessen benutzen zu können.

    Argelander versteht richtig, dass dieses Thema nicht durchgearbeitet werden konnte, weil es nicht in die Uebertragung hineinkam. Der Patient habe ihn wie ein gefährliches Objekt meiden, kontrollieren oder sich von ihm auf seine Weise zurückziehen müssen. Ich glaube, dass dies nicht nur biographisch aus der Aetiologie und Natur seiner Neurose verstehbar ist, sondern auch, und vor allem, aus aktuellen, realen Gründen:
    Der Analytiker bedroht den Patienten de facto, nicht nur seine neurotischen Phantasien. Würde der Patient nämlich menschliche Nähe und Wärme zulassen, würden die Voraussetzungen und Bindungen seines sozioökonomischen Erfolges bedroht werden. Denn dieser Erfolg beruht gerade auf der Unabhängigkeit von Liebe und Objektbeziehung.
    Das ist die Grundlage dafür, dass er ohne Angst und Schuldgefühle Menschen in seiner Weise missbrauchen kann. Horn spricht in diesem Sinne davon, dass dieser Patient die Unfähigkeit zu menschlichem Kontakt gesellschaftlich verwerten konnte, dass sie ihm die Verwertung von Dingen und Ideen auf dem kapitalistischen Markt erleichterte, dass seine Psychopathologie fast soziofunktional in den gesellschaftlichen Verhältnissen aufging (Horn 1976).

    Man kann sich fragen, warum der „Flieger“, der hier stellvertretend für diese Gruppe steht, als Prototyp für Nichtanalysierbarkeit aufgrund einiger Faktoren, die mit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse zu tun haben, aufgeführt wird? Warum läuft er nicht einfach unter der Diagnose einer schwer angehbaren Reaktionsbildung oder einer kontraphobischen Bewältigung neurotischer Aengste? Die Antwort muss vom ökonomischen Prinzip der Neurose ausgehen: der Patient mit einer Reaktionsbildung oder einer kontraphobischen Angstbewältigung leidet unter Einengungen der Ich-Funktionen und an verringerten Möglichkeiten der Triebbefriedigung. Die Therapie verspricht für beides einen Gewinn. Der „Flieger“ jedoch hat aufgrund der sozioökonomischen Sonderstellung die Möglichkeit, seine Neurose funktional so unterzubringen, dass sie ihm Gewinn bringt, ja, dass sie eine der wichtigen Voraussetzungen des Gewinnes überhaupt wird - und zwar nicht im Sinne des sekundären Krankheitsgewinnes, der ja in der Regel nur noch ein Surrogat ist, sondern eines echten primären Gewinnes.

    [Dem "Flieger"] kann die Analyse keine unmittelbaren Vorteile versprechen - für ihn ist sie zunächst einmal mit Verlusten verbunden, und zwar mit realen Verlusten an Geld, Besitz, Macht. Was sie ihm für die Zukunft in Aussicht stellt, nämlich ein Mehr an menschlichen Kontakten, Liebesfähigkeit und Vertrauen, kann deshalb nicht als verlockend erlebt werden.
    Die nächste Frage, die dieser Fall aufwirft, ist die nach dem Unterschied gegenüber anderen Formen soziofunktionaler Verwendung der Neurose. Ich denke etwa an eine so geglückte soziofunktionale Konstruktion wie die, welche der Voyeurist mit polymorph perversen Triebneigungen gefunden hat, der als Dezernent bei der Sittenpolizei Pornographie, Prostitution etc. verfolgen muss. [Der Voyeur] kann seinem Trieb ohne Schuldgefühle nachgehen, weil das Ueber-Ich dies als Amtshandlung toleriert und alle Verfolgungs- und Bestrafungsimpulse nach aussen richten kann. Die Unterscheidungsmerkmale sind folgende:
    - die Heimlichkeit, Privatheit und Selbstverborgenheit der Konstruktion auf seiten des Bezeichneten;
    - die Offenheit und Oeffentlichkeit der Triebbefriedigung auf seiten des 'Fliegers';
    - der Dezernent gelangt nur zu einer sehr subtilen, weitgehend sublimierten Form der Triebbefriedigung, die das primäre, elementare Triebgeschehen nie zulässt;
    - der 'Flieger' dagegen erlebt innerhalb des sozialen Freiraumes direkte, primäre Triebbefriedigung.

    Der hier beschriebene Unterschied gilt z.B. gegenüber allen jenen bürgerlichen Berufen, die primäre Triebe zu befriedigen versprechen - jedoch unter der strengen Bindung der Sublimierung: Arzte, Priester, Lehrer, Soldaten, Metzger, Polizisten etc. (Cremerius 1979 S.239)

    III. Die "Rollenidentifizierten"

    Die dritte Gruppe von Patienten, bei denen eine psychoanalytische Behandlung ihr Ziel nicht errreicht, ist die, in der den Patienten eine so weitgehende Rollenidentifikation gelungen ist, dass ihre Bewusstmachung ihre sozioökonomische Position grundsätzlich gefährden würde.
    Ich stelle zunächst einen entsprechenden Patienten vor: Hier begann ich zu begreifen, dass mein Konzept falsch war, dass der Konflikt, der irgendwo an der Wurzel seiner Persönlichkeit liegen mochte, von mir nicht erreicht werden, nicht wiederbelebt werden konnte. Dazu trug wesentlich bei, was mir ebenfalls immer deutlicher wurde, dass der Patient auch mich benutzte, dass ich ein brauchbares Objekt in seinem System geworden war. Mit Beschämung darüber, dass die Therapie in eine Richtung lief, die meinen Vorstellungen vom Wesen einer solchen diametral entgegengesetzt war, musste ich feststellen, dass seine Beschwerden milder wurden, dass er sich zunehmend besser fühlte. Während seine Charakterstruktur unverändert blieb, lernte er, mit seinen Schwierigkeiten bessser umzugehen. Die Analyse diente ihm dazu, sich auszusprechen, seine Klagen und Anklagen loszuwerden. Er benutzte sie als Reparaturwerkstatt, dazu, sich in sich selber, in seiner Rolle zu festigen. Meine Deutungsarbeit, deren Ziel es war, die Charakterstörung aufzuschließ en, um das verdrängte Trauma freizulegen und damit einen Prozeß der Neugestaltung der Persönlichkeit in Gang zu bringen, blieb erfolglos. W ohl machten ihm solche Interventionen Angst und er geriet einige Male ins W ackeln, aber er fing sich rasch wieder. Die Funktionen, die wir in der Regel in einer Analyse passager zu übernehmen gewohnt sind, nämlich die des Idealobjekts, das der Patient erstrebenswert findet, dem er ähnlich werden will - Grunberger spricht vom „Monotheismus der Analyse“ (1958) - , liess der Patient nicht zu. Im Gegenteil: der Patient erlebte mich als fremd, unverständlich und nur sehr partiell als hilfreich (Trostspender, Reparateur, Stabilisator).
    So ereignete sich in einer der letzten Stunden, als ich versuchte, ihm zu einer verstehenden Haltung dem „Fehltritt“ seiner Frau gegenüber zu verhelfen und mit ihm zu erarbeiten, inwieweit dieser etwas mit seinem distanzierten, auch die Ehe als „Unternehm en“ betrachtenden Verhalten zu tun haben könnte, folgendes: Er wurde erregt und erklärte, entgegen seinem sonst ruhigen und beherrschten Benehmen mit heftigem Affekt, daß er diesen W eg des Verstehens nicht gehen wolle. Wenn er anfinge, die Motive menschlichen Handelns, vor allem menschlichen Versagens zu untersuchen, freizulegen, aus welchen seelischen Nöten und Verwirrungen heraus Menschen sich so und so verhielten, dann käme die Ordnung der Welt, in der er gross geworden sei und die ihm bisher gut und richtig erschienen sei, ins Wanken. Die Ordnung, in der er lebe, sei vorgegeben, ihm von seinem Vater vorgelebt worden, stehe im Einklang mit Staat und Kirche und könne von ihm nicht geändert werden. Diesen Weg beschreiten hiesse doch z.B. auch, sich mit der Frage zu beschäftigen, warum die Arbeiter in seinem Betrieb stehlen würden, d.h. sich zusätzlich Einkünfte zu verschaffen versuchten, oder mit dem Vorwurf der Gewerkschaft, die Relation der Löhne zu seinem Gewinn sei nicht richtig. Alle solche Ueberlegungen hielte er für sinnlos. Zu jeder Ordnung gehöre, daß es Leute gäbe, die mit ihr nicht zufrieden seien, das wäre auch in den kommunistischen Ländern mit einem anderen Wirtschaftssystem so.
    Er beendete die Analyse an dem Punkt, an dem er seine alte Sicherheit wiedergewonnen und seine Depression in eine stabile, selbstgerechte Vorwurfshaltung gegen ein aus unbegreiflichen Gründen böses Schicksal verwandelt hatte. Anstatt weiterhin an ihm zu leiden, haßte er nun. Aber das machte nur eine sehr verborgene Ecke in seinem Wesen aus. Der Intaktheit seiner Identität als Chef tat sie keinen Abbruch. (Der Hass brachte sogar den Vorteil, daß er sich nun stark und aktiv fühlte.) Dieser Punkt, an dem er die Analyse abbrach, war auf meiner Seite charakterisiert durch das Gefühl, den Patienten nicht zu erreichen, mich nicht einfühlen zu können, ja, unfähig zu sein, die hinter dem Charakterpanzer liegende Sehnsucht nach menschlichem Kontakt, das biographische Elend, im Auge behalten und ihm jene ärztliche Zuwendung geben zu können, die er brauchte.
    Theoretische Ueberlegungen: Dieser Fall, vor allem der Abbruch der Analyse, bevor sie ihre verändernde Wirkung erreichen konnte, lässt sich am besten mit Hilfe des Begriffes der Rollenidentifikation von Parin (1977 S.499ff) verstehen. In dem hier beschriebenen Fall ist zu der Definition noch hinzuzufügen - und das gilt in der Regel für alle Patienten, die aus alten, wohlhabenden und mächtigen Familien stammen - , dass die Rolle weitgehend präfabriziert in der Kindheit vorgefunden wird, daß sie ferner eine in Generationen entwickelte Geschlossenheit besitzt, über eine maximale Angepaß theit an die speziellen Anforderungen, die an ihren Träger gestellt werden, verfügt und schließlich - unter der Voraussetzung, daß die sozioökonom ische Struktur der Gesellschaft, für die sie „erfunden“ wurde, sich nicht verändert hat - eine optimale soziale Funktionalität garantiert. Da, wo solche Rollenidentifi­ kationen glücken, sind sie aufgrund des tradierten Sozialisationsvorganges, der ganz auf ihr Gelingen eingerichtet ist, ihrem Träger weitgehend unbewußt, bilden sozusagen seine zweite Natur.
    Natürlich ist auch diese Rollenübernahme wie jedes Hineinwachsen in eine gegebene Gesellschaft mit Verzichten, Frustrationen und Schmerzen verbunden. Aber sie zeigt doch zwei kardinale Besonderheiten gegenüber der Rolleneinübung in anderen Schichten: Was unter diesem Aspekt gesehen den Abbruch der Analyse bewirkte, war einmal, dass die Rollenidentifikation perfekt war, zum anderen, dass der Patient das Glück hatte, in einer Umwelt zu leben, in der seine Rolle gebraucht wie geschätzt wurde und maximal funktionierte. Den Preis, den er für sie zahlte, spürte er schon lange nicht mehr als Nachteil.
    Schon in früher Jugend hatte er begriffen, dass er durch anderes voll aufgewogen werden konnte. So könnte ich seine Biographie als die Geschichte einer ungestörten Weiterführung früher Objektbeziehungen in die gesellschaftliche Situation hinein beschreiben, für die sie (die frühen Objektbeziehungen) mehrere Generationen entwickelt hatten, damit eine optimale Bewältigung der Rolle gelingen konnte. Triebdynamisch gesehen sind das Objektbeziehungen prägenitaler Natur, bei denen es vor allem um die Benutzung von Objekten zur Befriedigung und Durchsetzung eigener Bedürfnisse geht.
    Dahmer formulierte das Gemeinte so: „Soziale Konstellationen ermächtigen oder entmächtigen die Individuen, indem sie - in Sozialisationsprozessen verinnerlicht - zur psychischen Struktur werden. Was als Ich-Stärke oder -Schwäche psychologisch erscheint, weist auf Sozialgeschichte als auf seinen Grund.“ (Dahmer 1973 S.243) Hinzuzufügen wäre, dass das nicht nur für die Ich-Stärke/Ich-Schwäche gilt, sondern auch für die Triebschicksale, die ja die Geschichte der frühen Objektbeziehungen sind.
    Dass dieser Anpassungsmechanismus der Rollenidentifikation (Parin 1977) in unserem Fall so gut funktionieren konnte, dass der Patient kein Bedürfnis nach Aenderung verspürte, liegt, wie Parin beschrieben hat, vor allem in zwei Momenten begründet:
    1. das Ich dieser Menschen kann seine Autonomie bewahren, weil es aus dem Es eine genügende Zufuhr von Triebenergie erhält, vor allem den narzisstischen Gewinn, den die Ausübung von Macht mit sich bringt;
    2. sie finden eine adäquate soziale Umwelt vor, welche die Voraussetzung dafür ist, dass die Anpassungsmechanismen funktionieren (Parin 1977 S.511).

    Ich kann auch sagen, dass dieser Patient nicht behandelt werden konnte, weil es der Psychoanalyse nicht gelang, die soziopolitischen Möglichkeiten dieses Patienten ausser Kraft zu setzen, seine Wirklichkeit aufzuheben, „damit sich die eigentliche Dynamik des Unbewussten manifestieren kann“ (Castel 1973). Es stellt sich noch die Frage nach dem Unterschied zwischen der Rollenidentität dieses Patienten und etwa eines Arztes, Priesters, Lehrers in bezug auf den Schutz, den sie gegen die neurotische Erkrankung leistet.
    Die Rollenidentität des Arztes etwa ist schwächer als die des Fabrikanten. Der eine erwirbt sie, dem anderen wird sie als fertige Form mit auf den Lebensweg gegeben. Der eine muss der Gesellschaft dafür, dass sie ihm Freiräume für die erlaubte Triebbefriedigurg zur Verfügung stellt, eidesähnliche Versprechen ablegen, sie nur in sublimierter Form zu betreiben. (So achten die ärztlichen Standesgerichte streng darauf, dass es zu keiner offenen Triebbefriedigung zwischen Arzt und Patient kommt.) Der andere ist in seinen Freiräumen von aussen nicht kontrolliert und darf sich direkte Triebbefriedigungen erlauben, vorausgesetzt, dass sie den Clan-Kodex nicht verletzen.
    Wie sieht es nun aber bei einer geglückten Rollenidentifikation im Anpassungsprozess mit den Schuldgefühlen aus? Ich gehe von Freuds Feststellung aus, dass das Schuldgefühl (gemeint sind Schuldgefühle als pathologische Phänomene) die der Kritik des Ueber-Ichs entsprechende Wahrnehmung im Ich ist (193b S.282). Dieser Satz besagt, dass die Interessen des Ichs denen des Ueber-Ichs entgegengesetzt sind, das Ich aber nicht in der Lage ist, seine Interessen zu vertreten. Es unterwirft sich den Urteilen des Ueber-Ichs, verzichtet also auf die Verwirklichung des Realitätsprinzips, d.h. auf die Anpassung seines Verhaltens an die Kriterien der Vernunft und/oder die Gesetzlichkeit der Situation. (Beispiel: Eheleute, die Schuldgefühle wegen der in der Ehe ausgeübten Sexualität empfinden.)
    Um solche unökonomischen, die Stärke des Ichs beeinträchtigenden Gefühle, die der Verwirklichung bestimmter Interessen entgegenstehen, zu eliminieren, müssen spezielle Sozialisationsmuster entworfen werden. Sie müssen so geartet sein, dass sie die Herbeiführung der gewünschten Rollenidentifikation garantieren. In bezug auf die Vermeidung von Schuldgefühlen heisst das, dass die oben angesprochene Spaltung nicht zustande kommt, dass das Ich und das Ueber-Ich in Übereinstimmung verbleiben. So müssen z.B. die Kinder der Gruppe, der mein Patient angehört, lernen, dass es verschiedene Klassen von Menschen gibt, denen gegenüber man sich verschieden verhält. Das müssen zwar die Kinder aller Gruppen lernen, nur sieht das jeweils verschieden aus.
    Freud z.B. lernte von seinem Vater, dass er als Jude einer niedrigeren, weitgehend machtloseren Schicht angehörte - mein Patient dagegen lernte von seinem Vater, dass da, wo er war, immer oben ist. Solche Rolleneinübung erscheint zunächst einfach und problemlos.
    Bei näherem Hinsehen wird jedoch ein sehr komplexer und differenzierter Vorgang erkennbar. Ich kann ihn hier nicht in seiner ganzen Kompliziertheit auseinanderlegen, sondern nur darauf hinweisen, dass das Kind z.B. die feinen Nuancen im Umgang mit der Vielschichtigkeit der anderen Klasse erlernen muss. Im Falle meines Patienten z.B., dass im Hause tätige Dienstpersonen, Arbeiter in der Fabrik und der Lehrer in der Schule zwar alle dazu da sind, gewisse Dienste zu erfüllen, dass man aber, um von jedem das zu bekommen, was man will - und das mit einem Minimum an Spannung -, für jeden eine andere Modalität des Umgangs bereithalten muss. Denn, so vermittelt der Sozialisationsprozess, die Benutzung der Objekte zur Verwirklichung der eigenen Bedürfnisse und Interessen ist nur dann optimal gegeben, wenn sie sich gerecht und der Situation gemäss behandelt (und bezahlt) fühlen. (Patienten der Unterschicht oder der unteren Mittelschicht erlernen dagegen diese differenzierten Umgangsformen nach oben hin. Der fundamentale Unterschied ist der, dass dieses Lernen unter Ängsten geschieht, die die Ängste der Klasse sind. Da das reale Angstobjekt vom Kleinkind nicht erlebt werden kann - es ist das Angstobjekt der Erwachsenen -, ist der Lernvorgang mit irrationalen Aengsten besetzt. Das hat zur Folge, dass die Wahrnehmungsvorgänge gestört sind. Es werden Projektion erlernt.) Das Grundproblem der Oberschichtkinder ist aber für die Erzieher wesentlich schwerer zu lösen, nämlich die Herstellung einer Uebereinstimmung der Familienclan-Gruppenmoral mit der allgemeinen Gesellschaft, vor allem mit der herrschenden Moral des Christentums.
    Dies gelingt durch pro-domo-Interpretationen, die aber der einzelne nicht für sich leisten muss. Er findet sie als präparierten Kodex vor. Er begreift seine Wirksamkeit aus der Bestätigung durch das Gesamt der Gesellschaft; es handelt sich also nicht um Mafia-Moral. Diese einer bestimmten Gruppe konzedierte Sondermoral hebt für sie wie für jeden ihrer einzelnen Angehörigen die allgemeinen Moralgesetze an einigen Stellen auf. Für die Ich-Ueber-Ich-Relation des einzelnen bedeutet das Freiheit von Schuldgefühlen, weil Ich und Ueber-Ich sich konkordant verhalten.
    Dahmer drückt das so aus: „Das Ueber-Ich fixiert erst die Realität, an der Realitätsprüfung sich orientiert“ (Dahmer 1973). In der bereits erwähnten Erzählung von Sartre wird die schrittweise Rollenübernahme sehr präzis geschildert und der ökonomische Gewinn für den Heranwachsenden - insbesondere in bezug auf die Schuldgefühle - dargestellt.
    Sartre verfolgt die einzelnen Schritte in der Entwicklung der Rolle und macht sichtbar, dass sie u.a. die Ausbildung eines anders gearteten, von dem der übrigen Gesellschaft abweichenden Ueber-Ichs beinhaltet - oder die Verdrängung derselben (im Falle des Missglückens und einer Korruption des Ichs).

    Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte solcher Privatphilosophien, die von den Herrschenden ad hoc konstruiert werden. [8: Ich erinnere etwa an die problemlose Deklassierung der Frau im Mittelalter mit der Begründung, sie sei die Trägerin der Erbsünde, oder die ebenso problemlose Folterung und Tötung Andersgläubiger, weil Gott es so wolle, oder die Tötung von Juden, Zigeunern und Russen, weil sie Untermenschen seien. In dem Lande, in dem der freie Arbeiter herrscht, werden streikende Arbeiter inhaftiert, weil sie konterrevolutionäre Absichten verfolgen. Diese Reihe ist eine unendliche.]
    Freud hat diesen Sachverhalt [der Privatphilosophien] bereits 1905 deutlich erfasst:
    „Es lässt sich laut sagen, dass die Wünsche und Begierden der Menschen ein Recht haben, sich vernehmlich zu machen neben der anspruchsvollen und rücksichtslosen Moral, und es ist in unseren Tagen in nachdrücklichen und packenden Sätzen gesagt worden, dass diese Moral nur die eigennützige Vorschrift der wenigen Reichen und Mächtigen ist, welche jederzeit ohne Aufschub ihre Wünsche befriedigen können“ (1905c S.121). Ihr Geheimnis ist, dass ihr ad hoc-Charakter allmählich der Verdrängung anheimfällt. Jetzt können die Angehörigen der privilegierten Gruppe in gutem Glauben handeln.
    Die Privatphilosophie setzt für eine bestimmte Epoche die übergeordnete Moral partiell oder total ausser Kraft. Auf diese Weise gelingt z.B. der Oberschicht die problemlose, von Schuldgefühlen freie Benutzung von Menschen und Dingen zu egoistischen Zwecken. (Brecht führt das zu der Feststellung, dass er nicht glaube, „wenn in gewissen Theaterstücken die Kapitalisten ein schlechtes Gewissen haben“ [1967a S.1503].) Sie nehmen aus der christlichen Lehre jenes Stück heraus, welches besagt, dass Gott die Welt so gemacht habe, bestehend aus Reichen und Armen, Herren und Knechten, fügen dann hinzu, dass es Gottes Wille sei, dass der Mensch der Herrschaft untertan sei, die Gewalt über ihn habe, und haben damit eine ausgewogene, beiden Seiten gerecht werdende Philosophie. - So ist, um ein bekanntes Beispiel anzufügen, aus der protestantischen Ethik:
    'Wenn du fromm bist und Gott wohlgefällig lebst' - das was Gott gefällt, bestimmen die Begründer der Ethik als Triebbeherrschung, Beten, Arbeiten, Sparsamkeit, Fleiss, Pünktlichkeit, Anspruchslosigkeit etc. -, ,wird Gott dich mit sichtbarem Erfolg segnen' (Max Weber entdeckte an diesem Beispiel die Beziehung zwischen der „protestantischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus“ [1905]) die Umkehrung entstanden: Wenn du Erfolg hast, bist du von Gott gesegnet, also warst du ihm wohlgefällig. Jetzt ist der Weg zum Erfolg aus den ethischen Ueberlegungen herausgenommen, jetzt entscheidet nur noch die Praxis.
    Es versteht sich, dass das, was hier so geschildert wird, als ob es bewusst und gezielt „gemacht“ würde, als ob es ein Erziehungsplan wäre, sehr unbewusst abläuft, so automatisiert wie alle tradierten Rolleneinübungen.
    Was einmal intendiert war, methodisches Unternehmen, um gewisse Ziele zu erreichen, ist am Ende eine Schablone, von der es heisst, dass man es halt so mache. Das macht den ökonomischen Vorteil von tradierten Enkulturationsprozessen aus.
    Man kann die besondere Struktur des Ueber-Ichs in diesem Falle auch als eine Uebereinstimmung von Ich und Ich-Ideal verstehen. Wenn es den Erziehern im Sozialisationsprozess z.B. gelingt, die Gruppenideale so geschickt an das Kleinkind heranzubringen, dass sie ein starkes Ich-Ideal bilden, das vom Ich akzeptiert werden kann, so bedeutet das, dass der Umfang des Ueber-Ichs um diesen Bereich verkleinert wird. Man kann also die naive Selbstsicherheit, die diese Schicht im Grenzgebiet des moralischen Verhaltens zeigt, von daher gut verstehen. Dieses Konzept macht verständlich, dass es sich nicht um Verlogenheit oder bewusstes Praktizieren einer doppelten Moral handelt, sondern um eine echte Rollenidentität. So gesehen, ist natürlich das Fehlen von Schuldgefühlen voll einleuchtend, weil das Ich sich im Ich-Ideal so mit den Idealen der Gruppe verbunden hat, dass die Struktur der gesellschaftlichen Wirklichkeit gar nicht mehr anders wahrgenommen werden kann als mit den Augen der Gesellschaft, in deren Konstruktionen der Wirklichkeit es hineinwuchs und hineinerzogen wurde (Berger/Luckmann 1966).

    Ich möchte an dieser Stelle auf die Thesen meines Mitarbeiters Trimborn vorgreifen, die er in einem der folgenden Kapitel darlegt. Da ist die These, die besagt, dass die analytische Therapie bei Angehörigen einer sozialen Schicht, die sich von der des Analytikers unterscheidet, deshalb nicht glückt, weil sie eine Bedrohung gerade dieser Funktion des „sozialen Ueber-Ichs“ darstellt; denn, so führt er aus, das Ziel der analytischen Therapie ist stets eine Veränderung der unbewussten Ich-Anteile (Abwehr- und unbewusste Anpassungsmechanismen) und in deren Gefolge des Ueber-Ichs. Trimborn stützt sich auf Ansichten Grunbergers (1958), der darauf hinweist, dass der Neurotiker, der sich für eine neue Abwehr entscheidet, die die Adoption eines neuen Ueber-Ichs mit einschliesst, damit eine Revolte gegen sein altes Ueber-Ich ausdrückt — (S.274). Die Folgen dieser Revolte und des Aufbaues eines neuen Über-Ichs sind der tatsächliche Bruch mit dem. Ueber-Ich der Familie des Patienten (S.275). Fernerhin die Veränderung der subjektiven Wirklichkeit und damit auch der objektiven Wirklichkeit - und das bedeutet eine Aenderung der Objektbeziehungen (Trimborn 1976 S.127ff).
    Der Patient verliert also den Konsensus mit seiner Gruppe, wird isoliert und muss nach neuen Objektbeziehungen suchen. Wie ich bereits ausgeführt habe, kann er sie in der Analyse nicht finden. Die Vorstellungen vom Menschen und vom Zusammenleben der Menschen, welche die psychoanalytische Theorie anbietet, kann die seine nur werden, wenn er eine totale Veränderung seines Lebens in Angriff nimmt. Diese ist notwendigerweise mit dem Verlassen seiner bisherigen Welt verbunden. Kierkegaards Satz: „Das Schlimmste, was einer Familie passieren kann, ist, dass ein Mitglied Christ wird“, kann hier sinngemäss angeführt werden.

    Die psychoanalytische Behandlung des Aufsteigers
    In der psychoanalytischen Behandlung des Aufsteigers zeigen sich folgende Merkmale, die spezifisch für den Aufsteiger zu sein scheinen:
    - eine grosse Statusunsicherheit. Aus dieser heraus fühlen sie sich beständig von Zurückweisungen und Ablehnungen durch die Schicht, in die sie hinein wollen, bedroht. Diese Bedrohung löst Angst und Wut aus;
    - eine Idealisierung der erstrebten Schicht, einmal aus Unkenntnis, zum anderen, um die Enttäuschungen an ihr zu kompensieren;
    - eine Ueberanpassung, eine Super-Konformität, weil sie dauernd fürchten, von den Angehörigen der erstrebten Schicht als nicht dazugehörig angesehen zu werden;
    - eine Hypersensibilität gegenüber den Nuancen des Verhaltens der „anderen“ ihnen gegenüber. Jede Zurückweisung, jede Distanziertheit, jede Form reservierten Umgangs mit sich führen sie auf ihre Herkunft zurück. Viel Zeit und Kraft verwenden sie deshalb auf die Beseitigung aller Spuren ihrer, „vulgären Sozialisation“:
    - die Zurückführung aller Schwierigkeiten im Umgang mit den „Anderen“ auf die Herkunft wird leicht zum Schutzmechanismus gegen eigene Probleme. Sie bleiben ihrem Träger verborgen, weil sie nicht ins zwischenmenschliche Beziehungsfeld gelangen. Aus demselben Grund können sie auch nicht bearbeitet, nicht gestaltet werden. So entsteht ein Entwicklungsdefizit.
    Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit denen, welche die Soziologen bei statistischen Untersuchungen an grösseren Gruppen gewonnen haben (Westby und Braungard, 1966; Rush, 1969; Lopreato, 1967).
    Den Aufsteigern in die Oberschicht, von denen hier die Rede ist, stellen sich, wenn sie sich einer psychoanalytischen Behandlung unterziehen, folgende spezielle Schwierigkeiten entgegen:
    - die Analyse vergrössert ihre Statusunsicherheit. Die Patienten erfahren, wie brüchig ihre Identifikation mit der erstrebten Schicht ist;
    - die Verständigung zwischen Analytiker und Patient ist extrem erschwert, weil der Patient die Denkweise, in der er erzogen wurde, ablehnt, die der Schicht, in die er hinein will, noch nicht versteht und sich auf die des Analytikers, die wieder eine andere ist, nicht einlassen kann. Hier spürt er eine Wertwelt, von der er fürchtet, dass sie ihn an der Erreichung seines Zieles hindern könnte;
    - die Aufdeckung und Durcharbeitung von Wut und Hass gegen die erstrebte Schicht, von der sie sich solange zurückgesetzt und gedemütigt gefühlt haben, macht die Ambivalenz deutlich. Diese macht wiederum Angst, weil die Erreichung des Zieles erschwert wird;
    - dasselbe gilt für die Idealisierung, die die Funktion der Reaktionsbildung hat.
    Um diesen zusätzlichen Verunsicherungen und Bedrohungen durch den Analytiker zu entgehen, brechen die Aufsteiger die Analyse oft vorzeitig ab.
    [Fusszeile: Aufgrund von Untersuchungen an grösseren Patientenkollektiven scheinen Aufsteiger öfter neurotisch zu erkranken als andere Menschen (Cremerius, 1968; Dührssen, 1962)].

    Freud, der häufig beschuldigt wird, die soziale Wirklichkeit seiner Patienten nicht genug berücksichtigt, nur das private biographische Elend im Auge gehabt zu haben, hat den Zusammenhang zwischen neurotischer Symptomatik und Schichtzugehörigkeit sehr genau erkannt. Alexander erinnert eine Fallbesprechung bei Freud in Wien, bei der er über einen jungen Delinquenten berichtete, den er im Gefängnis untersucht hatte. Der junge Mann, von Beruf Kellner, stand unter dem Zwang, lange Autofahrten machen zu müssen, die er dann nicht bezahlen konnte.
    Alexander entwickelte die unbewusste Motivation dieses Mannes und ordnete ihn unter die Personen ein, deren Handeln ausschliesslich vom Instinkt bestimmt werde. Freuds Kommentar ging - zum Erstaunen Alexanders - in eine ganz andere Richtung: „Er könne nicht erkennen, inwiefern dieser Fall Licht auf das Problem der Kriminalität werfe: Wenn Ihr Patient der Sohn eines Millionärs wäre, könnte er ein Rekordbrecher und als solcher ein Nationalheld werden. Nur wegen seiner sozialen Position, und weil er nur ein armer Kellner war, konnte er seinem Zwang oder seinem Hobby keinen legalen Ausdruck geben [10]“ (Freud 1940 S.199).
    [Etwa zur selben Zeit schreibt Freud: „Ich meine, solange sich die Tugend nicht schon auf Erden lohnt, wird die Ethik vergeblich predigen. Es scheint mir auch unzweifelhaft, dass eine reale Veränderung in den Beziehungen der Menschen zum Besitz hier mehr Abhilfe bringen wird als jedes ethische Gebot“ (1930a S.504).]
    Beide Männer haben die Wirklichkeit nach ihren Wünschen verändert:
    - den einen führt das ins Gefängnis, den anderen macht es zum Nationalhelden
    . Der Analytiker sieht in der Regel keinen von beiden in seinem Sprechzimmer:
    Seine Klienten, die Angehörigen der bürgerlichen Mittelschicht, können die Welt nicht verändern. Sie verändern sich selbst
    An diesem Beispiel werden die unterschiedlichen Konsequenzen des Handelns in verschiedenen sozialen Schichten eindrucksvoll vorgeführt.
    Die Gegenübertragung
    Wahl, meines Wissens der einzige Autor, der über die Schwierigkeiten, die Reichen, Berühmten und Mächtigen psychoanalytisch zu behandeln, geschrieben hat, führt diese Schwierigkeiten weniger - wie ich es getan habe - auf besondere psychosoziale Eigenheiten dieser Patientengruppe zurück, als vielmehr auf solche des Analytikers im Umgang mit der Gegenübertragung. Dass es sich hier ganz offensichtlich um ein schwerwiegendes Problem handelt, macht nichts so sehr deutlich als das Schweigen, das über diesem Teil der psychoanalytischen Praxis liegt.
    Ich glaube nicht, dass die Ursache dafür einzig und allein darin liegt, dass in diesen Fällen die Diskretion besonderer Aufmerksamkeit bedarf - obgleich, wie ich bereits ausgeführt habe, hier an die Falldarstellung diesbezüglich hohe Anforderungen gestellt werden. Ich stimme deshalb mit Wahl darin überein, dass eines der Motive in der Gegenübertragung zu suchen ist. Wie er, konnte auch ich beobachten, dass Analytiker, die einen Patienten aus diesen Kreisen behandeln, stets in einer auffallenden Weise darüber sprechen. Sie ergehen sich in Andeutungen der sozioökonomischen Besonderheiten des Falles oder seiner Berühmtheit, welche die Zuhörer erst recht aufmerksam und neugierig machen und sie zum Rätseln über die reale Existenz der Herrn X aus Y. verführen. Es.entsteht dabei oft der Eindruck, als ob sich der Analytiker die Berühmtheit, den Reichtum oder die Macht seines Patienten zugute hielte, als ob er es als einen Verdienst erlebe, diesen Patienten zu haben.

    Da Wahl das Gebiet gewissenhaft und mit grosser Kennerschaft bearbeitet hat, berichte ich zunächst seine Ergebnisse. Später werde ich dann noch einige, von ihm nicht erfasste Beobachtungen hinzufügen.
    Wahl unterscheidet folgende Gegenübertragungsschwierigkeiten:
    Der Analytiker des berühmten Patienten, vor allem von bekannten Filmschauspielern,
    - wird leicht zum „Kavalier-Diener“ seines Patienten, vor allem, wenn es sich um eine Frau handelt, und verliert dadurch die Tatsache aus dem Auge, dass hinter dem Aeusseren der verführenden grossen Dame ein kleines, verlorenes, sehr unglückliches Mädchen verborgen ist;
    - er erlebt die Tatsache, dass er von einer Berühmtheit gewählt wurde, Jils Lob und Auszeichnung. Damit wiederholt er jene alten Abhängigkeiten von der Anerkennung durch die Elternimagines, gerät wieder in den alten Zustand mangelnden Selbstwertgefühles. Das Resultat ist eine Umkehrung des analytischen Prozesses mit seinen Folgen für die Gegenübertragung;
    - er wird, wenn es sich um eine sexuell attraktive Filmschauspielerin handelt, sexuelle Impulse verspüren, die er durch Reaktionsbildungen zu unterdrücken versuchen wird. Das führt leicht dazu, dass er es ablehnt, die bedeutende Tatsache zu sehen und zu analysieren, welche die Sexualität als Symbol im Leben dieser Frau und in ihren Objektbeziehungen gespielt hat.
    Der Analytiker des reichen Patienten der Oberschicht - immer vorausgesetzt, er selber entstammt, was wohl die Regel ist, Mittelstandsverhältnissen - wird häufig eine Gegenübertragung, vergleichbar der seiner Klasse, produzieren:
    - hier wird der Reiche leicht verdächtigt, faul zu sein, auf unlautere oder gar kriminelle Art zu seinem Reichtum gelangt zu sein und man bedient sich gerne - aus vielerlei Motiven - der Textstelle aus dem Matthäus-Evangelium, wo es heisst: "Es ist leichter für ein Kamel durch ein Nadelöhr zu gehen als für einen Reichen in das Himmelreich zu kommen". Eine solche klassenspezifische Haltung kann die Gegenübertragung in der Weise beeinflussen, dass der Analytiker entweder Reichtum oder Sozialstatus über- oder unterbewertet. Hierbei ist besonders störend, dass der Analytiker den Patienten nicht mehr als Individuum, sondern als Symbol sieht. Besonders Analytiker, die für ihre Ausbildung grosse Opfer bringen mussten, wie die, welche aus unteren sozialen Schichten aufgestiegen sind, neigen dazu, eine negative Einstellung zu solchen Patienten zu empfinden, in die vor allem Neid hineinspielt;
    - der durchschnittliche Analytiker, der sein Geld sehr hart verdient, missversteht den Reichen, der sein Geld auf andere Weise verdient oder es ererbt hat, leicht als faul und unnütz;
    - besonders schwierig gestaltet sich die Gegenübertragung für den Analytiker, der die Reichen für Ausbeuter hält. Er wird grosse Mühe haben, seinen Patienten nicht zu missachten;
    - der Analytiker übersieht leicht, bedingt durch seine klassenspezifischen Vorurteile, die Tatsache, dass die Reichen auch ihre -klassenspezifischen Leiden haben.
    Als Angehöriger einer Minorität z.B. leben sie oft isoliert, einsam und mit dem typischen Misstrauen derJW kn- seiter. Auch sind gewisse Verhaltensweisen nicht Ausdruck von Arroganz und Ueberheblichkeit dem anderen gegenüber, sondern oft die Folgen schwerer Störungen der Objektbeziehung in der Kindheit - verursacht durch das Fehlen liebevoller Eltern wie durch den oft häufigen Wechsel der Beziehungspersonen (Kindermädchen, Erzieher);
    - die Gewohnheit, sich anderer Menschen zu bedienen, ihnen die Diener-Rolle zu geben, kann Feindseligkeit auslösen, wenn der Analytiker sie als persönliche Entwertung und nicht als Rollenmerkmal versteht;
    - die Gegenübertragung kann dadurch gestört werden, dass der Patient Andeutungen macht, dass er dem Analytiker durch seinen Reichtum oder seine Macht Vorteile verschaffen kann: Angebote von luxuriösen Ferienwohungen, Privatflugzeug, Einführung in bestimmte „höchste“ Kreise, Herstellung von Verbindungen zu einflussreichen Persönlichkeiten etc. Der Versuchung, den Verlockungen nachzugehen, wird jeder auf seine Weise widerstehen. Dies wird die Gegenübertragung so lange stören, bis der Analytiker darin weniger ein Zeichen der "Alles-ist-käuflich-Haltung" sieht als den Ausdruck einer inneren Unsicherheit, die nicht einfach davon ausgehen kann, dass man menschliche Beziehungen, Freundschaft und Liebe auch um seiner selbst willen haben kann;
    - in ihrem Charakter als negative Einstellung zum Patienten wird gelegentlich eine Form von Zuwendung verkannt, die sich dadurch auszeichnet, dass der Analytiker besonders liebevoll zu diesen Patienten ist, ihnen besondere Angebote macht, weil er von den Leiden und Mangelzuständen ihrer Entwicklung so sehr beeindruckt ist und glaubt, sie durch Liebe und Fürsorge reparieren zu können.
    Als letzten Punkt erwähnt Wahl ein Argument, das ich in meinem Text an mehreren Stellen bereits hervorgehoben habe: die Möglichkeit dieser Patienten zum Ausagieren, die weit über das hinausgeht, was in der Schicht des Analytikers erlaubt ist. ,Hier gerät der Analytiker aufgrund der Wertvorstellungen seiner Schicht besonders leicht in die Versuchung, moralisch zu beurteilen, was gar nicht in das Gebiet der Moral hineinfällt, und zu vergessen, dass unsere Aufgabe stets nur die sein kann, den Patienten aus seinen Bedingungen heraus zu verstehen.

    Diesen Beobachtungen Wahls kann ich nur wenige hinzufügen: Da ist einmal die Schwierigkeit, den Aerger über eine Gesellschaftsordnung, die Freiräume für Menschen toleriert, in denen sie weitgehend ausserhalb der sonstigen Rechtsnormen operieren können, nicht auf den Patienten zu übertragen, der uns von dieser Welt des Freibeutertums und ihren fast unbegrenzten Weiten berichtet.

    Zum Schluss will ich auf die Frage eingehen, warum wir uns so schwer tun, in dem Reichen und Mächtigen, der Menschen und Dinge rücksichtslos und willkürlich manipuliert, einen Mann zu sehen, der seinen Vorteil wahrnimmt, gebotene Gelegenheiten ausnützt, erfindungsreich und risikofreudig ist? Im Prinzip tut er doch nichts anderes als alle anderen auch: Er nützt das bestehende System bis an die äussersten Grenzen der Legalität aus und findet jene Lücken im Gesetz, die ihm straffrei ermöglichen, seine Interessen zu verfolgen. Hat er nicht hochdekorierte Vorbilder?

    Im Kriege zeichnet der Staat den Produzenten von Mordwaffen, der dazu beigetragen hat, dass der Krieg erst möglich wurde, aus. Der Staat, der den Krieg will, wird zur Quelle unendlichen Reichtums. Und ist nicht der Staat selber sein grosses Vorbild, von dem Freud sagt: „Der Staat untersagt dem Einzelnen den Gebrauch des Unrechts, nicht, weil er es abschaffen, sondern weil er es monopolisieren will wie Salz und Tabak“ (1915b S.329). Und weder gegen den Kriegsgewinnler noch gegen den Staat haben wir eine gleich negative Einstellung wie gegen unseren Patienten - bei dem einen bewundern wir die grosszügige Vergabe seines Geldes an Wissenschaftler als Preis für Verdienste (Nobelpreis), bei dem anderen (Staat) richten wir uns ein und schaffen uns, von ihm profitierend, ein privates Wohlergehen. Es ist also der Patient, der uns durch das unmittelbare Miterleben verdeutlicht, was wir sonst übersehen und verdrängen, weil es unsere Ruhe stören würde. Der Patient macht also dem Analytiker - die meisten von ihnen sind politisch wenig interessierte Menschen - etwas spürbar, das er von sich fernhält und das über den Mittelstandspatienten, mit dem er das gleiche Skotom teilt, nicht an ihn herankommt. Dies zumal, weil er von einer psychologischen Theorie ausgeht, die ihn biographisches Elend als immergleiches - unabhängig von der sozioökonomischen Situation - verstehen lässt. Wird aber der Patient zum Beunruhiger, zu dem, der den Schlaf des Gerechten stört, dreht sich die analytische Situation um: Der Patient lehrt den Analytiker ein Stück Wirklichkeit kennen, die der Analytiker aus Angst vor den Konsequenzen nicht wahrnehmen will. Die Folgen für die Gegenübertragung können für den Patienten nur ungünstig sein.

    Eine andere Ursache negativer Gegenübertragung liegt darin, dass wir durch Patienten, die fast unbegrenzte Möglichkeiten haben, mit Menschen und Dingen willkürlich umzugehen, an Lebensphasen erinnert werden, in denen wir im Zustand der Abhängigkeit solchen Figuren ausgeliefert waren. Damit wird uns die Möglichkeit genommen, uns mit dem Patienten zu identifizieren. Damit sind wir um das entscheidende Hilfsmittel unserer Arbeit, die in einem Dreierschritt - identifizieren, distanzieren, verbalisieren - vonstatten geht, gebracht. Wo sich der Analytiker aber als Mitmensch nicht mehr einfühlen kann, sind die Grenzen seiner Arbeit erreicht. Wir erleben also mit diesen Patienten dasselbe, was wir bei Patienten erleben, die uns von grausamen Kindesmisshandlungen berichten oder davon, dass sie zur Erreichung sexueller Lust etwa Kinder verstümmeln müssen: wir identifizieren uns mit dem Opfer und fühlen Ablehnung und Entsetzen gegen den Täter.

    Warum gelingt uns - mittlerweile selber Eltern, Autorität, Chef, Leiter eines Psychoanalytischen Institutes etc. - nicht das Gegenteil, die Identifizierung mit dem Mächtigen? Es würde Triebwünsche in uns mobilisieren, welche die Verdrängungsarbeit, die wir in unserem Sozialisationsprozess leisten mussten, rückgängig machen könnten. Damit fiele uns die Aufgabe zu, jene tiefen Angst- und Schuldgefühle wegen des Hasses gegen die Eltern durchzuarbeiten. In solch bedrohliche Lage bringt uns der Patient. Unsere Abwehr aber hindert uns, ihn verstehen zu können.
    Noch eine andere Gefahr droht dem Analytiker, der sich mit den Opfern dieser Patienten identifiziert. Würde die Analyse vorangehen, würde sie den Analytiker zwingen, seine Identifikation zu bearbeiten.
    Dabei könnte es passieren, dass die Kehrseite der Identifikation mit dem Opfer zutage träte, nämlich der Hass auf die Unterdrücker. Zwar lassen sich die infantilen Rachephantasien bearbeiten, aber wie steht es mit der Wut über die realen Vertreter von Willkür, Unrecht und Gewalt? Auch auf diesem Wege könnte der Schlaf des Gerechten gestört werden, d.h. der Analytiker fände sich in der politischen Realität wieder.
    Wir haben festgestellt, dass es zwei Faktoren gibt, welche die Anwendung der psychoanalytischen Behandlung bei Angehörigen dieser Schicht erschweren. Einmal sind es Faktoren, die in der Schichtzugehörigkeit des Patienten, einmal solche, die in der Schichtzugehörigkeit des Analytikers liegen. Auf der einen Seite zeigte sich, dass diese Patienten letztlich ihre Konflikte auch ohne Psychoanalyse bewältigen können.
    Sie sind weder gezwungen, ihre Trieb-Abwehr-Struktur zu verändern, noch zu sublimieren, um gesund zu werden - anstatt sich zu verändern, verändern sie die Welt. Eine Variante dieses Vorgangs ist das Agieren, das, weil es unkontrolliert und ungestraft ablaufen kann, erfolgreiche Konfliktlösungen garantiert. Ferner lernten wir die schützende Funktion der Rollenidentifikation innerhalb einer Gesellschaft kennen, die als geschlossene Herrschaftsschicht fungiert. Auf diese Weise sind Identitätskrisen, welche eine Umbildung und Neuordnung erforderlich machen, weitgehend ausgeschlossen. Schliesslich konnten wir beobachten, dass die Patienten sich von den Angeboten des Analytikers geängstigt und bedroht fühlten, und mussten erkennen, dass es sich hier um reale Bedrohungen handelt. Die „Weltanschauung“ des einen schliesst die Berührung mit dem Vertreter der anderen „Weltanschauung“ aus. Wir haben also eine Verständigungsschwierigkeit vor uns, wie sie sich zwischen Vertretern zweier verschiedener ethnischer Gruppen ereignet. Auf der anderen Seite findet genau der gleiche Vorgang des Nichtverstehens statt: Der Analytiker verliert seine therapeutische Funktion da, wo die „Weltanschauung“ des Patienten der seinen diametral entgegengesetzt ist. Das Nichtverstehen kann sich bis zu einer negativen Einstellung gegen den Patienten steigern, - wenn er sich von gewissen klassenspezifischen Verhaltensweisen seines Patienten angegriffen fühlt, wie es für seine eigene Klasse typisch ist;
    - wenn er die Vorurteile seiner Klasse wiederholt, indem er Bewunderung, Abhängigkeit, Verurteilung und Auflehnung verspürt;
    - wenn er durch den Patienten eine politische Wirklichkeit kennenlernt, die er von seinen bürgerlichen Mittelstandspatienten nicht erfahren kann. Der Patient stört dadurch die bürgerliche Idylle einer Psychoanalyse, die die Einbeziehung der gesellschaftlichen Faktoren in das Arbeitsfeld des Psychoanalytikers vermeiden möchte;
    - wenn der Patient sich z.B. in seiner klassenspezifischen Rücksichtslosigkeit gegen Abhängige offenbart und der Analytiker sich mit den Opfern identifiziert.

    Wie gross der Unterschied dieser Schicht zur bürgerlichen Mittelschicht in bezug auf die psychoanalytische Therapierbarkeit auch immer sein mag, in einem Punkte stimmt sie mit ihr überein:
    In der Krise können ihre Mitglieder die psychoanalytische Behandlung akzeptieren - und zwar nicht nur als medizinisches Verfahren zu Behebung von Krankheits- oder Leidenszuständen, sondern auch als Erkenntnisvorgang, als Instrument zur Einsicht in ihre gesellschaftliche Situation. Die Natur der Krise wird sich jedoch wieder wesentlich von der Mittelschicht unterscheiden. In der Regel wird sie weniger auf einem inneren Konflikt beruhen als vielmehr auf Erschütterungen der äusseren Sicherheit.
    So sehen wir sie z.B. als Patienten in unseren Sprechzimmern erscheinen, nachdem der wirtschaftliche Zusammenbruch stattgefunden hat oder nach dem Verlust der Zugehörigkeit zu ihrer Schicht.


    Micha Hilgers - Verelendung psychotherapeutischer Rahmenbedingungen - Rolle von Armut und Reichtum in der therapeutischen Beziehung.

    Hilgers ergänzt den oben und weiter unten dargestellten klassischen Ansatz in der Arbeit mit "Reichen und Mächtigen" um die relationale bzw. intersubjektive Position, wie sie auch von Altmeyer und Thomä (2006) u.v.a. vertreten wird:

    Finanzielle Rahmenbedingungen und die relationale Perspektive der Psychotherapie

    Wenn man so will, war der britische Psychoanalytiker und Vertreter der sog. Mittelschule der Objektbeziehungstheorie, Donald Winnicott (1947), der Begründer des aktuellen relationalen Ansatzes der Psychoanalyse.
    Einfacher formuliert: Es gibt kein Baby an und für sich, noch eine Mutter an sich. Beide setzen sich gegenseitig voraus; sie existieren nur in der Beziehung zueinander. Die interaktionelle oder relationale Sichtweise von Psychotherapie (Altmeyer u. Thomä 2006) betrachtet eine therapeutische Beziehung unter Berücksichtigung oder Miteinbeziehung des Systems, innerhalb dessen der Patient lebt und gemeinsam mit seinem Behandler eine therapeutische Beziehung unterhält.

    Für den Psychotherapeuten gilt diese Betrachtungsweise selbstverständlich gleichermassen. Unter Berücksichtigung der vorgestellten Ueberlegungen trifft demnach ein Patient mit maladaptiven Anpassungs- oder Konfliktschemata auf einen Therapeuten mit maladaptivem Finanzgebahren: Einen durch Armut häufig bedrohten Patienten erwarten Profis, die mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit (noch) ärmer sind als ihre Patienten, es aber nicht wissen wollen. Wegen des bei oberflächlicher Betrachtung deutlich höheren Bruttostundensatzes des Therapeuten scheint jedoch ein deutliches Einkommensgefälle zugunsten des Behandlers zu bestehen.

    Mehr oder weniger unbewusst einigt sich das Patient-Therapeut-Paar auf eine psychische und finanzielle Ueberlegenheit des Behandlers gegenüber dem Patienten.
    Richtig hingegen wäre, wenn sich Patient und Therapeut darauf verständigten, dass beide Kriterien auf sie gleichermassen zuträfen: Sie sind beide arm, und sie haben beide ein psychisches Problem, das zumeist mit Armut korreliert. Im Unterschied zu seinem Patienten täuscht sich der Therapeut jedoch über seine finanzielle Lage und seine damit verbundenen langfristigen Perspektiven hinweg.

    Bei durchschnittlich zu erwartenden Voraussetzungen (also keinem durch Ehe oder Erbschaft wohlhabenden Behandler), ergeben sich die folgenden drei möglichen Beziehungskonstellationen:
    1. Der Patient ist reicher als sein Therapeut, mindestens Letzterer realisiert diese Situation jedoch nicht (verzerrte Gegenübertragung).
    2. Der Patient ist gleich arm oder noch ärmer als der Behandler, man einigt sich aber unbewusst auf einen armen Patienten und einen deutlich besser gestellten Behandler („folie á deux“).
    3. Es bestehen unübersehbare Einkommensunterschiede zwischen Patient und Behandler mit entweder
    a) einem mehr oder weniger völlig mittellosen Patienten, demgegenüber sich der Behandler in komfortablem Wohlstand erleben darf (idealisierende Uebertragung bei gleichzeitiger narzisstischer Bestätigung in der Gegenübertragung)
    oder
    b) einem reichen und meist mächtigen Patienten (Cremerius 1984; idealisierende oder neidische, evtl. missgünstige Gegenübertragung, demgegenüber Mitleidsreaktionen, Verachtung, Parentifizierung in der Uebertragung).

    Die Offenlegung der finanziellen Verhältnisse würde in den meisten Fällen auf beiden Seiten zu Scham-Schuld-Reaktionen führen:
    1. Der Patient schämt sich für seinen bedürftigen Therapeuten, und dieser wiederum schämt sich vor seinem Patienten.
    2. Umgekehrt schämt sich der Therapeut identifikatorisch für und anstelle eines Mitglieds des Prekariats. Ausserdem erlebt er u.U. Schuldgefühle als Repräsentant einer Gesellschaft, die Verhältnisse zulässt, die Menschen in absolute Armut stürzen.
    3. In beiden Fällen bedrohen Neidgefühle oder Missgunst die therapeutische Beziehung.

    Uebertragungsbeziehung und Realität bei deutlich reicheren Patienten
    In aller Regel „einigen“ sich Patient und Therapeut auf eine die Initialübertragung fördernde soziale Konvention, die jedoch im Verlauf der Behandlung zu anhaltenden Idealisierungen führen kann: Der Ältere/Stärkere/Mächtigere hilft dem Jüngeren/Schwächeren/Machtlosen (Radebold 1992 spricht von umgekehrter Übertragung).
    Diese milde Anfangsidealisierung unterdrückt aufseiten des Patienten vorzeitige Verachtung/Geringschätzung.
    Empfindet der Patient zudem Mitleid und schont daher seinen Therapeuten, handelt es sich um eine Parentifizierung. Zumeist werden Therapeuten aufkommende Neidgefühle und den Wunsch, vom Wohlstand des Patienten zu profitieren, leugnen – eine Abwehr von entweder Kastrationswünschen im Fall von Missgunst oder Übergriffen bei Bereicherungsbestrebungen.
    Diese Überlegungen sind von erheblicher praktischer Bedeutung: Unbewusst werden Patienten vermeiden, z.B. ihren Ärger über Korrosionsschäden an ihrer neuen Segeljacht zu äussern, bestimmte Lebensbereiche herunterspielen und eher Gleichheit mit den Verhältnissen des Therapeuten betonen. Umgekehrt werden sich diese weniger nach aufwendigen Urlauben, Einrichtungen oder Gegenständen erkundigen – oder falls doch, dann eher mit Entwertungstendenzen: Häufig trifft der Lebensstil reicher Patienten in Supervisionen auf anscheinend fachlich begründete Kritik, etwa, dass innere Leere durch Konsum und Luxus abgewehrt wird. Das mag durchaus so sein, als Supervisor meine ich dabei jedoch gelegentlich eine gewisse Erleichterung der Kollegen zu verspüren, die natürlich ausbliebe, würde man unterstellen, dass der Patient und seine Angehörigen ihren Wohlstand in vollen Zügen geniessen.
    Ist aber die finanzielle Ueberlegenheit des Patienten nicht zu leugnen, können sich Therapeuten in diverse Abwehrmanöver flüchten:
    a) z.B. in "Saure-Trauben-Reaktionen" nach dem Motto, „reich, aber unglücklich möchte ich nicht sein“ oder
    b) in masochistische Selbstüberhöhungen, etwa „Bescheidenheit ist eine Tugend bzw. Zier“.
    c) Reichtum kann als soziale Ungerechtigkeit entwertet werden, wodurch latente Feindseligkeit gegenüber dem Patienten entsteht.
    d) Die vorgenannten Abwehroperationen verdecken das sozial besonders unerwünschte Gefühl des Neids.
    [Definition "Neid": Positiver Neid drückt den Wunsch aus anzustreben, was ein anderer hat oder ist. Negativer Neid, nämlich Missgunst, möchte zerstören, was eine Person hat oder ist, weil es für einen selbst unerreichbar erscheint (umfassend: Haubl 2009)].
    e) In den meisten Fällen hat der Behandler mit Schamgefühlen angesichts der sozialen Vergleichssituation zu kämpfen, die er sich häufig nicht eingesteht und durch Entwertung des Patienten oder Idealisierung der eigenen Person, der eigenen Wertmassstäbe oder Lage ins Gegenteil verkehrt.
    f) Förderlich hingegen wäre milde Rivalität seitens des Patienten, die allerdings eine realistische soziale Vergleichssituation voraussetzt, sodass sich der Behandler nicht bedroht fühlt und daher Konkurrenz zulassen kann.
    g) Schliesslich könnte ein Therapeut auch ein den meisten Behandlungszielen förderliches Modell anbieten, indem er repräsentiert, wie man mit misslichen, suboptimalen oder in Teilen unterlegenen Lebenslagen umgeht und diese mit Gelassenheit, Humor oder Wohlwollen erträgt. Das allerdings setzt eine nur mässige finanzielle oder Machtüberlegenheit des Patienten voraus.

    Fallbeispiel: Der Gönner [mein Titel, M.F.]
    Während meiner Ausbildung zum Psychoanalytiker [M.H.] suchte mich ein stadtbekannter Baulöwe auf, der einen – mir zunächst nichtbekannten – zweifelhaften Ruf genoss. Von Anfang an stellte sich eine anhaltende umgekehrte Übertragung (Radebold 1992) ein: Der Patient war deutlich älter als ich und verfügte über ein beträchtliches Vermögen, das mir angesichts meiner alle Gelder verschlingenden Ausbildung als geradezu paradiesisch erschien. Unter den Ausbildungskandidaten war das Thema Geld weitgehend Tabu und seine Thematisierung gegenüber den Lehranalytikern ein Sakrileg. Recht bald verzögerten sich die Überweisungen des privat versicherten Patienten. Darauf angesprochen winkte er müde ab und erschien nun regelmässig – je nach Rechnungsbetrag – mit einem 500- oder 1000-Mark-Schein. Ich war jeweils völlig überfordert, grössere Geldbeträge herauszugeben, oder besass nicht ausreichend Wechselgeld (was mir wie ein weiterer Beleg meiner prekären Finanzsituation vorkam).
    Mein Patient reagierte „grosszügig“ mit den Worten, „ach, stimmt so“ oder, wenn es um grössere Summen ging, ich könne das ja schon mal behalten.

    Mein Supervisor riet mir, auf einer Barzahlung mit abgezähltem Geld zu bestehen – nicht jedoch die mehr oder weniger offene Entwertung anzusprechen. Wenn ich den Patienten zur nahe gelegenen Bank schickte, damit er passendes Geld beschaffte, liess er mich fühlen, wie verächtlich er mein diesbezügliches Verhalten einschätzte. Noch kleinkrämerischer kam ich mir vor (sozusagen in den Augen des Patienten und mit diesem identifiziert), wenn ich auf Heller und Pfennig herauszugeben trachtete oder auf genau auf den Pfennig abgezähltem Geld bestand. Ich erntete mitleidiges Lächeln oder joviale Angebote grosszügigen Sponsorentums.
    Formal wies ich diese Bestechungsversuche zurück, inhaltlich gelang mir aber keine Thematisierung der Entwertungen meiner Person, der Etablierung von Machtverhältnissen und der Demonstration von Reichtum gegenüber meiner für mich beschämenden Bedürftigkeit.
    Es gelang mir nicht, mir meine beschämenden Kleinheitsgefühle einzugestehen und den Neid auf den reichen Patienten angesichts meiner eigenen prekären Lage zu realisieren. Wegen des Fehlens aggressiver Bestrebungen in der Gegenübertragung (aus Furcht vor Neid, Scham, Feindseligkeit) standen mir Konfrontation, Nachfragen und Klarifikation nicht zur Verfügung, besonders als sich gleichzeitig destruktive Auseinandersetzungen mit der Lebensgefährtin des Patienten ankündigten.
    Andeutungen des Patienten auf geschäftliche Schwierigkeiten ignorierte ich. Weil ich die Demütigungen und Korrumpierungsversuche in der therapeutischen Beziehung nicht realisierte und daher auch nicht ansprach, übersah ich parallele Verhaltensweisen in den aussertherapeutischen Beziehungen. Namentlich in der Partnerschaft kam es zu erheblichen, auch gewalttätigen Auseinandersetzungen.
    Viel zu spät wurde mir betrügerisches Geschäftsgebahren klar, weswegen der Patient schliesslich aufflog. Am Ende flüchteten sich Patient und Partnerin ins Ausland, um ihren Gläubigern zu entkommen, und traten Scientology bei.

    Die Behandlung scheiterte, weil ich
    a) meine mir unakzeptabel erscheinenden Gegenübertragungen leugnete:
    Meine Scham über meine mir im Vergleich zu dem Patienten armselig erscheinende Lage verhinderte das Eingeständnis von Neid und Ärger;
    b) daher nicht über aggressive Konfrontationsstrategien verfügte;
    c) die innertherapeutische entwertendaggressive Beziehungsgestaltung des Patienten nicht angemessen realisierte und v.a. thematisierte;
    d) demzufolge parallele destruktive aussertherapeutische Entwicklungen übersah oder in ihrer Schwere nicht erkannte.
    Ich bezahlte diese Fehler mit einer scheiternden Behandlung und einem Verlust von 1500 Mark plus Anwaltskosten.

    Im Allgemeinen dürfte die psychotherapeutische Behandlung eines Topmanagers oder seiner Angehörigen, die über Jahreseinkommen von über 1 Mio. EUR oder deutlich mehr verfügen, von vornherein auf grosse Schwierigkeiten stossen, wenn der Behandler nicht ebenfalls über Vermögen verfügt.

    Erstens sind die Einkommensunterschiede zwischen Behandler und Patient so gravierend, dass beide – Patient und Behandler – vor nahezu unauflösbaren Problemen stehen, die die Aufnahme eines intimen Vertrauensverhältnisses – Grundlage gelingender Psychotherapie – erheblich erschweren oder unmöglich machen: Der Patient fürchtet zu Recht Neid und Missgunst des Therapeuten, ebenso wie Verurteilungen angesichts gesellschaftlicher Umverteilungsprozesse und Ungerechtigkeiten (vgl. zum Neid der Psychotherapeuten den ironischen Aufsatz von Sachsse 2005). Der Behandler ist zudem mit Moralismen beschäftigt, die die Aufnahme einer sachbezogenen Behandlung behindern. Der Verlust der technischen Neutralität droht besonders dann, wenn sehr unterschiedliche Werthaltungen aufeinandertreffen oder negative Gegenübertragungen bestimmend werden. Technische Neutralität ist ausserdem durch soziale Instabilität und gesellschaftliche Umbrüche infrage gestellt (Kernberg 2000 S.203f, Kernberg 2004 S.98f), die man in der Bundesrepublik (und zahlreichen anderen europäischen Ländern) angesichts der gewaltigen Umverteilungsprozesse, der Verarmung grosser Bevölkerungsteile und des immensen Reichtums der Wenigen durchaus feststellen kann.

    Zweitens vermischen sich persönliche Konflikte, Haltungen, Werte und Stile des Patienten unweigerlich mit jenen gesellschaftlichen Verwerfungen, die die öffentliche Debatte bestimmen: Indirekt steht die persönliche Verantwortung des Patienten für z.B. Entlassungen, Betriebsverlagerungen, Ausbeutung, Fehlentscheidungen oder Spekulationen zur Debatte.
    Daran schliesst sich zwangsläufig die Frage an, inwiefern berufliches Verhalten oder persönliche Werthaltungen mit den zur Behandlung führenden Konflikten korrespondieren (oder in der therapeutischen Beziehung zum Ausdruck kommen).
    Unweigerlich wird man entweder die soziale Situation des Patienten und seine Verantwortung als Mitglied der Zivilgesellschaft thematisieren müssen oder beides gemeinsam tabuisieren.

    Drittens sind Mitglieder der Oberschicht gewohnt, nicht sich selbst, sondern die sie umgebenden Umstände zu verändern oder zu manipulieren (Cremerius 1987). Sie begeben sich daher kaum je in psychotherapeutische, allenfalls in psychiatrische Behandlung.
    Analoges gilt für die (erwachsenen) Angehörigen reicher und mächtiger Personen. Auch diese stehen latent am Pranger einer moralistischen öffentlichen Kritik, der sich der Behandler kaum zu entziehen vermag. Technische Neutralität gegenüber diesen Personengruppen ist mithin nicht oder nur mühsam gewährleistet. Man stösst auf ähnliche Schwierigkeiten wie bei grundlegenden religiösen oder politischen Wertedifferenzen (Kernberg 2004 S.98f), die nicht diskutierbar sind – allenfalls kann man untersuchen, welche Ergebnisse sie zeitigen. Verletzungen dieser Werte führen über kurz oder lang zu Ressentiments auf beiden Seiten. Hingegen kämen Veränderungsbestrebungen des Therapeuten hinsichtlich der Werte seines reichen und mächtigen Patienten ohne entsprechenden Therapievertrag einem Uebergriff gleich.
    Quelle: Hilgers, Micha (2010). Verelendung psychotherapeutischer Rahmenbedingungen - Rolle von Armut und Reichtum in der therapeutischen Beziehung. In: "Der Psychotherapeut" 6-2010, S.515-524

    Literatur zum Thema "Psychotherapie mit Reichen und Mächtigen"

    Altmeyer M (2000). Narzissmus und Objekt. Ein intersubjektives Verständnis der Selbstbezogenheit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
    Argelander H (1972). Der Flieger. Eine charakteranalytische Fallstudie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
    Auchter T, Büttner C, Schultz-Venrath U, Wirth H-J (Hrsg) (2003). Terror und Trauma vor und nach dem 11. September 2001. Psychoanalytische, psychosoziale und psychohistorische Aspekte. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Benjamin J (1988). Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Frankfurt/M.: Fischer 1996.
    Bruder-Bezzel A, Bruder K-J (2001). Auf einem Auge blind: Die Verleugnung der Macht in der Psychoanalyse. Z Individualpsychol; 26: 24-31.
    Burckhardt J (1868). Weltgeschichtliche Betrachtungen. In: Gesamtausgabe, Bd. VII. Basel: Schwabe 1929; 1-208.
    Cremerius J (1979). Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und Mächtigen. In: Cremerius J, Hoffmann SO, Trimborn W. Psychoanalyse, Über-Ich und soziale Schicht. München: Kindler; 11-54.
    Dornes M (1993). Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt/M.: Fischer.
    Freud S (1912). Totem und Tabu. GW IX. Frankfurt/M.: Fischer 1999.
    Freud S (1914). Zur Einführung des Narzißmus. GW X. Frankfurt/M.: Fischer 1999; 137-70.
    Hösle V (1997). Moral und Politik. Grundlagen einer politischen Ethik für das 21. Jahrhundert. München: C.H. Beck.
    Jones E (1913). The God Complex. In: Jones E (ed). Essays in Applied Psychoanalysis. Vol. 2. New York: International Universities Press 1964; 244-65.
    Kernberg OF (197c'1 Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978
    Kernberg OF (1984). Schwere Persönlichkeitsstörungen. Theorie, Diagnose und Bt Jdlungsstrategie. Stuttgart: Klett-Cotta 1995.
    Kernberg OF (1998). Ideologie, Konflikt und Führung. Psychoanalyse von Gruppenprozessen und Persönlichkeitsstruktur. Stuttgart: Klett-Cotta 2000.
    Kernberg OF (2002). Affekt, Objekt und Übertragung. Aktuelle Entwicklungen der psychoanalytischen Theorie und Technik. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Kohut H (1973). Überlegungen zum Narzißmus und zur narzisstischen Wut. Psyche; 27: 513-54.
    Lasch C (1979). Das Zeitalter des Narzissmus. München: dtv 1982.
    Luhmann N (1975). Macht. Stuttgart: Enke.
    Mentzos S (1976). Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
    Mitchell S (2003). Bindung und Beziehung. Auf dem Weg zu einer relationalen Psychoanalyse. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Mitchell S (2004). Kann denn Liebe ewig sein? Psychoanalytische Erkundungen über Liebe, Begehren und Beständigkeit. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Quidde L (1894). Caligula. Schriften über Militarismus und Pazifismus. Frankfurt/M.: Syndikat 1977.
    Reich W (1922). Zwei narzißtische Typen. In: Frühe Schriften I. Aus den Jahren 1920 bis 1925. Frankfurt/M.: Fischer 1977; 144-52.
    Richter H-E (1979). Der Gotteskomplex. Die Geburt und die Krise des Glaubens an die Allmacht des Menschen. Gießen: Psychosozial-Verlag 2005. Sennett R (1977). Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt/M.: Fischer 1983,
    Volkan VD (1999). Das Versagen der Diplomatie. Zur Psychoanalyse nationaler, ethnischer und religiöser Konflikte. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Weber M (1919). Politik als Beruf. Tübingen: Mohr 1994.
    Weber M (1921).Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr 1980.
    Willi J (1975). Die Zweierbeziehung. Reinbek: Rowohlt.
    Wirth H-J (2001). Fremdenhaß und Gewalt als psychosoziale Krankheit. Psyche; 55: 1217-44.
    Wirth H-J (2002). Narzissmus und Macht: Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Wirth H-J (2004a). 9/11 as a Collective Trauma and other Essays on Psychoanalysis and Society. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Wirth H-J (Hrsg) (2004b), Das Selbst und der Andere. Die relationale Psychoanalyse in der Diskussion. Psychosozial; 97(111).

    Altmeyer M, Thomä H (Hrsg) (2006). Die vernetzte Seele. Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse. Klett-Cotta, Stuttgart
    Asen E, Scholz M (2009). Praxis der Multifamilientherapie. Auer, Heidelberg
    Conen ML (Hrsg) (2002). Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden. Aufsuchende Familientherapie. Asanger, Heidelberg
    Cremerius J (1984). Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und Mächtigen. In: Vom Handwerk des Psychoanalytikers. Das Werkzeug der psychoanalytischen Technik, Bd 2. frommann-holzboog, Stuttgart
    Cremerius J (1987). Wenn wir als Psychoanalytiker die psychoanalytische Ausbildung organisieren, müssen wir sie psychoanalytisch organisieren! Psyche – Z Psychoanal 41:1067–1096
    DAK-Gesundheitsreport (2005). Schwerpunkt Angst und Depression. DAK, Hamburg
    Dreitzel HP (1968) Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft. Enke, Stuttgart
    Eichenberg C, Müller K, Fischer G (2007). Die Motivation zur Berufswahl Psychotherapeut/in: Ein Vergleich zwischen Schülern, Studierenden und (angehenden) Psychotherapeuten. Z Psychol Traumatol Psychother Wiss Psychol 2:83–98
    Fenichel O (1935). Zur Theorie der psychoanalytischen Technik. In: Fenichel O (Hrsg) Aufsätze, Bd 1. Fischer, Frankfurt a.M., S 3 25–344
    Glaesmer H, Sonntag A, Barnow S (2009) Psychotherapeutenausbildung aus Sicht der Absolventen. Psychotherapeut 54:437–444
    Haubl R (2009). Neidisch sind immer nur die anderen. Über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein. Beck, München
    Hilgers M (2006). Scham. Gesichter eines Affekts. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
    Hilgers M (2007). Mensch Ödipus. Konflikte in Familie und Gesellschaft. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
    Kernberg OF (1998). Dreissig Methoden zur Unterdrückung der Kreativität von Kandidaten der Psychoanalyse. Psyche – Z Psychoanal 52:199–213
    Kernberg OF (2000). Ideologie, Konflikt und Führung. Klett-Cotta, Stuttgart
    Kernberg OF (2004). Contemporary controversies in psychoanalytic theory, techniques, and their applications. Yale University, Yale
    Lohmer M, Wenz C (2005). Psychotherapeuten und Macht. In: Kernberg OF, Dulz B, Eckert J (Hrsg) WIR: Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart, S 291–302
    Marcuse H (1973). Konterrevolution und Revolte. Suhrkamp, Frankfurt a.M.
    Person ES (2000). Ueber das Versäumnis, das Machtkonzept in die Theorie zu integrieren. In: Schlösser A-M, Höhfeld K (Hrsg) Psychoanalyse als Beruf. Psychosozial-Verlag, Giessen, S 73–98
    Portele GH, Roessler K (1994). Macht und Psychotherapie. Ein Dialog. Edition Humanistische Psychologie, Köln
    Radebold H (1992). Psychodynamik und Psychotherapie Älterer. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio
    Sachsse U (2005). Sind WIR neidisch? In: Kernberg OF, Dulz B, Eckert J (Hrsg) WIR: Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart, S 490–493
    Schmeling-Kludas (2008). Ökonomisierung und Psychotherapie. Gesellschaftliche Einflüsse auf die Wirklichkeitskonstruktionen von psychisch erkrankten Patienten und Psychotherapeuten. In: Psychotherapeut 53:349–359
    Sonntag A, Glaesmer H, Barnow S et al (2009). Die Psychotherapeutenausbildung aus Sicht der Teilnehmer. Ergebnisse einer Ausbildungsbefragung im Rahmen des Forschungsgutachtens. Psychotherapeut 54:427–436
    Strauss B, Barnow S, Brähler E et al (2009). Forschungsgutachten zur Ausbildung von Psychologsichen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichentherapeuten.
    http://www.med.uni-jena.de/mpsy/forschungsgutachten/Endfassung-Forschungsgutachten-Psychotherapeutenausbildung.pdf
    Strauss B, Kohl S (2009). Themen der Ausbildungsforschung in der Psychotherapie. Psychotherapeut 54:411–426
    Tschuschke V (2003). Kurzgruppenpsychotherapie. Theorie und Praxis. Springer, Wien
    Tschuschke V (2004). Zur Ethik in der psychotherapeutischen Ausbildung und Psychotherapieforschung. In: Bormuth M, Wiesing U (Hrsg) Ethische Aspekte der Forschung in Psychiatrie und Psychotherapie. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, S 43–53
    Tschuschke V (Hrsg) (2010). Gruppenpsychotherapie. Von der Indikation bis zu Leitungstechniken. Thieme, Stuttgart
    Wurmser L (1990). Zur Psychoanalyse des Ressentiments. In: Rohde-Dachser C (Hrsg) Zerstörter Spiegel. Psychoanalytische Zeitdiagnosen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

    Literatur:

    Markus Frauchiger (1997). Wirkfaktoren der Psychotherapie

    Ulrich Schultz-Venrath (2013)
    Lehrbuch Mentalisieren: Psychotherapien wirksam gestalten
    Martin Miller (2013)
    Das wahre Drama des begabten Kindes
    Senf/Broda/Wilms (2013)
    Techniken der Psychotherapie
    Znoj/Berger (2013, Hrsg.)
    Kunst und Wissenschaft der Psychotherapie
    Senf/Broda (2013)
    Techniken der Psychotherapie
    Allen Frances (2013)
    Normal - Prominente ICD5 Kritik

    Kriz - Grundkonzepte der Psychotherapie Polster und Polster - Gestalttherapie Flow - Glueck Woeller - Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie Kernberg - Narzissmus Willke, Petzold - Tanztherapie, Theorie und Praxis
    Frank - Die Heiler Fuhr et al - Handbuch der Gestalttherapie Jung - Der Mensch und seine Symbole Reddemann - Imagination als heilsame Kraft Rogers - Entwicklung der Persoenlichkeit Schwartz - Systemische Familientherapie

    Alle diese Bücher können direkt online bestellt werden (Lieferfrist 2-3 Tage!):

  • Empfehlenswerte Bücher, mit Rezensionen und Volltexten


    Weitere Links:
  • "Forschung, Integrative Therapie und Gestalttherapie"
  • "Psychotherapeutische Modelle und ihre Wirkfaktoren"
  • "Strukturale Analyse Sozialen Verhaltens, SASB"
  • Homepage des Autors: Markus Frauchiger, CH-3012 Bern







    Blog zu "Narzissmus - Psychotherapie - Gesellschaft" auf blogspot.com
    zum offiziellen Eintrag von Markus Frauchiger bei "localsearch.ch"
    Praxis Frauchiger, Psychotherapeut FSP, Bern
    zum offiziellen Berufsregister-Eintrag von Markus Frauchiger der FSP
    zum offiziellen Berufsregister-Eintrag von Markus Frauchiger der FSP - Direktlink
    Markus Frauchiger at "Academia.edu"
    Regulation in Relation
    zur Praxis-Homepage von Markus Frauchiger, Bern - alternativer Einstieg
    zur privaten Homepage des Autors
    weiter zu "Integrative Psychotherapie Online"
    weiter zu "Integrative Therapie Schweiz"
    FSP-Eintrag von Markus Frauchiger - Business Site
    FSP-Eintrag von Markus Frauchiger - PsySearch
    Google Business Profil - Markus Frauchiger, Psychotherapeut FSP
    CoachFrog - Profil Markus Frauchiger, Psychologe FSP
    Academia - M. Frauchiger Bern Switzerland
    "Integrative Therapie Schweiz" - Berufsverbände SEAG und SGIT
    Integrative Psychotherapie, Relationale Psychoanalyse und Intersubjektivität
    Therapeuten-Eintrag auf der SGIT-Homepage
    Markus Frauchiger Profil auf gestalttherapie.ch
    Markus Frauchiger Profil auf LinkedIn
    Markus Frauchiger Profil auf XING
    Praxis Frauchiger - Profil auf Xing
    Praxis Frauchiger - Profil auf CoachFrog
    Niklaus Gaschen, Dr.med., Psychiater, Bern
    Dr.med. Markus Signer, Bern
    Markus Frauchiger Profil auf Facebook

    Dialektische Psychotherapie, Relationale Psychoanalyse und Intersubjektivität
    e-mail an den Autor dieser Seite: Markus Frauchiger, lic.phil., Fachpsychologe für Psychotherapie, CH-3012 Bern, copyright beim Autor